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Russland: Medwedew über Ende des Ukraine-Kriegs: – Das sagt ein Experte


Militärexperte über Medwedew
"Ein Eröffnungsschachzug für Verhandlungen"

InterviewVon Tobias Eßer

Aktualisiert am 27.05.2023Lesedauer: 5 Min.
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Dmitrij Medwedew, Vizepräsident des russischen Sicherheitsrates: Der Politiker hat drei Szenarien aufgezeichnet, wie der Krieg in der Ukraine aus russischer Sicht enden könnte. (Quelle: IMAGO/Yekaterina Shtukina)

Russlands Ex-Präsident Dmitri Medwedew hat Vorschläge zum Ende des Ukraine-Krieges gemacht. Militärexperte und Oberst a.D. Ralph Thiele ordnet sie ein.

Am Donnerstag überraschte Dmitri Medwedew, ehemaliger russischer Präsident und heute Vizechef des russischen Sicherheitsrats, mit drei Vorschlägen, wie der weitere Kriegsverlauf in der Ukraine aussehen könnte.

In seinem favorisierten Vorschlag wird die Ukraine zerschlagen. Die westlichen Regionen der Ukraine würden in verschiedene Nato-Staaten eingegliedert, die östlichen Regionen in Russland – und die Einwohner der Zentralukraine könnten über ihre Staatszugehörigkeit abstimmen.

Außerdem gebe es die Möglichkeit, dass ein Teil der Ukraine der EU oder der Nato beitrete. Dann sei laut Medwedew allerdings mit weiteren Kampfhandlungen zu rechnen. Als dritte Möglichkeit stellt er eine Aufteilung der Ukraine in den Raum – regiert würde ein Teil des dann gespaltenen Landes von einer temporären Exilregierung in Europa.

Wie sind Dmitri Medwedews Vorschläge zu bewerten? Wie könnte der Krieg in der Ukraine enden? Welche Rolle spielt Deutschland in möglichen Friedensverhandlungen? Darüber hat t-online mit dem Militärexperten und Oberst a.D. Ralph Thiele gesprochen.

t-online: Herr Thiele, wie bewerten Sie die Vorschläge von Dmitrij Medwedew zum möglichen Ende des Ukraine-Krieges?

Ralph Thiele: Medwedew oszilliert hier. Er spricht die hanebüchenen Dinge aus, die sonst niemand im russischen Machtapparat sagt. Gleichzeitig ist er allerdings auch der Diener seines Herren und testet für Putin, wann der Westen zu Verhandlungen bereit wäre.

Warum wirft Medwedew seine Vorschläge gerade jetzt in den Raum?

Er hat gemerkt, dass Gedanken darüber, wann der Krieg gegen die Ukraine enden kann, derzeit im Westen en vogue sind. Auch als Hauptbetroffener: Die Ukraine bestimmt nicht, wann der Krieg endet. Diese Rolle schreiben die Russen wohl zu Recht den USA zu – und auch deshalb ventiliert Medwedew diese Szenarien vom Ende des Krieges in den Westen.

Was bezweckt Medwedew mit seinen drei Szenarien?

Wir befinden uns in einem Informationskrieg. Die Russen sagen nicht die Wahrheit, um ihre Bevölkerung und uns zu täuschen; die Ukraine auch nicht – um sich zu schützen und unsere fortgesetzte Unterstützung zu sichern. Ähnliches gilt für Deutschland, andere europäische Länder und die Amerikaner, die ihre Bevölkerung sehr zurückhaltend und zur Unterstützung motivierend über Kriegsverlauf, -kosten und -risiken informieren.

Uns jetzt mit Hoffnung auf den Frieden auseinanderzudividieren, wäre natürlich ein nützliches Nebenprodukt für Medwedew. Aber ich glaube eher, dass er mit seinen Vorschlägen den Eröffnungsschachzug für denkbare Verhandlungen macht.

In den USA haben Kissinger und Mearsheimer sich gerade prominent in eine diesbezügliche Debatte eingebracht. Ihr Kernargument: Kein Mensch kann wirklich daran glauben, dass die Ukraine die von Russland eroberten Gebiete vollständig zurückerobern kann – deshalb müssen wir uns fragen, wann und wie der Krieg enden kann. Der amerikanische Generalstabschef hat übrigens kürzlich online vor den Mitgliedern der Ramstein-Gruppe ähnlich argumentiert.

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Wie könnte der Krieg denn Ihrer Meinung nach zu einem Ende kommen?

Vorab eine Feststellung. Dieser Krieg kostet die Ukraine jeden Tag Menschenleben, Zukunft und infrastrukturelle Substanz. Auch Menschen in Afrika und Asien bekommen über gestiegene Kosten für Energie, Saatgut und Futtermittel den Krieg sehr schmerzhaft zu spüren. Verantwortliche Politik muss darauf abzielen, all dies möglichst schnell und nachhaltig zu beenden.

