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Schlacht um Midway 1942: "Binnen Minuten erlebten die Japaner das Inferno"


Schlacht um Midway
"Japans wichtigste Waffen wurden in fünf Minuten vernichtet"

InterviewVon Marc von Lüpke

Aktualisiert am 04.06.2022Lesedauer: 7 Min.
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Schlacht um Midway: Die US Navy konnte Japan eine empfindliche Niederlage beibringen.Vergrößern des Bildes
Schlacht um Midway: Die US Navy konnte Japan eine empfindliche Niederlage beibringen. (Quelle: United Archives/TopFoto/dpa-bilder)

Der japanische Siegeszug im Pazifik schien seit Pearl Harbor unaufhaltsam. Doch dann kam es im Juni 1942 bei Midway zu einer der größten Seeschlachten der Geschichte. Sie endete für Japan in der Katastrophe.

Japan hatte die Amerikaner am 7. Dezember 1941 mit dem Überfall auf Pearl Harbor gedemütigt, dann holten die USA zum Gegenschlag aus. In der Schlacht um Midway gingen der US Navy am 4. Juni 1942 vier japanische Flugzeugträger in die Falle.

Niemals zuvor waren derart viele dieser gigantischen Kriegsschiffe gegeneinander in einer Schlacht angetreten. Historiker Takuma Melber erklärt, wie die Schlacht um Midway den Lauf des Zweiten Weltkriegs änderte. Und was die Lehre aus diesem globalen Konflikt auch für unsere Zeit hätte sein müssen.

t-online: Herr Melber, seit dem japanischen Überfall auf den amerikanischen Flottenstützpunkt Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 sannen die USA auf Revanche. Am 4. Juni 1942 war es mit der Schlacht um Midway so weit. Was geschah damals in den Weiten des Pazifiks?

Takuma Melber: Bei Midway erlitt Japans Kriegsmarine ein militärisches Desaster. Das umso größer war, da die Japaner eigentlich überlegen gewesen sind. Sie führten vier große Flugzeugträger in die Schlacht, die Amerikaner verfügten nur über drei. Am Ende konnten die amerikanischen Streitkräfte aber alle vier japanischen Flugzeugträger ausschalten, sie selbst verloren nur einen. Von dieser Niederlage sollte sich Japan nie wieder erholen.

Der japanische Admiral Isoroku Yamamoto hat ziemlich viel riskiert, indem er gleich vier große Flugzeugträger bei Midway einsetzte. Japan verfügte zu diesem Zeitpunkt insgesamt nur über sechs dieser Einheiten.

Admiral Yamamotos Plan bestand darin, die US Navy aus der Reserve zu locken – und die Amerikaner in einer Entscheidungsschlacht niederzuringen. Yamamoto hätte auch gerne alle sechs großen Flugzeugträger bei Midway eingesetzt, wie er es bei Pearl Harbor getan hatte. Doch infolge der vorgehenden Schlacht im Korallenmeer Anfang Mai 1942 waren zwei Träger nicht einsatzfähig.

Die Schlacht im Korallenmeer war als erste Trägerschlacht der Geschichte ein Wendepunkt in der modernen Kriegsführung.

Die Folgen waren in der Tat sehr weitreichend, niemals zuvor hatten sich zwei feindliche Flotten hauptsächlich über die Kampfpiloten ihrer Flugzeugträger bekämpft, wie es im Mai 1942 im Korallenmeer geschehen ist. Bei dieser Schlacht gab es übrigens keinen eindeutigen Gewinner oder Verlierer.

Dr. Takuma Melber, Jahrgang 1983, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Koordinator des Masterstudiengangs Transcultural Studies am Heidelberg Centre for Transcultural Studies (HCTS) der Universität Heidelberg. Der deutsch-japanische Historiker ist Experte für die Geschichte des modernen Japans und des Zeitalters der Weltkriege im asiatisch-pazifischen Raum. 2016 veröffentlichte er sein Buch "Pearl Harbor. Japans Angriff und der Kriegseintritt der USA", ein Jahr später folgte "Zwischen Kollaboration und Widerstand. Die japanische Besatzung in Malaya und Singapur (1942-1945)".

Bei Midway waren dies allerdings eindeutig die Amerikaner. Was auch daran gelegen hat, dass die Japaner die USA unterschätzt haben.

Das ist richtig. Einerseits glaubte Admiral Yamamoto, dass die "USS Yorktown" im Korallenmeer ausgeschaltet worden wäre. Was sich als Irrtum erwies. So standen der US Navy mit der "USS Enterprise", der "USS Hornet" eben auch mit der "USS Yorktown" gleich drei große Flugzeugträger für die Schlacht um Midway zur Verfügung. Andererseits waren die USA mittlerweile auch imstande, den japanischen Marinefunkcode mitzulesen. Admiral Chester W. Nimitz, der Oberbefehlshaber der amerikanischen Pazifikflotte, war also über die japanischen Planspiele ziemlich gut informiert.

