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Für Hubert Aiwanger sieht es gar nicht so schlecht aus


Aiwanger-Skandal
Am Ende könnten die Grünen der Verlierer sein

MeinungVon Christof Paulus

Aktualisiert am 01.09.2023Lesedauer: 5 Min.
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Hubert Aiwanger steht derzeit wegen eines Flugblattes, das offenbar aus seiner Familie stammt, massiv unter Beschuss (Archivbild): Doch er könnte erfolgreich ausweichen.Vergrößern des Bildes
Hubert Aiwanger steht derzeit wegen eines Flugblattes, das offenbar aus seiner Familie stammt, massiv unter Beschuss (Archivbild): Doch er könnte die Vorwürfe unbeschadet überstehen. (Quelle: IMAGO / Stephan Goerlich)

Viele warten nur noch auf das Ende von Hubert Aiwangers Karriere. Dabei könnte die Affäre Bayerns stellvertretendem Ministerpräsidenten, und auch CSU-Chef Markus Söder sogar nutzen.

Wenn das alles vorbei ist, dann wird bei vielen hängen bleiben, dass Hubert Aiwanger ein Antisemit sei, der Jagd auf "Vaterlandsverräter" machen wollte und ein übler Rechtsextremer, der Hitler verehrte. Daran wird Aiwanger nichts mehr ändern können. Aber vielleicht muss er das nicht einmal.

Denn beweisen lässt sich der schlimme Vorwurf bislang nicht. Und diejenigen, die die Anschuldigungen für so schlimm und Aiwanger für so unglaubwürdig halten, dass für sie die Angelegenheit dennoch als nachgewiesen gilt, hätten ihn wohl eh nie gewählt. Womöglich wird ihm die Affäre wenige Wochen vor der Landtagswahl sogar nutzen. Und Markus Söder, dessen Stellvertreter Aiwanger ist, vielleicht auch. Deshalb hält er vermutlich weiter an ihm fest.

Was Hubert Aiwanger vorgeworfen wird

Viele wünschen sich Aufklärung von Aiwanger, weil etliche Fakten rund um das Flugblatt aus Aiwangers Schulzeit noch offen sind, weil man nicht weiß, wer wirklich im Nazi-Duktus ein fiktives Preisausschreiben ausgelobt hat, bei dem es einen "Freiflug durch den Schornstein in Auschwitz" oder einen "lebenslänglichen Aufenthalt im Massengrab" zu gewinnen gab.

Am Donnerstag trat Hubert Aiwanger zumindest kurz vor die Presse und entschuldigte sich dafür, falls die Vorwürfe gegen ihn und seine Reaktion auf das Pamphlet Gefühle verletzt haben. Aber ein Rücktritt? Fehlanzeige. Antworten auf die offenen Fragen? Ebenfalls keine. Nach wenigen Minuten war das Statement schon wieder vorüber, Fragen ließ er nicht zu.

Aiwanger wird sich hüten, mehr preiszugeben – wenn er es ohnehin überhaupt könnte. Denn bisher hat er eine Version der Geschichte präsentiert, in der es zwar trotz offener Fragen keine unauflösbaren Widersprüche gibt. Und zu widerlegen ist seine Version offenbar bislang auch nicht. Sein Bruder Helmut hat das Flugblatt verfasst, sagt der – und das könnte ja tatsächlich sein, schließlich waren zur fraglichen Zeit beide auf der Schule. Hubert Aiwanger hatte die Blätter selbst in seiner Schultasche, doch dafür könnte es viele Gründe geben, vielleicht tatsächlich, weil er sie wieder einsammeln wollte, wie Helmut Aiwanger sagt.

Öffentlich habe er über die Blätter deshalb lange nicht gesprochen, um seinen Bruder zu schützen, sagt Hubert Aiwanger. Auch das kann man glauben, selbst wenn man es nicht muss. Genauso, dass er sich an viele Dinge nicht erinnern könne, liegen sie doch immerhin 35 Jahre zurück. Bleibt alles dabei, ist die Substanz wohl zu dünn, um den 52-Jährigen zu stürzen.

Wie Hubert Aiwanger sich verteidigt

Aiwanger ist längst zum Gegenangriff übergegangen. "Schmutzkampagnen gehen am Ende nach hinten los", twitterte er am Mittwoch. Viele seiner Gefolgsleute bei den Freien Wählern sind auf gleicher Linie, beschuldigen die Medien einer gezielten Hetzjagd gegen ihren Parteichef – was bei nicht wenigen in Bayern verfängt. Viele Bürger sprechen sich gegen einen Rücktritt aus, wie eine Umfrage der "Augsburger Allgemeinen" zeigt.

Gerade unter denjenigen, die in den Grünen einen Hauptfeind ausgemacht haben und sich vor all jenen links der CSU fürchten, könnte es jetzt sogar zu einer Solidarisierung mit Aiwanger kommen. Das kann bereits beobachten, wer Gesprächen beim Bäcker oder in der Bahn lauscht.

