Die Lustfrage
Der deutsche FuĂball geht in eine ungewisse Zukunft. Immer mehr Fans wenden sich von ihrer einst gröĂten Leidenschaft ab. FĂŒr die Klubs ist der Liebesentzug eine groĂe Gefahr.
Es ist noch gar nicht so lange her, da blickte ganz (FuĂball-)Europa neidisch auf die deutsche Bundesliga. Selbst die zweite und dritte Liga wusste bei Fans und Experten zu ĂŒberzeugen. Der Grund: jede Woche, jeden Spieltag ausverkaufte Stadien. Kaum ein leerer Platz, dazu ĂŒberragende Stimmung. Dann, im FrĂŒhjahr 2020, kam Corona. Die Ligen stellten ihren Spielbetrieb ein. Erst nachdem die Deutsche FuĂball-Liga (DFL) ein von der ganzen Sportwelt kopiertes Konzept vorgestellt hatte, durfte wieder gespielt werden â allerdings ohne Zuschauer.
Mit Beginn dieser Saison ist es wieder zur Regel geworden, dass Fans zurĂŒck in die Stadien dĂŒrfen. Erst wenige, dann immer mehr. So zumindest der Wunsch der Klubs. Ob das klappt? Das ist aufgrund der steigenden Corona-Zahlen in Deutschland wohl nicht absehbar. Und auĂerdem: Wollen die Fans ĂŒberhaupt zurĂŒck? Ăberraschenderweise bleiben nĂ€mlich viele PlĂ€tze leer, obwohl das Kartenkontingent steigt. Sie dĂŒrfen wieder â aber wollen irgendwie nicht so richtig.
In einer exklusiven Umfrage des Meinungsforschungsintituts Civey unter FuĂball-Fans fĂŒr t-online kam heraus, dass bei fast der HĂ€lfte der 1516 reprĂ€sentativ Befragten (46%) das Interesse am Stadionbesuch niedriger ist als vor Corona. Nur 7% gaben an, dass das Interesse höher ist.
Das, was die Fankultur ausmacht, fÀllt völlig weg
Fan-Forscher Professor Dr. Gunter A. Pilz erklĂ€rte das PhĂ€nomen in der "Welt am Sonntag" so: "Die HauptgrĂŒnde fĂŒr den Fanschwund liegen in den komplizierten UmstĂ€nden des Stadion- oder Hallenbesuchs. Wenn ich eine Sportveranstaltung anschauen will, muss ich getestet, geimpft oder genesen sein, es trifft dann die 2- oder 3G-Regel zu, alles ist mit einem Riesenaufwand verbunden. Das hĂ€lt etliche Leute ab." Und weiter: "Noch wichtiger aber ist der Umstand, dass das, was die Fankultur ausmacht, völlig wegfĂ€llt. Dass man in Gruppen zusammen zum Stadion fĂ€hrt, dort dann eng beisammensteht und die eigene Mannschaft anfeuert, ist momentan ĂŒberhaupt nicht gegeben."
Alles GrĂŒnde, warum unter anderen auch in Frankfurt der Fanschwund zu spĂŒren ist: Trotz erlaubter Vollauslastung waren beim 1:1 gegen Leipzig am 10. Spieltag nur 31.000 Zuschauer im Stadion. Eintrachts Vorstandssprecher Axel Hellmann hatte sich schon im September besorgt gezeigt. Bei "Bild live" sagte er: "In der Spitze hat sich der FuĂball den Menschen entfremdet. Und ich habe groĂe Sorge um die Bundesliga. Finanziell hat uns Corona brutal ausgebremst! Wir mĂŒssen die aktive Fan-Szene zurĂŒckgewinnen."
Die gröĂte Ultragruppierung von Hertha BSC, die Harlekins, wiesen immer wieder darauf hin, dass sie erst ins Stadion zurĂŒckkommen werden, wenn es unter anderem einheitliche Regeln in den Stadien gibt. In Berlin durften bisher nur 25.000 Zuschauer von 75.000 möglichen unter Einhaltung der 3G-Regeln ins Olympiastadion. Mit dem Spiel gegen Leverkusen am Sonntag wird das Kontingent nun angehoben: auf 37.500 Zuschauer. Ob das reicht, um die Fans zu einer RĂŒckkehr zu bewegen?
Die Harlekins erklĂ€rten erst im September auf ihrer Homepage: "Auch vielen anderen Herthanern geht es wie uns und so blieben von den 25.000 Karten zum Heimspielauftakt ĂŒber 5.000 StĂŒck ungenutzt. VerstĂ€ndlich, wenn ein Stadionbesuch bedeutet, sehr weitrĂ€umig verteilt in Kleingruppen bei einer ZuschauerbeschrĂ€nkung von gerade mal einem Drittel der StadionkapazitĂ€t Platz nehmen zu mĂŒssen. FĂŒr weiteren Unmut sorgen die uneinheitlichen Regelungen in den verschiedenen BundeslĂ€ndern sowie Ligen."