Und stellte wiederum den Japanern unter Admiral Yamamoto eine Falle.

Am frühen Morgen des 4. Juni 1942 bombardierte die erste japanische Angriffswelle den US-Stützpunkt auf Midway – ohne entscheidende Schäden zu verursachen. Da keine amerikanischen Flugzeugträger gesichtet wurden, entschied man sich auf dem japanischen Trägerflaggschiff "Akagi" dazu, die Bomber, die eigentlich für den Angriff auf Flugzeugträger gerüstet waren, nun für Bodenziele umzurüsten …

… was sich als fatal erweisen sollte.

Genau. Denn inmitten dieser Umrüstung sichtete ein Aufklärungsflieger nun doch eine aus zehn Schiffen bestehende US-Flotte. Also wurde die Umbewaffnung gestoppt, weil sich unter den amerikanischen Schiffen auch ein Flugzeugträger befand. Es war eine konfuse Situation, in der dann Entscheidungen gefällt worden sind, die sich als fatal erweisen sollten.

Weil die Japaner erst einmal die Maschinen wieder landen ließen, die Midway angegriffen hatten?

Man wollte den Piloten eine Notwasserung ersparen, also wurden die Decks zu diesem Zwecke geräumt, um sie landen zu lassen. Zeitgleich wurden die Maschinen der zweiten geplanten Angriffswelle, die Landbomben geladen hatten, jetzt endgültig mit Torpedos zur Bekämpfung des gesichteten amerikanischen Trägers bestückt. Dafür war es aber zu spät: Genau in dem Augenblick, als die letzten Flugzeuge der ersten Angriffswelle auf der "Akagi" landeten, trafen die von der "USS Enterprise" und der "USS Yorktown" gestarteten amerikanischen Bomber auf die japanische Trägerflotte. Binnen Minuten erlebten die Japaner das Inferno – die Flugzeugträger "Akagi", "Kaga" und "Sōryū" erlitten schwere Treffer. Japans wichtigste Waffen wurden in fünf Minuten vernichtet. So lässt es sich zusammenfassen.

Den Piloten des Flugzeugträgers "Hiryū" gelang es aber noch, die "USS Yorktown" anzugreifen.

Das war einer der wenigen Erfolge Yamamotos, zumal etwas später ein japanisches U-Boot die beschädigte "Yorktown" dann versenken konnte. Die "Hiryū" wiederum wurde von amerikanischen Piloten so schwer getroffen, dass das Schiff nicht mehr zu retten war. Damit war Japans Katastrophe in der Schlacht besiegelt.

Der Verlust an Schiffen war das eine, der Verlust an Piloten nahm noch eine ganz andere Dimension an.

In dieser Schlacht verlor Japan seine besten Piloten. Männer, die nicht mehr ersetzt werden konnten. Insgesamt betrug der Verlust auf japanischer Seite mehr als 3.000 Mann, die Amerikaner büßten rund 300 ein. Aber auch und gerade der Verlust der Flugzeugträger wog schwer. Die Kaiserlich Japanische Marine hatte zwei Drittel ihrer Flugzeugträger verloren. In den USA liefen die Werften hingegen auf Hochtouren, bald konnte die US Navy neue Flugzeugträger in Dienst nehmen.

Ohne die Flugzeugträger konnte Japan nicht mehr die Seewege kontrollieren.

Für die Kriegführung Japans war es entscheidend, dass über das Meer Ressourcen aus den eroberten Gebieten Asiens auf die japanischen Mutterinseln verschifft wurden. Nach Midway befand sich das Kaiserreich hingegen in einer neuen Rolle wieder: Japan, das bis dato die militärische Initiative innehatte, war nun zunehmend in die Defensive gedrängt. Dagegen hatten die US-Streitkräfte nun die militärische Oberhand inne. Sie sollten in der Folgezeit durch die Strategie des Inselspringens im Pazifik sukzessive gen Japan vorrücken.

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In Japan favorisierten Admirale lange Zeit eher Schlachtschiffe als Flugzeugträger. Warum war diese relativ neue Waffengattung so unbeliebt?

Gerade ältere Militärs hielten noch länger am Irrglauben maritimer Entscheidungsschlachten fest – so lässt sich auch der Bau der Superschlachtschiffe der Yamato-Klasse, "Musashi" und "Yamato", zwischen 1937 und 1944 erklären. Obwohl diese Ressourcen retrospektiv anderweitig sicher besser genutzt worden wären. Admiral Yamamoto hatte hingegen das Potenzial der Flugzeugträger erkannt: Sie kombinieren immense Reichweite mit Geschwindigkeit und Feuerkraft, was ganz neue Möglichkeiten der kombinierten Seekriegsführung eröffnete.

