Tagesanbruch Die Probleme lassen sich lösen
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,
an Klagen herrscht derzeit kein Mangel. Sie sind oft berechtigt, meistens aber auch deprimierend. Wer will schon von morgens bis abends schlechte Nachrichten lesen? Stimmen wir also heute Morgen nicht in den News-Blues ein, lamentieren wir nicht über die doofe Ampel und prangern auch nicht den brutalen Putin an. Beklagen wir nicht den Höhenflug der Extremisten und auch nicht das Klima-Inferno. Schauen wir stattdessen optimistisch nach vorn und entwerfen die Utopie eines besseren Landes. Es gibt sie nämlich, die Rezepte für die Genesung des kränkelnden Deutschlands. Man muss ihr nur die richtige Medizin verabreichen, dann steht einer kraftstrotzenden Republik nichts im Wege.
In dieser leuchtenden Zukunft ist es der gesundeten Bundesrepublik gelungen, ihre größten Probleme zu lösen. Sie hat mit einer föderalen Verwaltungsreform den Missstand in der Migrationspolitik überwunden und behält das Asylrecht den wahren Bedürftigen vor: Flüchtlinge können an den Außengrenzen der EU einen Asylantrag stellen, der binnen 48 Stunden geprüft und entschieden wird. Schutzberechtigte werden zu gleichen Teilen auf alle EU-Länder verteilt, die anderen konsequent abgewiesen. Rückführungsabkommen mit allen Herkunftsländern ermöglichen schnelle Abschiebungen. Die Verträge sind zustande gekommen, weil die Bundesregierung ihre wertegeleitete Außenpolitik gegen eine pragmatische ersetzt hat. Und weil es gleichzeitig in vielen Staaten Afrikas, in Indien und Lateinamerika Migrationsbüros gibt, in denen sich qualifizierte Fachkräfte auf deutsche Stellenausschreibungen bewerben können und bei Zusage sofort eine Einreisegenehmigung bekommen.
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Auch beim Klimaschutz geht es voran. Bund und Länder setzen nicht mehr auf Bevormundung der Bürger wie einst beim Heizungsgesetz, sondern haben für die größte Transformationsaufgabe der Gegenwart einen gesellschaftlichen Dialog initiiert: In Hunderten Bürgerforen diskutieren Menschen aus ganz Deutschland, wie weit sie beim Klima- und Artenschutz gehen wollen, was sie aufzugeben bereit sind und was nicht. Die Ergebnisse werden in Volksabstimmungen gebündelt und dem Bundestag zur Entscheidung vorgelegt. Weil alle gesellschaftlichen Milieus eingebunden sind und sich niemand mehr übergangen fühlt, sind die ersten Ergebnisse ermutigend: Eine breite Mehrheit befürwortet Steuervergünstigungen für Biobetriebe und nachhaltige Baufirmen sowie ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen. Der Austausch alter Öl- und Gasheizungen wird nicht nur zu 70 Prozent vom Staat bezuschusst, sondern auch erleichtert, indem Energieberater jeden Haushalt besuchen. Mit China und Indien hat die EU neue Abkommen vereinbart: Importiert werden nur noch Produkte, deren Klimabilanz europäischen Vorschriften genügt. Dafür lässt die EU im Gegenzug alle Strafzölle fallen.
Große Fortschritte hat der Wohnungsbau in Großstädten gemacht: Statt sie an Spekulanten zu verkaufen, fördert der Bund nun Sozialwohnungen im großen Stil, indem er Bauherren Abgaben erlässt und den Vorschriftendschungel lichtet. In den Pilotstädten Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt und Leipzig garantieren die Kommunen jedes Jahr den Bau von 10.000 Wohnungen. Die notwendige Kreditsicherheit hat der Staat sich mithilfe einer Steuerreform besorgt: Die undurchschaubaren Mehrwertsteuersätze sind vereinheitlicht und Steuerschlupflöcher für Firmen und Vermögende gestopft; die reichsten zwei Prozent der Bürger entrichten eine pauschale Vermögensteuer.
Auch aus der Gesundheitsversorgung gibt es positive Neuigkeiten. Die Krankenhausreform hat das Kliniksystem gesundgeschrumpft, eine von unabhängigen Experten evaluierte Einheitsversicherung ersetzt die Zweiklassenmedizin und garantiert jedem Bürger eine gute und schnelle Versorgung. Das Gesetz zur Stärkung der Pflegeberufe hat den Fachkräftemangel gelindert, Pflegekräfte gelten als systemrelevant und haben Anspruch auf anständige Gehälter.
Die Sozialversicherungssysteme zu reformieren, war eine Mammutaufgabe. Aber sie ist geglückt, indem die Gesetzgeber eine einfache Regel zur Grundlage aller Reformen gemacht haben: Staatliches Geld bekommt nur noch, wer es wirklich benötigt. Dank dieses Solidarprinzips gehören verarmte Rentner ebenso der Vergangenheit an wie junge Leute, die sich kein Studium leisten können. Wer jedoch arbeiten kann, hat zwar Anspruch auf Aus- und Weiterbildungstipps, aber nicht mehr auf dauerhafte Staatsschecks. Auch Flüchtlinge nicht. Das Bürgergeld bleibt Menschen vorbehalten, die chronisch krank sind, allein Kinder erziehen oder Angehörige pflegen. Das Kindergeld ist deutlich aufgestockt worden.
