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"Kann man niemandem zumuten: Bahnhofsviertel soll anders werden


Bahnhofsviertel soll anders werden
"Das kann man niemandem zumuten"

Von Sabine Schramek

Aktualisiert am 19.02.2023Lesedauer: 4 Min.
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Razzia im Frankfurter Bahnhofsviertel (Archivbild): Ein Initiativer will die Gegend lebenswerter machen. (Quelle: Bernd Kammerer/dpa)

Immobilieneigentümer wollen die Zustände im Frankfurter Bahnhofsviertel verändern. Dafür haben sie die Initiative "Ein ganzes Viertel" gegründet.

Statt Kamera-Überblick über den "Kaisersack" versperrt eine riesige Metallwand mit Nato-Stacheldraht den Blick auf "die Szene". Müll sammelt sich im wegen der Baustelle versperrten Auf- und Abgang zum Hauptbahnhof. Die Polizei ist fast ständig präsent und kontrolliert die Drogenkonsumenten, die sich nicht gerade hinter dem Metallzaun verstecken. "Das sieht mehr nach Gefängnisausbruch aus als nach einem einladenden Tor zu Stadt", beschreibt Dennis Thomas den Blick auf die eigentlich prächtige Kaiserstraße.

Der Geschäftsführende Gesellschafter der Junior'schen Liegenschaftsverwaltung kennt das Frankfurter Bahnhofsviertel. Seit 1903 ist das Unternehmen hier ansässig. "Wir sind sehr gerne hier, aber es muss wieder viel besser werden", sagt Dennis Schnabel, Geschäftsführer von Schnabel Management. Seit den 1950er-Jahren ist das Familienunternehmen hier. Mit zehn weiteren Immobilienbesitzern haben sie die Initiative "Ein ganzes Viertel" ins Leben gerufen, um "einen Beitrag dafür zu leisten, die alte Balance wiederzufinden".

In keinem Frankfurter Stadtviertel gibt es eine größere Dichte an prachtvollen denkmalgeschützten Altbauten. 200 sind es im zweitkleinsten Stadtteil, in dem 3.600 Anwohner leben und 20.000 Menschen arbeiten. Seit Corona hat sich die Lage zugespitzt. Dreck und Drogen bestimmen das Bild. Lösungsvorschläge, um die Mischung aus Prostitution, Drogen, Arbeitnehmern, Gastronomen und Vermietern wieder lebenswerter zu machen, haben die engagierten Eigentümer reichlich.

Von allem ein bisschen mehr

Viel mehr Hilfe für die Drogenkranken, noch mehr Präsenz der Polizei, eine Waffenverbotszone und eine ansprechende Optik der Bauzäune. "Die Polizei ist sehr aktiv, aber die Stadt zieht nicht mit", sind sie sicher. "Es müssten alle Hand in Hand arbeiten." Die Stadt könnte eine leer stehende Immobilie anmieten und den Obdachlosen und Drogenkranken so die Möglichkeit des Wohnens bieten. Viel mehr Sozialarbeiter sollten sich um diese Menschen kümmern. Toiletten und Duschen seien unerlässlich. Sie wünschen sich eine kleine Polizeiwache mit Beamten, die Ansprechpartner für alle im Viertel sind – nach dem Vorbild der Davidwache in Hamburg.

Seit Mitte September 2022 hat die Polizei ihre Präsenz im Viertel deutlich erhöht, unter anderem mit großer Unterstützung der hessischen Bereitschaftspolizei. Demnach wurden bei den Kontrollen 418 Strafanzeigen gestellt und 86 Ordnungswidrigkeiten registriert. Anfang November präsentierte die Frankfurter Polizei erste Ergebnisse dieser zusätzlichen Maßnahmen. Demnach wurden bei den Kontrollen 418 Strafanzeigen gestellt und 86 Ordnungswidrigkeiten registriert. 78 Personen wurden vorläufig festgenommen, 42 Haftbefehle vollstreckt. Alleine 268 Strafanzeigen gab es im Zusammenhang mit Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Die Erfolge seien nur auf die zusätzlichen Maßnahmen zurückzuführen, die Zahlen des vierten Reviers seien da nicht eingerechnet, betonte die Polizei.

