Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Tritt Merz in die Trump-Falle?

Liebe Leserin und lieber Leser,
im Jahr 1885 reiste Friedrich Trump von Deutschland nach Amerika. Der damals 16-Jährige wollte keinen Wehrdienst leisten und wurde deshalb auch vom bayerischen Staat verbannt. Er verließ seine Heimat im pfälzischen Kallstadt. Sein Ziel war New York, wo rund 20 Jahre später ein Sohn mit dem Namen Frederick zur Welt kam. Vor 140 Jahren konnte noch niemand wissen, dass Friedrichs späterer Enkel Donald im Jahr 2025 seine inzwischen zweite Amtszeit als 47. US-Präsident im Weißen Haus verbringt.
An diesem Donnerstag reist wieder ein Friedrich von Deutschland nach Amerika. Nicht, um auszuwandern, sondern um auszuloten bei ebendiesem Enkel, der nun der mächtigste Mann der Welt ist, wie dieser zu Europa und zu Deutschland steht. Für Bundeskanzler Friedrich Merz ist es eine heikle und entscheidende erste Reise nach Washington. Sie soll die wichtige, persönliche Grundlage für alles legen, was in den kommenden Jahren mit dieser US-Regierung gemeistert werden muss: der gemeinsame Handel, die Zölle, die Zusammenarbeit in der Nato, die Unterstützung der Ukraine, der Umgang mit Russland, China und dem Nahen Osten.
Die Weltlage ist extrem konfliktgeladen. Deutschland und Europa brauchen die Vereinigten Staaten in Wahrheit mehr denn je. Zuallererst wegen der massiven Bedrohungslage durch Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Merz muss Trump darum auf vielen Politikfeldern davon überzeugen, dass er es ernst meint mit der neuen deutschen und europäischen Eigenverantwortung. Säuseln wird ihm wenig helfen. Es braucht vielmehr klare Signale, wie weitere Steigerungen der Militärausgaben, um Trumps hohen Beitragsvorstellungen von fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Nato entgegenzukommen.
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Doch das Deutschland-Bild von Donald Trump und auch von vielen seiner Berater ist geprägt von Argwohn. Der rührt vorwiegend vom republikanischen Eindruck eines jahrzehntelangen Schmarotzertums auf Kosten der USA. Von allen europäischen Staaten ist die Bundesrepublik für Trump das größte Ärgernis: Exportüberschuss, langjährige, geopolitisch fragwürdige russische Erdgaslieferungen, enge Wirtschaftsbeziehungen zu China und größter Profiteur der militärischen US-Sicherheitsarchitektur in Europa. Hinzu kommt die Wahrnehmung, Deutschland schwinge sich gerne zum Moralapostel auf, während andere für uns den Kopf hinhalten.

Deutsche Diplomaten klammern sich daher bei Trump an viele Strohhalme. Die pfälzische Herkunftsgeschichte der Familie Drumpf oder Trumpf, die später Trump heißen sollte, ist einer davon. Die Frage, über die seit Wochen gebrütet wird: Wie nur lässt sich dem amerikanischen Präsidenten eine gewisse Sympathie für den neuen Bundeskanzler entlocken? Ein erster kleiner Erfolg ist es bereits, dass Merz mit Trump nun doch noch vor dem kommenden G7-Gipfel in Kanada zusammentrifft. Das Weiße Haus war offenbar bereit, noch Platz im Terminkalender zu schaffen.
Friedrich Merz ist seit Helmut Kohl aber tatsächlich der Bundeskanzler mit den besten Voraussetzungen, um mit Donald Trump ins Gespräch zu kommen. Olaf Scholz oder Angela Merkel wären bei diesem US-Präsidenten persönlich und politisch von vornherein auf Ablehnung gestoßen. Als Erz-Kritiker der früheren deutschen Kanzlerin bringt Merz aus Sicht von Trump eine gewisse Grundvoraussetzung für Glaubwürdigkeit mit. Sein konservatives Profil in Migrationsfragen bietet ebenfalls Chancen, um die vehemente Kritik aus Washington zumindest abzumildern.
Aus dem weiteren Umfeld von Trump heißt es in der US-Hauptstadt, dass Merz durchaus als "Upgrade" gesehen wird. Sein langjähriges Fernbleiben aus der deutschen Politik und seine Tätigkeit für die amerikanische Investmentfirma BlackRock verleihen ihm dabei eine gewisse Authentizität. Trump soll schätzen, dass Merz wie er selbst nicht immer Teil der politischen Klasse gewesen ist – zumindest mit einer großen Unterbrechung.
