Kreuzfahrttourist von Banditen erschlagen "Ich habe nie so viel Schmutz gesehen"
Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Der Kreuzfahrttourist Werner Duysen starb in Brasilien. Räuber hatten es auf seine Brille und seine Uhr abgesehen. Sein Mann möchte einiges geraderücken.
Wolfgang und Werner Duysen haben Geschichte geschrieben. 2017 heirateten sie als eines der ersten schwulen Paare in Deutschland. Wolfgang Duysen hatte zuvor ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts erkämpft.
Am 14. Dezember 2022 starb sein Mann Werner während einer Kreuzfahrt. Banditen hatten ihn überfallen.
t-online: Herr Duysen, Ihre Geschichte hat Schlagzeilen gemacht. Aber Sie sagen, es sei nicht alles richtig, was geschrieben wurde?
Wolfgang Duysen: Das fängt schon mit dem Alter an. Werner war 81. Aber ich bin nicht 79, wie geschrieben wurde, sondern 68. Ich hätte das richtigstellen können, alle wollten Interviews von mir. Aber ich war nicht in der Lage dazu, ich war ja mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Die deutschen Medien haben von den Brasilianern abgeschrieben, dadurch wurden manche Fehler übernommen. Und es wurden sogar neue falsche Dinge behauptet.
Zum Beispiel?
Man habe auf Werner mit einem Messer eingestochen, die Klinge habe sich in seinen Kopf gebohrt. Das stimmte alles nicht. Es war alles ganz anders.
Überfall in Brasilien: "Es lag nichts Bedrohliches in der Luft"
Um Ihre Geschichte besser zu verstehen, sollten wir vielleicht etwas früher einsetzen. Sie und Ihr Ehemann waren auf Kreuzfahrt – auch weil Sie etwas zu feiern hatten.
Wir sind immer gerne gereist und haben viel von der Welt gesehen. Wir haben Rundreisen durch Malaysia und Indonesien gemacht, waren auf Fahrt von Sydney nach Tahiti.
Jetzt wollten wir unseren 50. Partnerschaftstag feiern. Unseren Kennenlerntag haben wir in Lissabon begangen. Einen Tag danach startete die Kreuzfahrt. Cádiz, Lanzarote, Teneriffa, Kapverden, dann über den Atlantik nach Recife. Das Wetter in Brasilien war herrlich. Aber: Ich habe noch nie so viel Plastikmüll und Schmutz wie dort im Hafen gesehen.
Hatten Sie ein ungutes Gefühl?
Nein, wir wurden freundlich begrüßt. Es lag nichts Bedrohliches in der Luft. Wir haben eine Karte mit den wichtigsten Sehenswürdigkeiten bekommen. Das erste Ziel war die Basilika Nossa Senhora da Penha.
"Plötzlich rief Werner laut meinen Namen"
Dort wurden Sie überfallen.
Wir liefen hintereinander in einer Fußgängerzone durch dichtes Gedränge. Plötzlich rief Werner ganz laut meinen Namen. Ich drehte mich um und sah ihn auf dem Boden liegen. Ein Täter war direkt hinter ihm und stahl ihm die Brille, ein anderer zerrte die Uhr von seinem Arm. Ich wollte Werner helfen und bin auch gestoßen worden. Das waren Sekunden, die wie Minuten erschienen.
Was ist dann passiert?
Händler haben Werner aufgeholfen und uns mit nassen Tüchern versorgt. Wir dachten erst, er hat eine Gehirnerschütterung. Es war nirgendwo Blut. Aber auf dem Weg ins Krankenhaus hat er das Bewusstsein verloren und ist nie wieder zu sich gekommen.
Hinterher hat die Gerichtsmedizin festgestellt: Die Räuber hatten ihm mehrfach hart mit einem stumpfen Gegenstand auf den Kopf und in den Bauch geschlagen. Aufgrund der Gehirnblutung ist er sechs Tage später gestorben.
Drei der Täter waren minderjährig: Justiz kündigt Exempel an
Was weiß man inzwischen über die Täter?
Es waren wohl fünf, eine ganze Bande. Drei davon minderjährig. Die beiden anderen 21 und 27.
