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Projekt "Onkalo" in Finnland: Diese Tunnel sollen das Kernkraft-Problem lösen


Ungelöste Endlager-Frage
Diese Tunnel sollen das größte Kernkraft-Problem lösen


Aktualisiert am 11.11.2022Lesedauer: 7 Min.
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Ein Tunnel im Endlager "Onkalo" in Finnland: Bereits 2025 sollen hier die ersten radioaktiven Abfälle entsorgt werden.Vergrößern des Bildes
Ein Tunnel im Endlager "Onkalo" in Finnland: Bereits 2025 sollen hier die ersten radioaktiven Abfälle entsorgt werden. (Quelle: POSIVA)

In Deutschland scheitert sie seit Jahrzehnten, in Finnland ist die Suche nach einem Atommüll-Endlager beendet. Ab 2025 soll "Onkalo" befüllt werden. Experten haben Bedenken.

"Wir haben eine Lösung, die ein Beispiel für die ganze Welt ist" – dieser nicht gerade bescheidene Satz prangt groß auf der Homepage der finnischen Firma Posiva. Das Unternehmen hat auf der Insel Olkiluoto im Westen Finnlands das erste europäische Atommüll-Endlager mehrere Hundert Meter tief in massiven Fels geschlagen. Bereits 2025 sollen dort die ersten atomaren Abfälle für immer in der Dunkelheit verschwinden.

"Atomenergie muss eine wichtige Rolle dabei spielen, der Menschheit zu helfen, den CO2-Ausstoß in der Energieproduktion zu verringern", sagt Posiva. Mit ihrem Endlager sei eines der Schlüsselprobleme in Bezug auf nachhaltige Atomenergie in Finnland gelöst. "Selbst die finnischen Grünen unterstützen die Nuklearenergie. Sie denken, dass es keinen Weg gibt, die Ziele beim Kampf gegen den Klimawandel zu erreichen ohne Nuklearenergie", sagte Pasi Tuohimaa, Sprecher bei Posiva, t-online bereits im Februar. Auch der Rückhalt in der Bevölkerung sei groß.

Posivas Begeisterung für die Atomkraft ist wenig überraschend. Die Firma ist ein Tochterunternehmen von TVO und Fortum, den Betreibern der finnischen Atomkraftwerke. Doch auch der Staat steht hinter der nuklearen Energiegewinnung. Erst im März ist ein neues Kraftwerk ans Netz gegangen. Ein weiteres war in Zusammenarbeit mit der russischen Atomenergieeagentur Rosatom geplant. Die finnische Regierung kündigte die Verträge allerdings im Mai aufgrund der russischen Invasion der Ukraine.

Mit seinem Kurs steht Finnland nicht allein da. Auch die EU hat die Atomkraft als grün eingestuft und will so Investoren anlocken. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verkündete gar die Renaissance der Atomkraft. Dient der Blick nach Finnland also als Vorbild?

Erfolgsgeschichte Finnland

Die Geschichte der Endlagerfindung in Finnland ist durchaus eine Erfolgsgeschichte. Die Regierung machte einen Plan für die Entsorgung der Abfälle seit den 1980er Jahren zur Voraussetzung für die Betriebserlaubnis eines Atomkraftwerks. Frühzeitig begannen die Unternehmen deshalb, Wissen zusammenzutragen und Standorte zu untersuchen.

Dabei erhöhte der Staat stetig den Druck: Er verbot den Export der Abfälle und sicherte den möglichen Standort-Gemeinden ein Vetorecht zu, um die Betreiber zu transparenter Kommunikation zu zwingen. 1999 fiel die Wahl schließlich auf Olkiluoto als Standort. Die Gemeinde stimmte zu. Gebaut wurde seit 2015. In drei Jahren soll die Endlagerung starten.

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Zwei Milliarden Jahre altes Gestein

Doch wie funktioniert das finnische Lager, das eins der größten Kernkraft-Probleme lösen soll? Gelagert wird der Atommüll in rund zwei Milliarden Jahre altem Granitgestein. Dazu hat das Unternehmen ein ganzes Tunnelsystem in den Fels hineingearbeitet. In einer Tiefe von 430 Metern sollen die strahlenden Abfälle für immer verschwinden.

Dazu werden die gebrauchten Brennstäbe in einer Fabrik direkt über dem Tunnelsystem in Kupferkanister verschweißt und danach mit einem eigens dafür konzipierten Fahrstuhl in die Tiefe hinabgelassen. Ferngesteuerte Fahrzeuge transportieren die Kanister dann in den Tunnel, in dem sie untergebracht werden sollen. Dort werden bereits vorher Löcher in die Erde gebohrt, in die die Transportfahrzeuge die Kanister mit einer Genauigkeit von wenigen Millimetern einlassen können.