Lassen Sie mich vier mögliche Szenarien für den weiteren Kriegsverlauf skizzieren. Das Erste wäre ein immerwährender Krieg. Die Waffenlieferungen gehen weiter. Niemand setzt sich an den Verhandlungstisch. Ein Schrecken ohne Ende.

Die zweite Variante ist ein Kriegsverlauf mit ukrainischen Erfolgen. Dieser könnte angesichts einer drohenden russischen militärischen Niederlage in der nuklearen Eskalation durch Russland münden. Wenn Russland sein atomares Arsenal – in welcher Form auch immer – einsetzt, ist Schicht im Schacht. Würden bzw. sollten die Amerikaner über die Ukraine einen nuklearen Weltkrieg beginnen? Ein Ende mit Schrecken?

Als dritte Variante wäre ein russischer Sieg über die Ukraine zu nennen. Der Westen will dies nicht zulassen.

Als letzte Möglichkeit könnte es Friedensverhandlungen geben. In denen ginge es vornehmlich um die Krim und den Donbass und den künftigen Status der Ukraine, z.B. auch um deren Mitgliedschaft in der EU und/oder der Nato. Um in diesen Verhandlungen zu vermitteln, bräuchte es einen internationalen Ansatz, vermutlich unter Mitwirkung von China.

Glauben Sie, dass Russland seinen Anspruch auf die gesamte Ukraine aufgibt?

Die Frage geht am Kernproblem des Konflikts vorbei. Russland will nicht die ganze Ukraine. Davon ist etwa der führende amerikanische Politikwissenschaftler John Mearsheimer überzeugt. Es geht Putin um den Donbass und die Krim. Vor allem aber will er mehr Abstand zu den USA.

In den vergangenen Jahren sind die Amerikaner den Russen aus Moskauer Perspektive zu sehr auf den Pelz gerückt. Gemeinsam mit China sieht sich Russland als Opfer einer westlichen hybriden Aggression, die über den Zugang zu Technologie, Finanzen, Handel, soziale Medien und den Cyberraum ausgetragen wird. In der Ukraine sieht sich Putin inzwischen in einem Stellvertreterkrieg mit der Nato. Dies verdeutlicht im Kern den Spielraum für einen möglichen Interessenausgleich: Abstand von den USA und der Nato; verbindliche Sicherheitszusagen für die Ukraine; ein territorialer Kompromiss.

Wie blickt der Rest der Welt auf den Westen?

Zu denken geben sollte uns in den westlichen Demokratien, dass – so Präsident Macron – der Globale Süden das Vertrauen in uns verloren hat. Staaten wie Indien, Südafrika und Brasilien wollen uns nicht in den Kampf gegen den russischen Aggressor folgen. Man nimmt uns unsere wertegeleitete Politik nicht ab und hält sie aus schlechter Erfahrung für einen Vorwand zur Durchsetzung westlicher Wirtschaftsinteressen, die wir – wenn erforderlich – auch mit einer Blutspur verfolgen.

Ebenso ist dort die auf Regeln basierende Weltordnung in Verruf. Denn diese begründet westliche Dominanz in den internationalen Beziehungen. Die Länder des Globalen Südens legen jedoch Wert auf strategische Autonomie. Sie verfolgen ihre eigenen Interessen und Werte innerhalb der internationalen Institutionen und stellen das westliche Verständnis von Legitimität und Fairness infrage. Nicht zuletzt deshalb lassen sie sich nicht in einen Konflikt zwischen Russland und den USA hineinziehen.

Welche Rolle spielt Deutschland im Hinblick auf mögliche Friedensverhandlungen?

Deutschland verpasst es bislang, sich vernehmlich in die strategische Diskussion einzubringen, die in den Vereinigten Staaten geführt wird. Dabei ist die Bundesrepublik nach der Ukraine gemeinsam mit der Europäischen Union ein Hauptbetroffener jeglicher Kriegsfolgen. In der amerikanischen Diskussion geht es übrigens nicht nur zwingend um den Frieden.

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Dort gibt es quer durch alle politischen Lager, egal ob bei den Demokraten oder bei den Republikanern, den Wunsch, Russland plattzumachen. Aber es gibt eben auch Skepsis, inwieweit ein langjähriger Krieg den nationalen Interessen der USA nutzt. Denn die Auseinandersetzung mit China ist für die USA die deutlich größere Herausforderung. Der führende Thinktank RAND hat dies kürzlich unüberhörbar artikuliert.

Deutschland und Europa haben demgegenüber keine strategische Debatte. Das ist bedauerlich. Denn sie drohen darüber unter die Räder zu geraten – nicht nur sicherheitspolitisch, sondern auch technologisch und ökonomisch.

Verwendete Quellen
  • Telefoninterview mit Ralph Thiele
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