Manches von dem, was dort gesprochen wird, ist erschreckend. Einige verharmlosen massiv den Inhalt des Flugblatts, sprechen von "Kindergarten" oder einem "Spaß". Doch vielen stößt es zudem sehr auf, dass Aiwanger nun Vorfälle aus seiner Schulzeit vorgehalten werden, die 35 Jahre in der Vergangenheit liegen und begangen wurden, als der oder die mutmaßlichen Urheber noch minderjährig waren.

Wie lange ist Aiwanger haftbar?

"Das kann doch nicht sein, dass man mit Dingen konfrontiert wird, die so lange her sind", sagten ihm viele Leute in Gesprächen, berichtet Aiwanger. Viele beschuldigten die Medien, ihn "zerstören" zu wollen. Und teilweise sind die Berichterstatter an diesem Eindruck selbst schuld.

Denn die Recherche der "Süddeutschen Zeitung" konnte die Vorwürfe bislang nicht wasserdicht belegen. Aiwanger habe den Inhalt zwar im Kern bestätigt, hieß es in einem Text der "SZ". Doch das stimmt gar nicht. Denn eben jener Kern war: Aiwanger soll Autor des Flugblattes gewesen sein, und es verbreitet haben. Und genau diese Punkte sind weiter unklar.

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Im Enthüllungstext wollte keiner der Zeitzeugen, mit denen die Autoren gesprochen hatten, namentlich genannt werden. Die Glaubwürdigkeit erhöht das in so einem brisanten Fall nicht gerade. Stattdessen lieferten die Verantwortlichen einen Text, in dem die Hoffnung herauszulesen war, dass er Aiwanger erledigen könnte, wie der Medienjournalist Stefan Niggemeier analysierte. Und genau dieser Unterton ist Nahrung für all diejenigen, die hier eine Kampagne wittern – zumal der Text fehlerhaft war und Adolf Hitlers Buch "Mein Kampf" zu Unrecht als verboten bezeichnete.

Außerdem gibt es den Fall Sarah-Lee Heinrich. Er könnte für Aiwanger eine gute Referenzgröße sein. Sie ist Bundessprecherin der Grünen Jugend, eine Karriere in der Bundespolitik scheint vorgezeichnet. Dabei hat sie noch mit mindestens 14 Jahren grob beleidigende und diskriminierende Tweets verfasst, kommentierte einen Beitrag mit "Heil" und fantasierte über Gewalt und ethnische Säuberungen.

Wieso man Aiwanger und Sarah-Lee Heinrich vergleichen kann

Zudem sind anders als bei Aiwanger ihre Äußerungen belegt, Heinrich bat dafür zwar umgehend um Entschuldigung. Freilich war sie mit 14 noch jünger als Aiwanger, der zum fraglichen Zeitpunkt 16 oder 17 Jahre alt gewesen sein muss. Aber macht das einen Unterschied? Mit 14 wie mit 16, selbst 17 Jahren, ist man strafmündig, aber nicht volljährig. Welche Instanz entscheidet, ab wann man da kein Kind mehr ist, ab wann man wissen muss, was sich gehört und was nicht?

Würde Aiwangers Karriere nun daran zerbrechen, während Heinrich weiter alle Chancen hat, erschiene das ungerecht – und auch das dürfte dann viele an Aiwangers Narrativ von einer Kampagne glauben lassen.

Das weiß auch Regierungschef Söder, der die Affäre zwar nicht kleinreden kann, aber seinen Stellvertreter weiterhin braucht. Ohne ihre Galionsfigur Aiwanger könnten die Freien Wähler implodieren – was Söder zu einer Koalition mit den Grünen zwingen würde.

Diese Aussicht wiederum könnte viele Wähler weit rechts der Mitte mobilisieren und dazu bewegen, CSU oder Freie Wähler zu wählen – rein aus Angst davor, von den Grünen regiert zu werden. Das Resultat wäre paradox: Ein ausgewachsener Skandal um einen zentralen Politiker der Regierung könnte ausgerechnet der Regierung nutzen und der Opposition schaden, obwohl die gar nichts falsch gemacht hat.

Ob es so kommt, hängt nun von Aiwanger ab, auch wenn er den Lauf der Dinge womöglich nicht mehr beeinflussen kann: Sollte sich herausstellen, dass er doch Urheber des Flugblattes ist und er somit gelogen hätte, dann wäre er nicht mehr tragbar. Dann wäre sein Verlust auch für die Freien Wähler überschaubar. Doch wer jetzt schon glaubt, dass ihm der Rückhalt fehlt, den trügt der Schein.

Verwendete Quellen
  • Süddeutsche Zeitung: Ausgabe vom 26. August
  • Übermedien: "Die SZ macht vor, wie man nicht über einen Fall wie Aiwanger berichten sollte"
  • Augsburger Allgemeine: "Soll Aiwanger zurücktreten? Mehrheit der Deutschen hält Forderung für falsch"
  • taz.de: "Falsch bleibt falsch"
  • Eigene Beobachtungen
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