Wundermittel Bentonit

Umgeben werden die Kanister in ihrem Loch von Bentonit. Dabei handelt es sich um ein tonartiges Gestein, das als zusätzliche Barriere dienen soll. Ist ein Tunnel mit der vorgesehenen Zahl an Atommüllbehältern gefüllt, wird auch der Tunnel selbst komplett mit Bentonit aufgefüllt. Sobald die Endlagerung beendet ist, was nach Berechnungen des Unternehmens in circa 100 Jahren der Fall sein wird, sollen auch die übrigen Tunnelsysteme mit Bentonit aufgefüllt werden, womit der Fels weitestgehend in seinen Ursprungszustand zurückversetzt werde.

Das Bentonit kommt zum Einsatz, weil es zwei Eigenschaften hat, die für die Endlagerung ausgesprochen nützlich sind: Zum einen schützt es die Kupferkanister vor kleineren Schlägen und Bewegungen im Gestein. Vor allem aber ist Bentonit in der Lage, Wasser zu absorbieren.

Damit will die Firma eines der größten Probleme, die eine Endlagerung in Granitgestein mit sich bringt, gelöst haben: In dem Gestein könne nämlich Wasser zirkulieren, erklärt Michael Sailer im Gespräch mit t-online. Sailer ist Ingenieur für technische Chemie, anerkannter Nuklearexperte und war unter anderem Vorsitzender der deutschen Entsorgungskommission sowie der Reaktor-Sicherheitskommission. Komme Wasser an die Kupferbehälter mit dem Atommüll, könnten diese korrodieren, undicht werden, und so könne Radioaktivität austreten.

Strenge Aufsicht

Zwar verspricht Posiva, bei der Standortauswahl auf besonders dichten Granit geachtet zu haben. Dennoch setzt die Firma mit dem saugfähigen Bentonit auf eine zusätzliche Sicherheitsbarriere, die unter anderem auch verhindern soll, dass Wasser durch die künstlich geschaffenen Tunnelsysteme fließen kann.

"Die Kunst wird sein, die Behälter und ihre Schweißung sowie die Bentonitsteine in hoher Qualität und ohne Fehler herzustellen", sagt Sailer. Er zeigt sich jedoch zuversichtlich. Die Firma verspreche, hohe Qualitätsmaßstäbe einzuhalten, und die finnische Aufsichtsbehörde, die über die Betriebserlaubnis für das Lager entscheiden werde, habe in Fachkreisen einen strengen Ruf, verrät er.

Keine Altlasten mehr

Das Konzept der finnischen Endlagerung erscheint als bestechend. Durch die Lagerung in dem mehrere Milliarden Jahre alten Gestein übernimmt die Natur die wesentliche Last der Endlagerung. Die Firma verspricht, mögliche Risiken für das Lager für mehr als 250.000 Jahre vorausberechnet zu haben. Demnach sei das Lager auch während einer Eiszeit noch sicher. Ist der Müll einmal begraben und das Lager wieder versiegelt, soll es ohne weitere Pflege auskommen. Künftige Generationen wären von den Altlasten der heutigen Energiegewinnung befreit.

Also Ende gut, alles gut? Auf in eine grüne und nachhaltige Zukunft mit der Atomkraft, wie es die Firma verspricht und die EU es sich erhofft? Ganz so einfach ist es leider nicht. Denn gerade das Versprechen, sich künftig nicht mehr um das Lager kümmern zu müssen, beurteilen einige Experten kritisch.

"Das ist nicht mehr aktuell"

Zu ihnen zählt der Schweizer Geologe Marcos Buser. Er war unter anderem Mitglied der Expertenkommission für das Schweizer Endlagerprojekt und der Eidgenössischen Kommission für nukleare Sicherheit. Er hält das finnische Konzept für veraltet. "Ein Lager einfach der Zukunft zu überlassen, ist nicht mehr aktuell", kritisiert er. Anstelle des "abandonment" (zu Deutsch: aufgeben und vergessen) müsse ein "monitoring" treten, bei dem ein Lager langzeitüberwacht werde.

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Buser ist davon überzeugt, dass die Berechnungen der Firma die Sicherheit über Hunderttausende Jahre nicht gewährleisten können. "Das sind alles Modelle. Ich bin überhaupt nicht gegen Modelle, aber die Prozesse der Natur sind zu komplex, um sie vorhersehen und als Beweismittel nutzen zu können", sagt er. Vor allem in den ersten hundert Jahren der Endlagerung seien die Abfälle noch heiß und sehr aktiv. Zudem brauchten auch das Gestein und seine Wasserflüsse einige Hundert Jahre, um sich von dem menschlichen Eingriff zu erholen. "Das ist vergleichbar mit einer Operation, bei der es auch einen Heilungsprozess braucht", sagt Buser.

Monitoring durch ein Pilotlager

Genau deshalb brauche es das "monitoring", um festzustellen, was bei den Modellen nicht beachtet und wo sich eventuell verrechnet wurde. Auch dass das finnische Lager so konzipiert sei, dass die Abfälle jederzeit zurückgeholt werden könnten, lässt Buser nicht gelten. "Wenn das Lager nicht überwacht wird, wie wollen sie dann entscheiden, dass die Stoffe wieder herausgeholt werden müssen?", fragt er. Ohne Überwachung könne das erst festgestellt werden, wenn schon Radioaktivität ins Grundwasser gelangt sei.

