t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikUkraine

Ukraine-Krieg: Personalmangel beim Militär – warum die Mobilisierung stockt


Bericht über Lage an der Front
Ukraine muss immer mehr ältere Männer in den Krieg schicken

Von t-online, lec

Aktualisiert am 21.12.2023Lesedauer: 3 Min.
Ukrainischer Soldat an der Front im Süden des Landes.Vergrößern des BildesUkrainischer Soldat an der Front im Süden des Landes (Archivbild): Die meisten neuen Rekruten der Ukraine sind zwischen 40 und 50 Jahre alt. (Quelle: reuters)
Auf Facebook teilenAuf x.com teilenAuf Pinterest teilen
Auf WhatsApp teilen

Die Ukraine ist auf neue, junge Rekruten angewiesen. Derzeit kämpfen hauptsächlich ältere Männer. Ein Bericht gibt Aufschluss, weshalb die vollständige Mobilisierung stockt.

Im Kampf gegen Russlands Angriffskrieg setzt die Ukraine besonders auf Soldaten mittleren Alters, während jüngere wehrfähige ukrainische Männer häufig in den Großstädten zurückbleiben. Wie das US-Magazin "The Wall Street Journal" berichtet, spielen bei der Rekrutierung älterer Männer auch Korruption und Klassenunterschiede eine Rolle.

Im Gespräch mit dem US-Magazin berichtet der 47-jährige ukrainische Soldat Dubok, wie er im Militär genannt wird, über seine Zwangsrekrutierung. Dubok sei auf dem Weg zum Friseursalon in seiner kleinen Heimatstadt gewesen, als drei Rekrutierungsbeamte ihn gepackt hätten.

Die drei Soldaten sollen Dubok in ihr Auto gedrängt und ihn anschließend zwei Tage lang in einem dunklen Raum des örtlichen Dienstzentrums festgehalten haben, bis er seiner Rekrutierung zustimmte. "Ich habe meinen Haarschnitt dann im Trainingslager bekommen", erklärt Dubok dem "Wall Street Journal".

Vom Ingenieur zum Infanterist

Dubok habe aufgrund seines professionellen Hintergrunds angeboten, als Techniker hinter der Front zu arbeiten. Damals arbeitete er als Elektroingenieur. Jedoch müssten Rekruten für einen weniger gefährlicheren Job in der Armee Bestechungsgelder zahlen. Stattdessen sei er einer Infanterieeinheit zugeteilt worden, die schon seit Kriegsbeginn im Einsatz gewesen sei. Laut dem Bericht des "Wall Street Journals" hat Duboks Einheit, die 47. mechanisierte Brigade, auch die Stadt Awdijiwka gegen die russische Armee verteidigt.

Rund um Awdijiwka finden die derzeit größten Schlachten im Ukraine-Krieg statt. "Physisch kann ich das nicht mehr verkraften", sagte Dubok dem "Wall Street Journal" über den Frontkampf. "Ich bin tief enttäuscht darüber, dass ich nicht mehr 20 bin".

Ukraine leidet unter Personalmangel

Nach fast zwei Jahren im Krieg gegen Russland leidet die Ukraine unter erheblichem Personalmangel. Wie der Bericht des "Wall Street Journals" nahelegt, hätten sich die motiviertesten Kämpfer zu Kriegsbeginn freiwillig gemeldet.

Diejenigen von ihnen, die nicht getötet oder verwundet wurden, seien oftmals erschöpft. Russland hingegen könne durch seine deutlich größere Bevölkerung auf mehr Rekruten zurückgreifen, um die eigenen Verluste auszugleichen und erschöpfte Soldaten auszutauschen.

Zudem habe die Ukraine aufgrund eines maroden Wehrsystems Probleme, wehrfähiges Personal zu mobilisieren und die Mobilisierungslast gleichmäßig auf die gesamte Gesellschaft zu verteilen. Laut dem "Wall Street Journal" sind Korruption, Ausnahmen und politische Vorsicht dafür verantwortlich, dass ein Großteil der städtischen Mittelschicht davor geschützt werde, an der Front im Osten des Landes kämpfen zu müssen. Umso härter treffe es Männer mittleren Alters aus einkommensschwächeren Regionen des Landes – oftmals aus Dörfern und Kleinstädten.

Video | Ein ukrainischer Kommandeur verrät Details über Kämpfe an der Front
Player wird geladen
Quelle: t-online

Fitnessstudio statt Kampf fürs Vaterland

Erfahrene ukrainische Soldaten, die schon seit 2022, teils sogar seit 2014 gegen Russland kämpfen, seien frustriert über neue Rekruten, die den Höhepunkt ihrer physischen Leistungsfähigkeit bereits überschritten hätten.

"Die Qualität der Ersatzleute ist nicht gut. Es sind ländliche Männer im Alter von 43 bis 50 Jahren, manchmal mit gesundheitlichen Problemen", erklärt ein erfahrener Infanterist dem "Wall Street Journal".

Viele der Männer an der Front seien enttäuscht, dass viele wehrfähige Männer in ihren Zwanzigern und Dreißigern ihre Zeit in Fitnessstudios, Bars oder Restaurants verbringen würden, anstatt an der Front zu helfen. Laut Soldaten an der Front könne daher nicht von einer vollständigen Mobilisierung der ukrainischen Gesellschaft die Rede sein.

500.000 neue Rekruten für die Ukraine?

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gab am Dienstag bekannt, dass das Militär ihn um bis zu 500.000 zusätzliche Soldaten gebeten habe. Er betonte, dass noch keine Entscheidung getroffen worden sei und bezeichnete das Thema als "sehr sensibel". Zudem merkte er an, dass viele Soldaten demobilisiert werden müssten, die schon lange im Kampfeinsatz seien.

Nach Angaben des ukrainischen Verteidigungsministers kämpfen zurzeit etwa 800.000 Menschen in der ukrainischen Armee. Die Opfer im Krieg würden nicht öffentlich gemacht, die Bevölkerung sei sich jedoch bewusst, dass der Krieg viele Menschenleben fordere. Zudem seien die Nachrichten von der Front für viele Bürger – darunter potenzielle neue Rekruten – entmutigend.

Loading...
Symbolbild für eingebettete Inhalte

Embed

Kommandeure der ukrainischen Armee würden weiter auf kostspielige sowjetische Angriffstaktiken setzen, die Angst vor einer Einberufung verstärken. Auch Dubok betont im Gespräch mit dem "Wall Street Journal", die Menschen hätten erkannt, dass man "als Infanterist nicht unbedingt bis zum Ende des Krieges überlebt".

Reform des Rekrutierungsprozesses

Viele junge ukrainische Männer hätten daher Schmiergelder gezahlt, um über die Grenze zu kommen und die Ukraine zu verlassen. Die größten Korruptionsprobleme bestünden bei den Einberufungsämtern. Berichte ukrainischer Nachrichtenportale legen nahe, dass Präsident Selenskyj im August dieses Jahres alle 24 regionalen Einberufungschefs der Ukraine entlassen hat.

Nun plant das ukrainische Verteidigungsministerium Reformen, um die Armee und Rekrutierungsprozesse zu erneuern. Dazu gehören die Einstellung von Personalvermittlungsunternehmen und die Einrichtung eines nationalen digitalen Registers wehrfähiger Männer, um den Wehrdienst transparenter zu machen und Umgehungen zu erschweren.

Verwendete Quellen
  • wsj.com: "Ukraine’s Front-Line Troops Are Getting Older: ‘Physically, I Can’t Handle This’" (englisch)
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website