Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Tagesanbruch Tödliches Drama in der Tiefe

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Die Supermärkte leeren sich, dafür ist auf den Autobahnen die Hölle los. Die Leserzahlen auf Nachrichten-Websites sinken, während der Buchverkauf steigt. Kein Zweifel, die Urlaubszeit ist angebrochen. Sogar Politiker schalten einen Gang zurück: Wer nicht gerade zum Sommerinterview gebeten wird, muss sich schon einen Knüller ausdenken, um in die Schlagzeilen zu kommen, die Rente mit 45, eine Krokodil-Sichtung im Baggersee oder dergleichen.
Sicher, die großen Krisen gehen auch im Sommer weiter: Putin bombardiert ukrainische Zivilisten, die israelische Armee macht Jagd auf Palästinenser, und Mister Trump macht auch immer irgendwas. Aber das Dauerfeuerwerk der innenpolitischen Debatten ist vorübergehend abgeflaut. Man merkt das auch daran, dass anders als sonst nicht jeden Morgen eine neue Sau durchs Nachrichten-Dorf getrieben wird, sondern Journalisten bemüßigt sind, Altbekanntes beharrlich am Köcheln zu halten. So wird der Konflikt um die Berufung einer Verfassungsrichterin zur "Koalitionskrise" hochgejazzt und der Kanzler angezählt, als mache er schon den Scholz. Ich hoffe auf Ihr Einverständnis, wenn ich da nicht mitmache. Die Zeiten sind kompliziert, aber zu Wehgeschrei besteht bislang kein Anlass.
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Was freilich nicht bedeutet, dass es nichts gäbe, worüber man sich ereifern kann. Auf eine erschreckende, aber weitgehend unbeachtete Entwicklung hat mich eine ehemalige Kollegin hingewiesen, die ihren Job in unserer Redaktion an den Nagel gehängt hat, um fortan auf einer Kanarischen Insel zu leben. Ich war ein bisschen neidisch, als sie mir vor anderthalb Jahren ihre Entscheidung offenbarte – aber was sie mir nun während ihres Urlaubs in der deutschen Heimat berichtete, hat mich eher beunruhigt als begeistert.
Die Kollegin ist bekennende Tierschützerin und kann von einem skandalösen Vorgang erzählen: Vor den Küsten der Kanaren stranden immer wieder tote Pottwale – blutend, zerrissen, verstümmelt. Allein vor Teneriffa wurden kürzlich zwei kläglich verendete Tiere gefunden, darunter ein Junges. Forscher vermuten, dass sie Opfer der Fährschiffe wurden, die Tag für Tag durch die Gewässer pflügen: Demnach haben die Schiffsschrauben die Meeresriesen zerfetzt. Ihre Kadaver sehen aus, als seien die Tiere in einen Schredder geraten. Mittlerweile ist die gesamte Walpopulation der Region bedroht.
Nun ist es nicht so, dass die Bewohner der Kanaren rücksichtsloser mit Tieren umgehen als Menschen andernorts. Wer einmal eine Dokumentation über einen Schweineschlachtbetrieb oder eine Küken-Vernichtungsanlage gesehen hat, kann ins Zweifeln kommen, ob uns Menschen wirklich so viel von Wölfen und Hyänen unterscheidet.
Die Schilderung meiner Kollegin ging mir trotzdem unter die Haut, weil ihr Engagement für das Wohl der Wale so aufrichtig und unbeugsam daherkommt. Durch ihre Erzählungen begriff ich: Das Drama vor den Kanaren steht exemplarisch für den Umgang des Menschen mit Tieren weltweit. Wo der Profit lockt, schwindet die Rücksicht. Wo die Geschwindigkeit zählt, geht die Empathie verloren. Es ist dieselbe Haltung, die aus Wäldern Plantagen macht, Massentierhaltung zur industriellen Selbstverständlichkeit erklärt und das Artensterben als "Kollateralschaden" des Wirtschaftswachstums verharmlost.
So gesehen sind die bedrohten Pottwale vor den Kanarischen Inseln ein Lehrstück: Trotz unermüdlicher Warnungen von Forschern und Tierschutzorganisationen reagieren Reedereien kaum. Tempolimits für Schiffe in Küstennähe werden nicht umgesetzt, alternative Routen nicht ernsthaft diskutiert. Stattdessen wird weiter beschleunigt – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn.
Viele tragen dafür eine Mitverantwortung: Touristen, die Fähren nutzen, ohne zu fragen, welche Spuren diese hinterlassen. Politiker, die Schutzvorschriften auf die lange Bank schieben. Und eine Öffentlichkeit, die Meldungen von zerfetzten Walen bestenfalls achselzuckend zur Kenntnis nimmt.
Dabei gäbe es Auswege: Tempolimits in fischreichen Seegebieten, verpflichtende Umwege um sensible Habitate, akustische Frühwarnsysteme. Doch all das scheitert an der Weigerung, Tiere als unsere Mitbewohner auf diesem Planeten zu respektieren. Die malträtierten Pottwale vor den Kanaren zeigen, wohin die menschliche Ignoranz führt: zu Leid, Tod und dem schleichenden Verschwinden imposanter Arten. Der Mensch hat das Meer in ein Schlachthaus verwandelt, in dem sich jede Minute tödliche Dramen abspielen. Darwins Nahrungskettenprinzip vom "Fressen und gefressen werden" ist keine Entschuldigung für diesen Massenmord.