Buser legt auch das schweizerische Konzept für die Überwachung vor. Das sieht vor, neben dem großen Endlager ein Pilotlager zu errichten, in dem ein kleiner Teil der Abfälle aufgenommen und regelmäßig überwacht werden kann. Trete bei den Untersuchungen im Pilotlager ein Fehler zutage, wisse der Betreiber, dass auch in dem großen Lager nachgearbeitet werden müsse.

"Die Nuklearindustrie hat Angst vor den Kosten"

Doch warum wird ein solches Konzept nicht umgesetzt? Die Idee sei durchaus in internationalen Gremien diskutiert, jedoch wieder verworfen worden, ärgert sich Buser. "Das hat auch einen Grund: Die Nuklearindustrie hat Angst vor den Kosten", sagt er. Werde ein Fehler bei der Konzipierung des Lagers festgestellt, müssten die radioaktiven Abfälle wieder geborgen werden. "Und das geht natürlich gewaltig ins Geld", so Buser. Deshalb verließen sich die Betreiber lieber auf ihre Berechnungen. "Das greift zu kurz", bemängelt Buser.

Die Kosten halten Sailer und Buser aber auch ohne Überwachung schon für kaum kalkulierbar. Posiva bewirbt seine Art der Endlagerung als "kosteneffektiv". Zu Beginn der Endlagerung 2025 sollen rund 1,6 Milliarden Euro in das Projekt geflossen sein, verrät Sprecher Tuohimaa. Danach werde die Endlagerung jährlich rund 40 Millionen Euro kosten. "Das sind weniger als zehn Prozent der Kosten der Elektrizitätsproduktion", zeigt er sich zufrieden. Zudem würden die Kosten über einen Fond ausschließlich von den Betreibern der Atomkraftwerke finanziert, sagt Tuohimaa. Bereits jetzt stünden 2,5 Milliarden Euro bereit, und die Unternehmen zahlten weiter ein.

Kosten unabschätzbar

"Eine Einschätzung der Kosten ist nicht machbar", kritisiert Sailer jedoch. Bei der praktischen Umsetzung werde immer irgendwas schwieriger oder aufwendiger. "Schätzungen halte ich für unseriös", sagt er.

Buser schlägt in eine ähnliche Kerbe. "Bei Großprojekten ist es immer das gleiche Spielchen. Es wird gesagt, die Kosten sind unter Kontrolle, und dann explodieren sie doch", sagt er. Bei Endlagerprojekten sei es Studien zufolge häufig das Zehnfache oder mehr. "Es ist unseriös zu behaupten, dass es eine kosteneffektive Lösung ist", kritisiert er. So hätten die Kostenschätzungen in der Schweiz in den Achtzigerjahren noch bei zwei Milliarden Franken gelegen. "Mittlerweile sind wir bei mehr als 20 Milliarden angelangt", sagt Buser.

"Das ist ein blödsinniges Argument"

Der Behauptung der Firma, die Nuklearenergie durch ihre Endlagerung umweltfreundlich und nachhaltig zu machen, widersprechen die Experten aber nicht nur aufgrund der Kosten. "Die Kapazität des Endlagers hat Grenzen", sagt Sailer. Nach seinen Angaben haben die Finnen in ihrem Lager etwas mehr Platz, als sie bislang Atommüll produziert hätten. "Aber wenn sie weiter ausbauen und ihre Kraftwerke länger betreiben, werden sie irgendwann ein zweites und ein drittes Lager brauchen", so Sailer. "Insofern ist das ein blödsinniges Argument für die Atomkraft", kritisiert er.

Letztendlich funktionieren könne ein Endlagerungskonzept nur, wenn ein Land – wie Deutschland – schon absehen könne, wie viel Atommüll am Ende anfallen werde. Zudem erinnern die Experten an andere Probleme der Atomkraft, wie die Gefahr durch Zwischenfälle oder Terroranschläge sowie die enorme CO2-Produktion bei der Brennstoffgewinnung.

Die Einschätzung der Experten zeigt: Egal wie lange ein Land an einem Endlagerkonzept plant und wie genau es Gefahren versucht zu vermeiden: Schwachstellen wird es immer geben. Finnland hat für sich eine Lösung mit Vor- und Nachteilen gefunden. Doch bei der Zukunftsfrage der Atomkraft haben die Experten eine klare Meinung. Sailer bringt seine Ansicht auf den Punkt: "Der Atomausstieg muss kommen – so oder so."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Pasi Tuohimaa im Februar
  • Gespräch mit Michael Sailer im Februar
  • Gespräch mit Marcos Buser im Februar
  • Informationsblatt Posiva
  • posiva.fi
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