Dass Merz sich nun über Jahre hinweg ins Bundeskanzleramt gekämpft hat, dafür zollt ihm der Präsident offenbar Respekt. Immerhin ein Privatflugzeug, wenngleich ein deutlich kleineres als die Trump Force One, besitzt der Deutsche ebenfalls. Ob der Präsident weiß, dass Merz von Kritikern in Deutschland als "Trump aus dem Sauerland" bezeichnet wird, ist nicht bekannt. Das bisweilen populistische Talent des CDU-Politikers dürfte Trump aber nicht entgangen sein.
Donald Trump und seinem Regierungsteam, einschließlich seines Vizepräsidenten JD Vance und Elon Musk, wäre ein Wahlsieg der AfD in Deutschland dennoch lieber gewesen. Den Gewinner der CDU erwähnte er in seinem Glückwunschschreiben in der Wahlnacht mit keiner Silbe. "Es sieht so aus, als habe die konservative Partei die große und mit Spannung erwartete Wahl gewonnen", schrieb Trump lediglich.
Und so schlägt Merz im Weißen Haus auch Misstrauen entgegen. Zu lange hatte er sich schon in seiner Zeit als Oppositionsführer ziemlich bewusst vom Trump-Kosmos ferngehalten. Dass der ehemalige Vorsitzende der Atlantikbrücke in den vergangenen Jahren überhaupt nicht in den USA aufgetaucht war – das wunderte auch viele Parteimitglieder. Einen schon früher möglichen Besuch bei Trump in seinem Club Mar-a-Lago, um präventiv Kontakte ins Maga-Lager zu knüpfen, lehnte Merz wohl trotz mehrerer Angebote immer ab.
Der CDU-Politiker fürchtete offenkundig die schlechte Presse zu Hause. Parteifreunde von der CSU wie Andreas Scheuer, Dorothee Bär und Florian Hahn hatten diese Erfahrung bereits 2023 gemacht, als sie den damaligen Trump-Herausforderer, Floridas Gouverneur Ron DeSantis, besucht hatten, um für einen möglichen Wahlsieg des Republikaners vorzubauen. Auch Jens Spahn schlug viel Kritik entgegen, als er vergangenen Sommer eine mögliche Trump-Vance-Regierung als "Chance" verstehen wollte. Insgesamt aber ist die traditionelle politische Bindung zwischen Unionsparteien und der amerikanischen Grand Old Party (GOP) mit Trumps "Make Amerika Great Again"-Bewegung zunehmend einer Entfremdung gewichen.
Schon früh hatte Merz sich wiederholt und klar von rechtspopulistischen Strömungen innerhalb der republikanischen Partei distanziert. So sagte er im Jahr 2022 seine Teilnahme an einer Veranstaltung mit dem republikanischen Senator und Trump-Vertrauten Lindsey Graham kurzerhand ab. Die offizielle Begründung dafür waren damals andere rechtskonservative Persönlichkeiten wie der Publizist Henryk M. Broder und der Anwalt Joachim Steinhöfel, die ebenfalls auf dem Panel auftreten sollten. Merz habe damit ein Zeichen gegen die Nähe zu AfD-nahen Positionen setzen wollen. Der amerikanische Senator Graham war damals ziemlich beleidigt.
Was in Washington ebenfalls deutlich registriert wurde: Als Merz am Wahlabend in der Elefantenrunde saß, hatte er die russischen Versuche von Wahlbeeinflussungen mit jenen aus den USA verglichen. "Das ist ein einmaliges Ereignis. Die Interventionen aus Washington waren nicht weniger dramatisch und drastisch und letztlich empörend als die Interventionen, die wir aus Moskau erlebt haben", sagte Merz. Deutschland und Europa stünden darum von "zwei Seiten so massiv unter Druck", dass seine absolute Priorität jetzt darin bestehe, die Einheit Europas zu erreichen, so Merz.
Gerade diese Einheit Europas ist für Donald Trump ein besonderes Ärgernis. Vor allem in Handelsfragen. Und Merz bezeichnete Trumps Lieblingsprojekt, die Zölle, bereits als "absurd". Die EU als gesamtes politisches Gebilde ist aus der Sicht des US-Präsidenten ohnehin nur gegründet worden, um den USA zu schaden. Dass Merz sich zuletzt nun auch hinsichtlich der israelischen Kriegsführung im Gazastreifen mit deutlicher Kritik an die Seite vieler europäischer Verbündeter gestellt hat, dürfte das Verhältnis zur Trump-Regierung ebenfalls nicht erleichtern. Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu ist einer von Trumps engsten internationalen Verbündeten.
