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Schuldenbremse lockern? FDP-Argument zieht nicht mehr


Tagesanbruch
Weg mit der Deutschlandbremse


Aktualisiert am 07.02.2024Lesedauer: 5 Min.
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Vorschläge sollen her: Finanzminister Christian Lindner (FDP) will von den Koalitionspartner in den nächsten Wochen Ideen für mehr Wirtschaftswachstum sehen.Vergrößern des Bildes
Vorschläge sollen her: Finanzminister Christian Lindner (FDP) will von den Koalitionspartnern in den nächsten Wochen Ideen für mehr Wirtschaftswachstum sehen. (Quelle: Michael Kappeler/dpa)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

vielleicht kennen Sie das Problem aus dem eigenen Leben: Ja, es wäre langfristig schlau, regelmäßig die Joggingschuhe zu schnüren, die Schokolade nicht zu essen oder dem Partner zu sagen, was einen stört. Doch das würde Anstrengung, Verzicht und vielleicht Schmerzen im Hier und Jetzt bedeuten. Und es ist doch gerade so schön harmonisch-kuschelig auf dem Sofa.

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Statt das zu tun, was wichtig und richtig wäre, schieben wir es vor uns her. Wir verschließen die Augen wie ein Kind, das das Konzept von Versteckspielen noch nicht verstanden hat: Wenn ich das Problem nicht sehe, sieht mich das Problem auch nicht. Doch es verschwindet nicht – es wird wahrscheinlich sogar größer.

Da davon auszugehen ist, dass auch Politiker Menschen sind, wundert es nicht, dass auch sie lieber das tun, was kurzfristig Zuspruch bringt. Gefährdet doch jeder Einschnitt in der Gegenwart einen Wahlsieg in der Zukunft. Immerhin: Zumindest Teilen der Ampelkoalition scheint bewusst zu sein, dass so ein Taktieren Deutschland langfristig schadet. Gerade auch in der aktuellen Debatte um Lösungen für die Wirtschaftskrise.

"Alle betonen immer nur, was nicht geht", sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck am Sonntag im ARD-Talk von Caren Miosga. Es werde aber nicht funktionieren, wenn sich niemand selbst etwas zumute, und "wenn alle glauben, der Parteitag ist wichtiger als das Land". Gemeint haben könnte der Grünen-Politiker damit vor allem zwei: die FDP, die sich sklavisch an die Schuldenbremse kettet, und die Union, die dem Wachstumschancengesetz erst dann zustimmen will, wenn die Subventionen für den Agrardiesel bleiben. Das mag beiden Parteien Stimmen bei ihrer Wählerklientel bringen, dem Gemeinwohl tun sie damit keinen Gefallen.

Nehmen wir die Schuldenbremse: Es ist offenkundig, dass der Regierung gerade das Geld fehlt, um die Konjunktur anzukurbeln. Finanzminister Christian Lindner will noch in diesem Monat Vorschläge von seinen Koalitionspartnern sehen, wie man die Wirtschaft wieder zum Wachsen bringen kann. Habecks Idee eines Sondervermögens lehnt er jedoch ab, weil es neue Schulden bedeuten würde, und bringt selbst die Abschaffung des Solidaritätszuschlags ins Spiel. Eine Entlastung, ja – aber sicher keine, die Firmen in ausreichendem Maße zu Investitionen bewegt.

Statt eines Klein-Kleins aus Klecker-Entlastungen braucht es den großen Wurf, der Milliarden Euro freisetzt. Möglich wäre das, wenn man sich in der Haushaltspolitik auf die "goldene Regel" rückbesinnen würde. Sie nimmt solche Staatskredite von der Schuldenbremse aus, die für Investitionen in die Zukunft genutzt werden – zum Beispiel Fördergelder für den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft. Mein Kollege Florian Schmidt hat diese und weitere Möglichkeiten, wie die Schuldenbremse reformiert werden könnte, bereits vor Wochen durchgespielt.

Doch Lindner sträubt sich, auch nur einen Millimeter von seinem Dogma abzuweichen. Auch mit der Union wäre die nötige Grundgesetzänderung derzeit wohl nicht zu machen. Dabei bekamen es beide vergangene Woche schriftlich, dass dieser Kurs unnötig hart ist. So waren sich die "Wirtschaftsweisen" einig, dass die Schuldenbremse durchaus gelockert werden könne, ohne dass Deutschland seine Schuldenfähigkeit verliere (mehr dazu hier). Das ist bemerkenswert, denn die "Wirtschaftsweisen", die die Bundesregierung in ökonomischen Fragen beraten, sind sich so gut wie nie einig.

Das Argument gegen eine Lockerung lautet stets: Das sei nicht gerecht, weil künftige Generationen den Schuldenberg abtragen müssten. Doch das Argument zieht nicht. Sicher, es wäre nicht gerecht, wenn spätere Generationen für den Konsum von heute zahlen müssten – etwa wenn Deutschland Schulden aufnähme, um das Rentensystem zu stützen. Doch wenn das Geld so genutzt würde, dass auch künftige Generationen davon Vorteile haben, ist sogar das Gegenteil richtig: Es wäre ungerecht, diese Investitionen nicht zu tätigen – und stattdessen marode Infrastruktur, bröckelnde Schulen und eine dreckige Industrie zu hinterlassen.

Einigen Landesministern der Union dämmert bereits, dass sich an dieser Ideologie – und nichts anderes ist es – nicht mehr ewig festhalten lässt. Die FDP hingegen steht weiter geschlossen wie ein Mann hinter der Schuldenbremse. Man könnte auch sagen: Deutschlandbremse. Und das, obwohl sich inzwischen sogar das Who's who der deutschen Wirtschaft in einem Brandbrief für "eine Weiterentwicklung der Schuldenbremse" ausspricht. Und eben auch: für einen klaren Plan Richtung Klimaneutralität, der länger als eine Legislaturperiode standhält.

Die Koalitionspartner sollten in diesen Tagen also nicht bloß über Ideen brüten, wie man Deutschland wieder ans Laufen kriegt. Sie sollten sich auch fragen, wie der Fahrplan nicht von der nächsten Regierung wieder kassiert wird. Stichwort: Schulterschluss mit der Opposition. Denn nicht nur fehlendes Geld hindert Unternehmen am Investieren, auch fehlende Verlässlichkeit.

So manche Partei wird einen Teil ihrer Wähler verprellen müssen, wenn sie es ernst meint mit dem Wohl des Landes. Das mag schmerzhaft sein, wäre aber richtig.


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Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag! Morgen schreibt wieder Florian Harms für Sie.

Herzliche Grüße

Ihre

Christine Holthoff
Redakteurin Finanzen
X: @c_holthoff

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Mit Material von dpa.

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