So denken die Fans
t-online fragte bei den Fans nach, warum oder warum sie nicht ins Stadion zurĂŒckkommen. Dabei kamen die verschiedensten Sichtweisen zutage:
- Christian Klein aus Hamburg: "Die geldgeilen VerbĂ€nde, Vereine und Spieler haben es sich in der Pandemie mit vielen Fans versaut. Sonderregeln und Ausnahmen haben mit SolidaritĂ€t ĂŒberhaupt nichts zu tun, und das Verhalten einiger Spieler, die sich fĂŒr unantastbar halten, ist einfach nur asozial. Dazu noch eine EM, die wĂ€hrend einer solchen Krise munter durch ganz Europa tourt und 60.000 Leute in einem Stadion versammelt, wĂ€hrend Kinder nicht in die Schule dĂŒrfen, alte Menschen in den Heimen ohne Besuch vereinsamen und viele Leute ihre Jobs verlieren oder in Kurzarbeit stecken. Das letzte Jahr hat ziemlich deutlich gezeigt, wie sche**egal die Fans den Vereinen und VerbĂ€nden sind. Das Einzige, was zĂ€hlt, ist der Profit. Das hat vielen Fans die Augen geöffnet. Mein Interesse ist jedenfalls extrem verblasst â obwohl ich sogar seit ewigen Zeiten Vereinsmitglied bin und oft in diversen Stadien war."
- Dennis Burgard aus SaarbrĂŒcken: "Der FuĂball hat spĂ€testens in der Corona-Zeit bewiesen, dass er die Bodenhaftung und den Bezug zum Fan gĂ€nzlich verloren hat. Die Sonderstellungen, Multi-Abos fĂŒr alle Spiele und die explodierenden GehĂ€lter und Transferausgaben. Wer hat denn da noch Bock drauf, diesem Zirkus seine Zeit und Herzblut zu schenken."
- Andreas Börsch aus Hannover: "Die 2G- oder 3G-Regel verunsichert viele. Auch die Angst spielt eine Rolle. Dazu haben viele das Fernsehen entdeckt und beschlossen, auf dem Sofa liegen zu bleiben."
- Sandra MĂŒller aus Lorsch: "Wir wĂŒrden sehr gerne öfter mit unseren beiden Jungs ins Stadion gehen, aber bei 4 Personen finanziell einfach nicht drin. Wenn man sogar fĂŒr einen 5-JĂ€hrigen (eigentlich immer als SchoĂkind kostenlos) schon 30 Euro fĂŒr eine Karte zahlen muss und dann Essen und Trinken, ist das einfach zu teuer."
- Nils aus Bremen: "FrĂŒher begeisterter StadiongĂ€nger, der in 15 Jahren gerade Mal 10 Heimspiele verpasst hat. Seit der Pandemie kaum noch Interesse. Und das liegt nicht nur an der desolaten Leistung meines Lieblingsvereins ..."
Beim Spiel von Borussia Dortmund gegen Ingolstadt in der zweiten Runde des DFB-Pokals waren nur 25.813 Besucher im Stadion, obwohl 67.000 zugelassen waren. Vor der Corona-Pandemie gehörte der BVB mit durchschnittlich 80.000 Zuschauern pro Partie zu den am besten besuchten Vereinen in Europa. BVB-Sportdirektor Michael Zorc sagte zu "Bild": "Im Vergleich zu anderen Stadien finde ich 25.000 sogar viel. 2006 haben wir auch in der 2. Runde gegen Unterhaching gespielt, da hatten wir 18.000 Zuschauer. Insofern ist das eine groĂe Steigerung." Im Bundesliga-Heimspiel nach dem Pokal gegen Köln kamen 66.709 Zuschauer. Fast Normalwert also. Und trotzdem ist erkennbar, dass Fans scheinbar nicht mehr bereit sind, jedes Spiel zu besuchen.
Der FC Bayern aktiviert fĂŒr das Heimspiel gegen den SC Freiburg am Samstag wieder seine Jahreskarten, mit 75.000 Zuschauern soll die Arena erstmals seit Anfang 2020 wieder ausverkauft sein. Beim Spiel zwischen Wolfsburg und Freiburg am 9. Spieltag hĂ€tten 30.000 Zuschauer kommen dĂŒrfen, 10.251 nahmen das Angebot nur wahr. Selbst beim Champions-League-Spiel gegen Salzburg machten sich nur 16.112 Fans auf den Weg ins Stadion.
Vielleicht geht es inzwischen auch ohne FuĂball
Immerhin: Gegen Augsburg am Samstag kommen die Klub-Dauerkarten wieder zum Einsatz. "Wir gehen davon aus, dass dadurch auch wieder mehr Zuschauerinnen und Zuschauer zu uns in die Arena kommen werden", sagte GeschĂ€ftsfĂŒhrer Dr. Tim Schumacher. "Und wir hoffen natĂŒrlich, dass der Bundesliga-FuĂball schon bald wieder zur gewohnten Wochenend-Routine der Leute dazugehören wird."
Ob das wirklich passiert, bleibt abzuwarten. "Vielleicht hat sich der eine oder andere wĂ€hrend der Pandemie selbst besonnen und erkannt, dass er auch ohne FuĂball gut auskommt. Es ist jedenfalls nicht mehr die gleiche Gier da wie vor der Pandemie", erklĂ€rt Fanforscher Gunter A. Pilz.
Anderthalb Jahre Corona haben auch im FuĂball ihre Spuren hinterlassen. Viele Fans haben sich von ihrer groĂen Liebe abgewandt â und das aus den unterschiedlichsten GrĂŒnden. 2G-Regeln, 3G-Regeln, Tests, keine Tests, teure Tickets: Was frĂŒher fast undenkbar war, ist passiert, nĂ€mlich, dass die AnhĂ€nger inzwischen zweimal ĂŒberlegen, ob sie wirklich ins Stadion gehen wollen. Eines ist klar: Auf die Vereine wartet eine Herkulesaufgabe, wollen sie die Fans zurĂŒckgewinnen.