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Offenbacher Tafel schlägt Alarm: "Bei manchen Familien geht es ums Überleben"


Tafeln am Limit
"Bei manchen Familien geht es ums Überleben"

Von Stefan Simon

Aktualisiert am 14.04.2022Lesedauer: 4 Min.
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Fast leere Essenskisten und lange Schlange an der Offenbacher Tafel: Steigende Preise und weniger Spenden machen den Tafeln das Leben schwer.Vergrößern des Bildes
Fast leere Essenskisten und lange Schlange an der Offenbacher Tafel: Steigende Preise und weniger Spenden machen den Tafeln das Leben schwer. (Quelle: Stefan Simon, brennweiteffm, imago - Collage t-online)

Mehr als 3.000 Menschen gehen wöchentlich zur Tafel nach Offenbach. Nun kommen auch ukrainische Geflüchtete hinzu, doch die Tafel hat immer weniger Lebensmittel. Es droht ein Unheil.

Lisa steht vor der Ausgabe der Offenbacher Tafel. Am südlichen Rand der Stadt. Mitten in einem großen Wohnblock. Sie hält ein Schreiben von der Schule ihrer siebenjährigen Tochter in der Hand. "Den Nachweis muss ich hier vorzeigen, damit meine Tochter einen Schulranzen, Hefte und Stifte für ihre Einschulung bekommt", sagt sie. "Es ist einfach zu teuer für uns."

Lisa ist 27 Jahre alt. Sie hat vier Kinder im Alter von zwei, sechs, sieben und neun Jahren. Lisa und ihr Ehemann verloren während der Corona-Krise ihre Jobs. "Der Chef von meinem Mann verlangte von ihm, dass er einen Führerschein macht. Aber wir können uns das nicht leisten, also wurde er entlassen. Zum Glück hat er ab dem 1. April eine neue Stelle, aber er verdient weniger als vorher", erklärt Lisa.

Zu sechst lebt die Familie von weniger als 900 Euro im Monat, abzüglich Miete und Strom in einer Dreizimmerwohnung auf 63 Quadratmetern. "Seit einem Jahr müssen wir zur Tafel", sagt Lisa. Jede Woche.

Hohe Kinderarmut in Offenbach: Über die Hälfte der Bedürftigen sind Familien

Offenbach, die kleine Nachbarstadt der Mainmetropole Frankfurt, ist arm. Bitterarm. Hier leben etwa 140.000 Menschen. Die Kinderarmutsquote ist hoch. Laut einer Bertelsmann-Studie gelten 24,5 Prozent der unter 18-Jährigen als arm. "Junge Familien machen bei uns etwa 60 Prozent aus. Die andere große Gruppe sind Senioren", sagt Christine Sparr, die Leiterin der Offenbacher Tafel. Und sie blickt mit Sorge auf die kommenden Monate.

Die Spenden der Supermärkte sind um die Hälfte eingebrochen, Lebensmittelretter werden zur ungewollten Konkurrenz. Gleichzeitig steigen aufgrund des Ukraine-Krieges die Preise und Spritkosten. Sparr sitzt im Büro der Ausgabestelle Neusalzserstraße. Vor ihr liegt ein kleiner Haufen von Ausgabezetteln. Sie hebt die Zettel nach und nach ab. "Hier, eine Kiste nur. Hier auch nur eine Kiste. Oh, acht Kisten." Waren es vor Corona im Schnitt acht bis zwölf Lebensmittelkisten pro Supermarkt, sind es jetzt höchstens drei – wenn überhaupt.

Ein Blick in den Nachbarraum zeigt, wie groß der Mangel ist. Hier auf den Tischen sind Kisten mit Obst und Gemüse. Doch sie sind sehr spärlich gefüllt. "Normalerweise sind die bis oben hin voll", sagt Sparr. Auch die junge Mutter Lisa sagt, dass es "mal gute Tage und mal weniger gute Tage", gebe. "Aber sie gucken schon, dass jeder mit einer Tüte nach Hause geht."

Zu den vier Ausgabestellen in Offenbach kommen wöchentlich rund 3.000 Menschen. Doch dabei wird es nicht bleiben. "Es kommen noch mehr. Vor allem ukrainische Flüchtlinge", schätzt Sparr. Allein heute sind 37 ukrainische Familien da. Frauen mit ihren Kindern, die im Keller der Tafel in unzähligen Schuhkartons herumwühlen. "Die brauchen neue Schuhe. Die sind abgetragen von der Flucht", erklärt Sparr.

Für sie hat die Tafel separate Einkaufsgutscheine und Starter-Kits mit Kosmetikartikeln organisiert. Die Gutscheine konnten nur durch Geldspenden vom "Weihnachtsmann" finanziert werden, wie Sparr den Spender Klaus Kohweiler gern nennt. "Er kommt sonst immer an Weihnachten. Er hilft uns sehr. Wegen der Ukrainer hätten wir auf unsere Rücklagen zurückgreifen müssen. Aber er sagte sofort zu, dass er die Kosten übernimmt", erzählt Sparr.

Tafel in Frankfurt: Über 50 Prozent weniger Lebensmittel für 27.000 Bedürftige

Etwa zehn Kilometer entfernt liegt der Hauptsitz der Frankfurter Tafel. Auch hier gibt es große Probleme. Vor einigen Tagen startete die Tafel einen verzweifelten Hilferuf: "Die Spendenbereitschaft für die Ukraine ist natürlich wichtig und toll, leider werden hierbei die Probleme vor der Haustür unbewusst vergessen." Die Lebensmittelspenden für die Frankfurter Tafel seien um die Hälfte zurückgegangen, sagt Leiter Rainer Häußler. "Gleichzeitig haben wir monatlich etwa 8.000 Euro Spritkosten."

Die Tafel unterstützt monatlich 27.000 Menschen. Die Probleme sind hier ähnlich wie in Offenbach. Auch in Frankfurt kommen aufgrund der Inflation mehr Menschen. Auch hier kommen immer mehr ukrainische Geflüchtete an. Ein Warnsignal in einer Stadt mit einer der höchsten Mieten Deutschlands und einer Armutsquote von 19 Prozent.

Zurück bei Lisa in Offenbach: Sie spricht nun mit Manuel Littau wegen der Schulsachen für ihre Tochter. Littau ist seit drei Jahren ehrenamtlicher Mitarbeiter.

"Manche Familien haben so wenig Geld, da geht es ums Überleben", sagt er. Das Wichtigste für den 35-Jährigen sei es, den Kindern unmittelbar zu helfen. So wie mit dem Schulranzen für Lisas Tochter. "Die Aktion heißt 'Wünschlein', die wir initiiert haben. Die Eltern müssen nur den Antrag ausfüllen und einen Nachweis vorlegen, dass ihr Kind in die Schule geht", erklärt Littau.

Lisa freut sich. Der Antrag wird genehmigt. Ihre Tochter bekommt einen Schulranzen von der Tafel. "Bis zum Schulanfang kriegen wir das geregelt", versichert ihr Littau. Lisa bedankt sich. Unter Ihrer Maske lugt ein Lächeln hervor.

Verwendete Quellen
  • Reporter vor Ort
  • Gespräch mit Rainer Häußler von der Tafel Frankfurt
  • Bertelsmann-Studie zu Kinderarmut in Deutschland
  • Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands für 2020
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