Bekommen haben sie die nur, weil die Gruppe am nächsten oder übernächsten Tag wieder einen Überfall an gleicher Stelle begangen hat. Dabei wurden die Täter von der Polizei festgenommen. Einer hatte die Sonnenbrille meines Mannes dabei.
Müssen Sie noch einmal zu einem Prozess nach Brasilien zurück?
Das kann passieren, aber ich hoffe nicht. Der deutsche Generalkonsul hat mir gesagt, dass die Justiz in Recife ein Exempel statuieren will. Von 20 Jahren Haft für die Täter war die Rede. Ob das wirklich so kommt, weiß ich nicht.
Ist es wichtig für Sie, dass die Täter hart bestraft werden?
Ja, für mich ist das wichtig. Die Täter dürfen nicht geschützt werden, während man die Opfer allein lässt. Recife hat ein Problem. Dort werden nicht nur Touristen überfallen und ermordet, sondern die Einheimischen auch. Die Menschen in Recife leiden unter der hohen Kriminalität.
Homosexualität in Deutschland: Man musste mit Gefängnis rechnen
Sie haben gesagt, dass Sie mit der Kreuzfahrt den 50. Jahrestag Ihrer Partnerschaft feiern wollten. Sie haben sich 1972 kennengelernt.
Damals gab es in Deutschland noch den Paragrafen 175. Sexuelle Handlungen zwischen Männern waren verboten. Man musste mit Gefängnis rechnen.
Wie haben Sie sich kennengelernt?
In Hamburg gab es Bars, in denen sich homosexuelle Männer trafen. Die machten erst spät auf, und da ich noch nicht volljährig war und noch bei meinen Eltern in Elmshorn wohnte, konnte ich da nicht hin.
Aber ein Club hatte auch sonntagnachmittags auf. Da war ich manchmal. Im November habe ich Werner kennengelernt, im Februar bin ich zu ihm gezogen.
Das ging schnell.
Wir waren sofort verliebt. Meinen Eltern habe ich Werner als einen Freund verkauft, mit dem ich mir aus praktischen Gründen eine Wohnung teile.
"Wir mussten davon ausgehen, dass mein Vater Anzeige erstattet"
Dass Sie als Liebespaar zusammenziehen wollten, konnten Sie nicht sagen?
Unmöglich. Wir mussten davon ausgehen, dass mein Vater Anzeige erstattet und Werner ins Gefängnis kommt. Zu der Zeit besagte der Paragraf 175, dass nur der Ältere bestraft wird, wenn einer von zwei Partnern über 21 und der andere unter 21 Jahre alt war. Ich war 18, Werner 31. Auch wenn er immer jünger aussah.
Ihre Eltern hätten Sie angezeigt?
Meinem Vater hätte ich das zugetraut, er war ein schwieriger Mensch. Meiner Mutter nicht unbedingt.
Das ist 50 Jahre her. Es klingt nach einer Ewigkeit.
Früher hat man auch noch Scherze darüber gemacht, dass die Menschen in der Zukunft vielleicht einmal Bildtelefone haben könnten. Vieles, was einem verrückt vorkam, ist heute normal.
Dass es heute ganz normal ist, wenn zwei Männer ein Paar sind, haben wir zum Teil auch Ihnen und Ihrer Beharrlichkeit bis zum Bundesverfassungsgericht zu verdanken.
Das 2001 eingeführte Lebenspartnerschaftsgesetz war ungerecht. Homosexuelle hatten nur Pflichten und keine Rechte. Ich zahlte als Krankenkassenangestellter in eine Zusatzversorgung ein. Ein Kollege, der das Gleiche verdiente und gleich alt war, hätte hinterher monatlich Dutzende Euro mehr Rente bekommen, nur weil er mit einer Frau verheiratet war.
Verdi, meine Gewerkschaft, hat mich unterstützt. Und dann ging das los: Das Landgericht wollte nicht entscheiden, das Oberlandesgericht auch nicht. Vorm Bundesgerichtshof haben wir verloren. Aber die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Und so konnten wir dann schließlich heiraten.
- Gespräch mit Wolfgang Duysen