Auch Kameraüberwachung sei für das Sicherheitsgefühl wichtig. Die Initiatoren können sich vorstellen, den "Kaisersack" zu beleben. Mit Terrassen der Gastronomie, täglichen Marktständen, einem Kiosk oder Wagen, wie sie momentan direkt vor dem Hauptbahnhof stehen. "Wenn Markt ist, ist es ruhiger und sauberer. Die Menschen fühlen sich wohl", so Thomas. "Das Bahnhofsviertel soll kein Westend oder Holzhausenviertel werden. Aber so, dass das Verhältnis wieder stimmt." Die unansehnlichen Bauzäune könne man optisch so umgestalten, dass sie Besucher nicht verschrecken. Einige Monate habe er auf Security am Eingang verzichtet. "Wir brauchen sie jetzt wieder, damit die Hauseingänge frei bleiben", sagt er.

Seit 2016 hat die Full-Service-Agentur Nordisk ihren Sitz in der Kaiserstraße. Geschäftsführer und Diplomdesigner Frank Lottermann erzählt, dass es 2020 "richtig schlimm" im Viertel wurde. In den vergangenen drei Monaten sei es "etwas besser geworden".

Die Hälfte seiner 40 Mitarbeiter sind Frauen. "Letztes Jahr sind sie abends nur zu zweit oder zu dritt abends aus dem Büro gegangen. Sie hatten Angst." Er habe Ende vorigen Jahres schon überlegt, mit der Firma umzuziehen. "Wenn alle motiviert wären, wäre das Viertel schnell wieder da, wo es vor zehn Jahren war", ist er überzeugt. Darum bleibt er. "Wir lieben das Bahnhofsviertel und glauben daran. So wie der Kaisersack jetzt aussieht, wirkt er nicht wie ein lebensbejahender Raum. Solche Räume brauchen wir und Hilfe für die, die sie brauchen. Und Unterstützung für die, die hier leben und arbeiten."

Trotz Polizeipräsenz ändert sich nichts an der Kriminalität

Franziska Kattenbach ist seit gut drei Jahren mit dem Start-up Khiron im Viertel, das medizinisches Cannabis vertreibt. "Meetings mit Investoren können wir hier nicht machen", sagt sie. Dafür weichen sie nach Wiesbaden aus. "Die Gebäude sind wunderschön. In die Fassaden wird so viel investiert. Das Restaurantangebot ist toll und es gibt ein Lebensmittelangebot, das man sonst nirgendwo findet. Aber wie offen hier Kriminalität gelebt wird, kann man niemandem zumuten." Die Polizei sei da, aber es ändere wenig. "Irgendjemand macht hier Geld. Viel Geld, und das ist so gewollt. Nicht von den Leuten auf der Straße, nicht von der Polizei, nicht von uns", sagt sie. "So viel Crack, das hochaggressiv macht. Das ist schlimm." Eine einfache Lösung für das Drogenproblem gibt es ihrer Meinung nach nicht.

"Die Aufklärung fehlt ebenso wie Wohnraum, Sozialarbeiter und Therapien." Es sei die Gesellschaft, die Drogenkranke hervorbringe. Sie begrüßt die Eigentümerinitiative "Ein ganzes Viertel" und ihr Engagement, dass Probleme gelöst werden. Thomas und Schnabel sind zuversichtlich und hoffen darauf, dass sich nach der OB-Wahl etwas bewegt. "Wir wollen die Situation überwinden und das Bahnhofsviertel wieder rundum lebenswert für alle machen und es revitalisieren. Zu einem Tor in die Stadt, das einladend ist für Besucher aus aller Welt."

Verwendete Quellen
  • Gespräche vor Ort mit der Initiative "Ein ganzes Viertel"
  • Zahlen der Polizei Frankfurt
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