Der Besuch des Bundeskanzlers im Weißen Haus ist bei dieser komplizierten politischen und persönlichen Gemengelage heikel. Mehr noch als Trumps Treffen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron oder dem britischen Premierminister Keir Starmer. Zu einem Selenskyj-Moment im Oval Office wird es allerdings sehr wahrscheinlich nicht kommen. Merz' Rolle ist eine deutlich andere als die des ukrainischen Präsidenten. Gemessen an seinem bisherigen Auftreten wird der CDU-Politiker wohl mit vorsichtigem Selbstbewusstsein vor Trump erscheinen – mit etwas mehr Charme und weniger Arroganz, als es Olaf Scholz geschafft hätte.
Als Lockmittel aber stehen Merz dabei weder wie Macron die Wiedereröffnung der Kathedrale von Notre-Dame, noch wie Starmer die Einladung eines Monarchen zur Verfügung. Zum gemeinsamen Golfen ist im Rosengarten ebenfalls kein Platz, wie es der finnische Präsident mit Trump tat, als er diesen privat in Trumps Anwesen in Mar-a-Lago in Florida besuchte.
Überzeugen muss er den US-Präsidenten also vor allem als Person und mit einer großen Portion an Pragmatismus. Eine Einladung ins pfälzische Kallstadt, der Heimat von Trumps Großvaters Friedrich, wird jedenfalls kaum ausreichen.
Ein rechter Sieg in Polen ist wahrscheinlich
Für ein Aufatmen beim Rechtspopulismus war es ohnehin zu früh. Bei der Stichwahl um das Präsidentenamt in Polen zeichnete sich am Sonntagabend nach ersten Prognosen ein Kopf-an-Kopf-Rennen ab. Zuerst lag der liberale Kandidat Rafal Trzaskowski bei ersten Prognosen denkbar knapp mit 50,3 Prozent der Stimmen vor seinem rechtskonservativen Rivalen Karol Nawrocki, der auf 49,7 Prozent kam. In der Nacht drehte sich der knappe Vorsprung dann aber zugunsten von Nawrocki, der in der Nacht in den Prognosen bei 51 Prozent lag. Am frühen Morgen vermeldeten polnische Medien Nawrocki als Gewinner. Das offizielle Endergebnis soll heute verkündet werden.
Der Ausgang der Wahlen in Polen ist gerade für Deutschland wichtig. Ein Sieg des rechten Nawrocki könnte die Beziehungen der beiden Nachbarländer wie schon zu Zeiten der PiS-Regierung erneut belasten. (Ein Porträt über den Kandidaten von meinem Kollegen Jakob Hartung können Sie hier lesen.) Im europäischen Zusammenspiel hinsichtlich der Ukraine, aber auch der Trump-Regierung in den USA, gilt die Rolle Polens zudem neben der von Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien als mitentscheidend.
Termine des Tages
Im türkischen Istanbul werden Russland und die Ukraine ihre direkten Verhandlungen fortsetzen. Nach den erfolgreichen, massiven Drohnenangriffen der Ukraine gegen einen russischen Militärflughafen gilt der Start der Gespräche als zusätzlich belastet.
In Vilnius findet das Treffen der sogenannten Bukarest-9-Gruppe statt. Das Gipfeltreffen der Länder an der Nato-Ostflanke dient der Abstimmung und Vorbereitung auf den Bündnis-Gipfel in Den Haag. Auch Nato-Generalsekretär Mark Rutte und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sollen an dem Treffen von Polen, Rumänien, der Slowakei, Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Tschechien und Ungarn teilnehmen.
In New York tritt die ehemalige deutsche Außenministerin Annalena Baerbock für das Amt der Präsidentin der UN-Vollversammlung an. Ihre Wahl gilt als gesichert, da es keine Gegenkandidaten gibt. Die einjährige Spitzenposition ist nicht mit dem Posten von UN-Generalsekretär António Guterres zu verwechseln und hat eher protokollarische Bedeutung.
Lesetipps
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Ohrenschmaus
Vielleicht ein bisschen düster, aber angesichts des andauernden Kriegs in der Ukraine und des Treffens zwischen Friedrich Merz und Donald Trump auch passend, höre ich heute "Everybody knows" von Leonard Cohen.
Everybody knows that the dice are loaded
(Jeder weiß, dass die Würfel gezinkt sind)
Everybody rolls with their fingers crossed
(Jeder würfelt mit gekreuzten Fingern)
Everybody knows the war is over
(Jeder weiß, dass der Krieg vorbei ist)
Everybody knows the good guys lost
(Jeder weiß, dass die Guten verloren haben)
Everybody knows the fight was fixed
(Jeder weiß, dass der Kampf manipuliert war)
The poor stay poor, the rich get rich
(Die Armen bleiben arm, die Reichen werden reich)
Zum Schluss
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die neue Woche. Den nächsten Tagesanbruch schreibt am Dienstag wieder mein Kollege Florian Harms für Sie.
Ihr
Bastian Brauns
Washington-Korrespondent
Twitter @BastianBrauns
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Mit Material von dpa.
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