Apropos Kinder: Auch die Lage an den Schulen hat sich bundesweit verbessert. Mit Geld aus einem teils privaten, teils staatlichen Förderfonds wurden baufällige Gebäude renoviert und Klassen flächendeckend mit Computern und WLAN ausgestattet. Prüfungen und Abschlüsse sind nun bundesweit einheitlich. Zugleich hat eine Rückbesinnung auf den klassischen Bildungskanon das Ausbildungsniveau gehoben: Kein Jugendlicher verlässt mehr die Schule, ohne die Gedichte von Goethe, Schiller und Shakespeare, die Meisterwerke Bachs und Mozarts zu kennen und grundlegendes Wissen in den Naturwissenschaften zu besitzen. Auch politische Bildung zählt zum Standard.
Außenpolitisch waren die Herausforderungen größer, aber im Verbund mit den EU-Partnern hat Deutschland sie gemeistert. Weil nun sämtliche EU-Entscheidungen mit Mehrheitsbeschluss gefällt werden, spielen die Erpressungsversuche der ungarischen Regierung keine Rolle mehr. Die EU-Staaten betreiben eine gemeinsame Rüstungsproduktion und unterhalten eine schnelle Einsatztruppe; gemeinsame Kommandostrukturen verbinden die nationalen Armeen. Sie sind mit der Nato verzahnt, können aber auch eigenständig agieren. Dank verstärkter europäischer Unterstützung hat die Ukraine die russischen Eroberer aufgehalten und einen kalten Frieden errungen. Nun bereitet sie sich auf den Nato-Beitritt vor und setzt rechtsstaatliche Reformen um.
Das alles klingt irgendwie ganz gut, finden Sie? Das Beste kommt erst noch: Alle diese Vorstellungen mögen zwar hochgesteckt und holzschnittartig daherkommen. Aber sie müssen in einem wohlhabenden und einflussreichen Land keine Utopie bleiben, wenn genügend tatkräftige Menschen bereit sind, die gegenwärtigen Probleme endlich anzupacken und den Gordischen Knoten zu durchschlagen, der Deutschland fesselt. Dafür müssen manche Leute über ihren Schatten springen, manche ihren Pessimismus beerdigen und manche bereit sein, ihren Wohlstand zu teilen. Aber mit Entschlossenheit, Kompromissbereitschaft und Solidarität geht es.
Wie stellt man so eine gesellschaftliche Aufbruchstimmung her? Logischerweise setzt der Hebel bei den Jungen an: Bei den Menschen, die heute am Anfang ihres Berufs- oder Ausbildungswegs stehen und morgen die Entscheidungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft treffen werden. Deshalb ist die Veranstaltung so begrüßenswert, zu der mehrere Hochschulen heute gemeinsam mit dem Europaparlament und der EU-Kommission einladen: Unter dem Titel "Utopie Europa" debattieren Studenten der Universitäten Gießen, Hamburg, Mannheim und Rostock über die Frage, wie sich die Ausbildung in Europa grenzüberschreitend verbessern lässt, um die großen Zukunftsfragen zu lösen. Vier Teams treten gegeneinander an, die besten Ideen werden von Experten bewertet.
Und dann? Muss man nur noch mit der Umsetzung beginnen.
Ohrenschmaus
Was passt zu positiven Aussichten? Zum Beispiel dieser Klassiker.
Prekärer Gipfel
Israels Premier Netanjahu lässt einen Angriff nach dem anderen auf den Libanon niedergehen. Das Ziel sollen Hisbollah-Kämpfer sein, doch im Bombenhagel sterben auch viele Zivilisten. Tausende Menschen fliehen, Krankenhäuser sind überfüllt. Die explosive Lage im Nahen Osten steht im Zentrum der Debatte, wenn heute in New York die einwöchige Vollversammlung der Vereinten Nationen beginnt. Zum größten diplomatischen Treffen des Jahres werden mehr als 130 Staats- und Regierungschefs erwartet. Außenministerin Annalena Baerbock ist für Deutschland dabei.
Lesetipps
Der Kreml überzieht nicht nur die Ukraine mit Tod und Verderben, er führt auch einen hybriden Krieg gegen Deutschland. Wie perfide Putin dabei vorgeht und wer ihm hierzulande auf den Leim geht, erklären die Russlandexperten Gesine Dornblüth und Thomas Franke im Interview mit Marc von Lüpke und mir.
Die Grünen stecken nach der Brandenburg-Wahl tief in der Krise. Wie kommen sie da wieder heraus? Unser Reporter Johannes Bebermeier hat sich umgehört.
So entwickeln sich die Heizkosten: Manche Bürger müssen draufzahlen, andere werden entlastet. Das zeigt der aktuelle Heizspiegel, den die gemeinnützige Beratungsgesellschaft CO2-Online berechnet. Meine Kollegin Jennifer Buchholz hat ihn exklusiv bekommen und zeigt Ihnen, womit Sie in den kommenden Monaten rechnen sollten.
Zum Schluss
Die AfD hat in Brandenburg triumphiert? Von wegen.
Ich wünsche Ihnen einen zuversichtlichen Tag.
Herzliche Grüße und bis morgen
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
Mit Material von dpa.
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