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"Blue Punisher": Warum Ecstasy-Pillen mit so viel MDMA in Umlauf sind


Tödliche "Blue Punisher"-Pillen
"Es gab ein fatales Wettrüsten der Produzenten"

  • Matti Hartmann
Von Matti Hartmann

Aktualisiert am 30.06.2023Lesedauer: 4 Min.
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"Blue Punisher": Zwei Mädchen sind mutmaßlich an solchen hoch dosierten Ecstasy-Pillen gestorben.Vergrößern des Bildes
"Blue Punisher": Zwei Mädchen sind womöglich an solchen hoch dosierten Ecstasy-Pillen gestorben. (Quelle: Ennio Leanza/Keystone/dpa)

Immer mehr Wirkstoff, immer größere Gefahr: Ecstasy-Pillen sind derzeit mit so viel MDMA in Umlauf, dass sie tödlich wirken. Es gibt einen Grund dafür.

Die Pille zur Party – in Berliner Technoclubs ist Ecstasy nichts Besonderes. Der darin enthaltene Wirkstoff MDMA putscht nicht nur auf, er verbreitet auch ein wohliges Gefühl von Tanzlust, Liebe und Wärme. Leider ist es manchmal viel zu viel Wärme: Der Körper überhitzt und dehydriert, im Gehirn herrscht eine Art Dauerfeuer der Nervenzellen und am Ende stehen im schlimmsten Fall Koma und Tod.

Zuletzt ist das mindestens einmal passiert. Nicht in einem Berliner Club, sondern in ländlicher Umgebung. In Mecklenburg-Vorpommern starb eine 13-Jährige, eine 14- und eine 15-Jährige kämpften um ihr Leben. Alle sollen hoch dosierte Drogen genommen haben, die Pillen sind unter dem Namen "Blue Punisher" geläufig. Auch in Brandenburg könnte der Tod einer 15-Jährigen mit ihnen in Zusammenhang stehen. Schon eine halbe Pille könne mitunter tödlich sein, sagen die ermittelnden Beamten.

Video | Neuer Drogentrend erschüttert Experten
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Quelle: t-online

"Punisher" auf der Fusion: Besucher sorgen sich, eine Festnahme

Auf der Fusion sind die blauen Pillen jetzt ebenfalls aufgetaucht. Das große Techno- und Kulturfestival ist bekannt für verantwortungsvollen Umgang mit Partydrogen. Die Feiernden passen aufeinander auf, bringen sich gegenseitig Wasser, um die Gefahr der Überhitzung zu bannen.

In zentraler Lage auf dem Gelände gibt es eine Beratungsstelle, wo sich erfahrene Leute um Konsumenten kümmern, denen es nicht gut geht. Wie der NDR berichtet, sind dort schon am Mittwoch die ersten besorgten Festivalbesucher mit "Blue Punishern" in der Hand aufgetaucht und haben nach Informationen gefragt.

Eine Festnahme gab es auch schon: Ein Zeuge meldete einen mutmaßlichen Dealer bei der Festival-Crew. Als diese mitbekam, was und wie viel der 29-jährige Berliner dabei hatte, schaltete die Security die Polizei ein. Der Mann wurde mit Hunderten Pillen, darunter 60 "Blue Punishern", festgenommen.

Optisch fast identische Pillen – komplett anderer Inhalt

Die Sensibilität ist derzeit in ganz Deutschland hoch. Aber auch wenn die "Blue Punisher" derzeit besonders im Fokus stehen, ist das Problem viel breiter gefächert.

Auf den Internetseiten diverser Drugchecking-Seiten wird das sichtbar. Da sind pinke Pillen in Pharao-Form neben bunten Eulen abgebildet, es wird gewarnt vor kreisrunden Pillen mit Apple-Logo, vor dreieckigen mit Mitsubishi-Prägung, vor Tabletten, die Donald Trump, Kim Jong-un oder Super Mario nachempfunden sind.

Es gibt einfach alles. Und vor allem: immer in zigfacher Ausfertigung. Mal sind Pillen extrem hoch dosiert, mal ist der Wirkstoffgehalt in anderen Pillen viel niedriger – optisch unterscheiden sie sich allerdings kaum voneinander.

"Das ist ein großes Problem", sagt Dominique Schori, Leiter des Drogeninformationszentrums Zürich (DIZ). Seit mehr als 20 Jahren praktiziert das größte Drugchecking-Angebot der Schweiz, womit in Berlin gerade erst Anfang Juni begonnen wurde: Konsumenten können ihre Drogen zur Untersuchung bringen. Ein Labor analysiert sie dann, und hinterher haben die Nutzer Klarheit über die Inhaltsstoffe des erworbenen Stoffs.