Wie etwa den japanischen Überfall auf Pearl Harbor im Dezember 1941? Admiral Yamamoto führte mittels seiner Trägerflotte einen verheerenden Angriff auf einen weit entfernten gegnerischen Stützpunkt inmitten des Pazifiks aus.

Genau. Admiral Yamamoto ist insgesamt eine sehr interessante historische Figur. Eigentlich war er ein Freund der USA und missbilligte Japans Kriegspläne, weil er den gewaltigen Ressourcenreichtum der Vereinigten Staaten sehr gut kannte. Und wusste, dass ein Krieg gegen die USA auf lange Sicht nicht zu gewinnen war. Seine Strategie sah es deshalb vor, mittels eines großangelegten Überraschungsangriffs im Winter 1941 dem Westen einen so harten Schlag im asiatisch-pazifischen Raum zu versetzen, dass Washington diplomatisch einlenken würde.

In der Gegenwart wird der Überfall auf Pearl Harbor oft als japanischer Fehlschlag interpretiert, weil die amerikanischen Flugzeugträger nicht zerstört werden konnten. Wie sehen Sie das?

Japans Angriff war schon ein beachtenswerter Schlag für die Vereinigten Staaten und ihre Pazifikflotte. Wir dürfen nicht vergessen, dass zahlreiche amerikanische Schlachtschiffe stark beschädigt und teils versenkt wurden. Dazu verloren die USA nahezu 200 Flugzeuge und hatten mehr als 2.400 Gefallene zu beklagen. Kurzfristig gesehen war der japanische Überfall also schon ein Erfolg, langfristig gesehen aber eben nicht. Unter anderem, weil die drei Flugzeugträger der US-Pazifikflotte nicht ausgeschaltet werden konnten. Wie durch ein Wunder befanden sie sich am Morgen des 7. Dezember 1941 nicht in Pearl Harbor.

Aber auch die dortigen Werften und Öllager vermochten die japanischen Flieger nicht zu zerstören.

Die Japaner hätten genau zu diesem Zweck eine dritte Angriffswelle starten müssen. Was aber unterblieb. So konnte die US Navy im Frühjahr 1942 beschädigte Schiffe instand setzen und sich zum Gegenschlag rüsten. Im Übrigen wäre auch eine Eroberung Pearl Harbors durch japanische Truppen ein denkbares Szenario gewesen. Noch während des Krieges haben einige japanische Kriegsplaner auch deutliche Kritik geäußert, dass dies unterblieben ist.

Bereits ein gutes halbes Jahr nach Pearl Harbor kam es dann zur Schlacht um Midway. War sie tatsächlich die "Entscheidungsschlacht" im Pazifikkrieg?

Midway war eine wichtige Schlacht, das steht außer Frage. Nicht außer Acht lassen dürfen wir vor allem die psychologische Wirkung auf die siegreichen Amerikaner und die unterlegenen Japaner. Aber überstrapazieren sollte man die Bedeutung Midways auch nicht. Auch ohne diese Schlacht hätten die USA über kurz oder lang Japan in die Knie gezwungen, ihr Ressourcenreichtum und ihre kriegswirtschaftliche Potenz waren einfach übermächtig.

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Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine erlebt die Welt in der Gegenwart eine Art Rückfall ins 20. Jahrhundert. Können uns die Lehren aus diesem Jahrhundert möglichweise zeigen, wie Aggressoren eingedämmt werden können? Vor dem Angriff auf Pearl Harbor hatten die USA etwa versucht, Japan mittels Sanktionen zu mäßigen.

Damals wie auch heute sind die erfolgten internationalen Reaktionen im Prinzip richtig – nämlich Aggressoren in Form einer drastischen Boykott- und Sanktionspolitik in die Schranken zu weisen. Allerdings wird dabei oft unterschätzt, wie weit aggressive Regime zu gehen bereit sind. Die USA haben 1941 nicht gedacht, dass Japan Pearl Harbor angreifen würde, die Europäer wollten bis zum 24. Februar 2022 nicht glauben, dass Wladimir Putin die Ukraine attackieren würde.

Was sollten demokratische und eigentlich friedliebende Staaten denn tun, um bei Verhandlungen mit Autokraten und Kriegsherrn ernstgenommen zu werden?

Ich möchte keinesfalls zum primären Einsatz militärischer Mittel aufrufen, doch die Politik täte gut daran, auch während harter und zäher diplomatischer Verhandlungen, die es ja auch im Vorfeld des Kriegs in der Ukraine gegeben hatte, zumindest militärische Szenarien als reale Optionen mitzudenken. Nichtdemokratische Systeme scheinen eher zum Zivilisationsbruch und zum Einsatz des Militärs als entscheidendes Mittel bereit zu sein – egal, ob es den Demokratien passt oder nicht. Diese Lehre sollte sowohl aus dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs als auch aus dem des Ukraine-Krieges 2022 gezogen werden.

Herr Melber, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Schriftliches Interview mit Takuma Melber
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