Vielmehr ist es an der Zeit, umzudenken. Nicht nur wegen der Wale, auch im Hinblick auf Bienen, Füchse, Eisbären und all die anderen bedrohten Tiere. Lassen wir sie sterben, beerdigen wir auch Respekt, Mitgefühl und Verantwortung. Und machen unseren Planeten ärmer.
EU macht dicht
Der Mann meint es ernst: Erst am vergangenen Freitag lud Innenminister Alexander Dobrindt gleichgesinnte EU-Amtskollegen auf die Zugspitze ein, um über Verschärfungen in der Asylpolitik zu diskutieren. Zeitgleich startete der erste Abschiebeflug der schwarz-roten Bundesregierung nach Afghanistan. Gestern besuchte der CSU-Ressortchef seinen polnischen Amtskollegen Tomasz Siemoniak, um sich ein Bild von den Schutzeinrichtungen an der Grenze zu Belarus zu machen. Und heute reist er zu einem zweitägigen Treffen der Justiz- und Innenminister der Europäischen Union nach Kopenhagen, bei dem es ebenfalls um die Migrationspolitik geht.
Dort muss sich zeigen, ob die neue Härte auch in der großen Runde eine Mehrheit findet. Nicht auf der Zugspitze präsent waren schließlich Belgien, die Niederlande und Luxemburg sowie Länder wie Italien und Griechenland, die die meisten Migranten in der EU als Erstes betreten. Insgesamt aber scheint sich die Bereitschaft zu rigideren Rückführungspraktiken, darunter die Einrichtung von "Return-Hubs" in Drittstaaten, immer stärker durchzusetzen. Deutschland, so hat es Dobrindt formuliert, soll dabei "nicht mehr im Bremserhäuschen" sitzen, sondern "in der Lokomotive mit dabei" sein. Warnungen vor ausgehöhlten Grundrechten haben demgegenüber gerade einen schweren Stand.
Außenkanzler im Innendienst
Die Herren sind beide noch nicht lange im Amt, kennen sich aber durchaus: Unter anderem haben Friedrich Merz und der niedersächsische Ministerpräsident Olaf Lies bereits Ende Juni um die Details des "Investitionsboosters" und Ausgleichszahlungen für die Länder gerungen. Weil sich der zuletzt als Außenkanzler geschmähte Regierungschef aber Antrittsbesuche in allen 16 Bundesländern verordnet hat, steht für ihn heute ein Termin in Hannover im Kalender. Geplant sind ein Treffen mit den Mitgliedern des rot-grünen Landeskabinetts, bei dem die Themen Energiepreise und Industriestrom zur Sprache kommen dürften, sowie eine Begegnung mit Volkswagen-Vertretern, die der Handelsstreit mit den USA umtreibt. Ganz ohne internationales Flair muss Merz dennoch nicht auskommen: Am frühen Abend empfängt er in Berlin den Ministerpräsidenten der Tschechischen Republik, Petr Fiala.
Knallhart strampeln
Zwei Rundfahrtwochen und 15 Etappen haben die verbliebenen Tour-de-France-Radler schon hinter sich, gestern gönnte ihnen das Planungskomitee einen Ruhetag. Heute jedoch steht der berüchtigtste Berg des Weltradsports auf dem Programm: Es geht auf den Mont Ventoux, den kahlen Riesen der Provence. Auf der Strecke mit teils zwölf Prozent Steigung wird womöglich die Vorentscheidung darüber fallen, ob dem in Führung liegenden Slowenen Tadej Pogačar sein Vorsprung von 4:13 Minuten reichen wird, oder ob sein dänischer Herausforderer Jonas Vingegaard doch noch mal angreifen kann. Auf Platz drei liegt der verblüffend starke deutsche Nachwuchsfahrer Florian Lipowitz mit einem Rückstand von nur 7:53 Minuten.
Lesetipps
Suchen Sie ein gutes Buch für die Urlaubszeit? Dann haben meine Kolleginnen und ich goldrichtige Empfehlungen für Sie.
Friedrich Merz verantwortet eine Leerstelle: Die Klimapolitik der Union trägt so wenig wie die rot-grüne, meint unser Kolumnist Uwe Vorkötter.
Der Unternehmer Wolfgang Grupp erntet Anteilnahme, weil er freimütig über seinen Suizidversuch schreibt. Warum ist es so schwer, dem Leben nach dem Job Sinn abzugewinnen, fragt sich unser Kolumnist Gerhard Spörl.
Während Politiker über die Aktivrente diskutieren, arbeiten etliche Rentner schon heute. Was motiviert Menschen, im Alter weiter tätig zu sein? Hier schildern t-online-Leser ihre Erfahrungen.
Ohrenschmaus
Der Urlaub steht vor der Tür, ich kann die Abfahrt kaum erwarten. Jimi hat den Song dazu.
Zum Schluss
Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.
Herzliche Grüße und bis morgen
Ihr
Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de
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Mit Material von dpa.