Ecstasy-Pillen (Archivbild).
Ecstasy-Pillen (Archivbild) (Quelle: Roosens/imago images)

Safer Use – was Ecstasy-Konsumenten beachten sollten

Dominique Schori vom Drogeninformationszentrums Zürich rät: "Bei neu gekauften Pillen immer von maximalem Wirkstoffgehalt ausgehen, sich nie auf Angaben der Dealerin oder des Dealers verlassen. Erst eine kleine Menge konsumieren, an die Wirkung herantasten. Nicht schon nach einer halben Stunde nachlegen, sondern zwei bis drei Stunden abwarten. Wasser trinken, sich zwischendrin an der frischen Luft abkühlen. Beim Mischkonsum gilt es besonders aufzupassen: Hoher Alkoholkonsum gemischt mit Methylendioxymethylamphetamin (MDMA) kann schnell fatale Folgen haben."

Auch das deutsche Bundeskriminalamt hat die Beobachtung gemacht: In Bezug auf die "Blue Punisher"-Pillen teilten die Beamten mit, diese könnten aus unterschiedlichen Quellen stammen und eine völlig unterschiedliche Zusammensetzung haben. So hätten Untersuchungen in NRW gezeigt, dass die MDMA-Gehalte von 58 bis 211 Milligramm pro Pille reichten.

Ecstasy in der Illegalität: Angeberei statt Qualitätskontrollen

Eine Norm gibt es nicht. "Ecstasy-Pillen werden illegal produziert. Es gibt keine Qualitätskontrollen", erklärt der Züricher Drugchecker Schori dazu. "Einige Pillen, die wir getestet haben, enthielten sogar mehr als 300 Milligramm MDMA."

Aber wieso bringen Produzenten Pillen auf den Markt, die derart hoch dosiert sind, dass sie tödlich wirken können? Vor denen sich Partygänger gegenseitig in den Clubs warnen: "Nimm davon keine ganze, nimm nicht einmal eine halbe, eine viertel reicht."

Laut Schori gibt es darauf wohl mehrere Antworten: "Es hat in den vergangenen Jahren ein fatales Wettrüsten der Ecstasy-Produzenten gegeben", sagt er. "Dabei steht die Frage im Zentrum: Wer hat die stärkste Pille im Angebot?"

Folgenschwere Gesetzgebung im Hauptproduktionsland

Aber auch, dass die Produktion des Wirkstoffes MDMA zuletzt einfacher geworden sei, spielt dem Experten zufolge eine Rolle. Und die Drogengesetzgebung in den Herstellerländern sei ebenfalls von Belang: Das Strafmaß orientiere sich dort mitunter nicht am Wirkstoffgehalt, sondern an der Stückzahl, erläutert Schori.

Thorsten Jeck vom Verein Eve & Rave Münster, der sich für sichere Clubkultur einsetzt, führt die Begründung weiter aus: In den Niederlanden, in denen in Europa das meiste Ecstasy hergestellt wird, gelte für Konsumenten pauschal eine Pille als Eigenbedarf. Daher würden Pillen produziert, die bis zu vier Konsumeinheiten beinhalten.

"In Holland ist dies vermutlich auch jedem Konsumenten bekannt", erläutert Jeck. "In Deutschland gehen aber immer noch viele davon aus, dass eine Pille eine Konsumeinheit ist, was dann zu den entsprechenden Überdosierungen führt."

"Blue Punisher": Eine 281 Kilo schwere Frau würde sie vertragen

Nur manchen hoch dosierten Pillen sieht man von außen an, dass sie mehr Wirkstoff enthalten, als ein einzelner Konsument verträgt. Sie haben Bruchrillen, die andeuten: Von dieser Pille können zwei oder sogar noch mehr Menschen einen Rausch erleben.

Viele Jahre lang habe man eine praktisch stetige Steigerung des Wirkstoffgehalts in Ecstasy-Pillen festgestellt, sagt Drugchecker Schori aus der Schweiz. Erst seit etwa zwei Jahren sei eine leicht gegenläufige Tendenz wahrzunehmen, der mittlere Wirkstoffgehalt sinke wieder. Schori: "Die Herstellerinnen und Hersteller haben schließlich nicht die Absicht, Menschen zu töten. Sie wollen Geld verdienen."

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Die Pillen, die sie momentan auf den Markt brächten, seien allerdings immer noch viel zu hoch dosiert. Um wie viel zu hoch, das verdeutlicht die am 19. Juni veröffentlichte Warnung vor einer in der Schweiz analysierten "Blue Punisher"-Pressung: Ein halbes Gramm wiegt die komplette Pille, fast die Hälfte davon ist Wirkstoff. Ausgehend von der Rechnung, dass eine Frau sich ab 1,3 Milligramm MDMA pro Kilo Körpergewicht überdosiert, sollte keine Frau, die leichter als 281 Kilogramm ist, diese Pille ganz einnehmen.

In Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg wurden offenbar solche Pillen Mädchen ab 13 Jahren angeboten.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Dominique Schori vom Drogeninformationszentrums Zürich
  • Mail-Austausch mit Thorsten Jeck, Erster Vorsitzender von Eve & Rave Münster e.V.
  • Eigene Recherche
  • Mit Informationen der Nachrichtenagentur dpa
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