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Bundesliga: Fanschwund im deutschen Fußball – die Lustfrage


Fanschwund im deutschen Fußball
Die Lustfrage

Von Andreas Becker

06.11.2021Lesedauer: 5 Min.
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Vorfreude sieht anders aus: Zwei BVB-Fans auf der Tribüne im Signal Iduna Park.Vergrößern des Bildes
Vorfreude sieht anders aus: Zwei BVB-Fans auf der Tribüne im Signal Iduna Park. (Quelle: Jan Huebner/imago-images-bilder)

Der deutsche Fußball geht in eine ungewisse Zukunft. Immer mehr Fans wenden sich von ihrer einst größten Leidenschaft ab. Für die Klubs ist der Liebesentzug eine große Gefahr.

Es ist noch gar nicht so lange her, da blickte ganz (Fußball-)Europa neidisch auf die deutsche Bundesliga. Selbst die zweite und dritte Liga wusste bei Fans und Experten zu überzeugen. Der Grund: jede Woche, jeden Spieltag ausverkaufte Stadien. Kaum ein leerer Platz, dazu überragende Stimmung. Dann, im Frühjahr 2020, kam Corona. Die Ligen stellten ihren Spielbetrieb ein. Erst nachdem die Deutsche Fußball-Liga (DFL) ein von der ganzen Sportwelt kopiertes Konzept vorgestellt hatte, durfte wieder gespielt werden – allerdings ohne Zuschauer.

Mit Beginn dieser Saison ist es wieder zur Regel geworden, dass Fans zurück in die Stadien dürfen. Erst wenige, dann immer mehr. So zumindest der Wunsch der Klubs. Ob das klappt? Das ist aufgrund der steigenden Corona-Zahlen in Deutschland wohl nicht absehbar. Und außerdem: Wollen die Fans überhaupt zurück? Überraschenderweise bleiben nämlich viele Plätze leer, obwohl das Kartenkontingent steigt. Sie dürfen wieder – aber wollen irgendwie nicht so richtig.

In einer exklusiven Umfrage des Meinungsforschungsintituts Civey unter Fußball-Fans für t-online kam heraus, dass bei fast der Hälfte der 1516 repräsentativ Befragten (46%) das Interesse am Stadionbesuch niedriger ist als vor Corona. Nur 7% gaben an, dass das Interesse höher ist.

Das, was die Fankultur ausmacht, fällt völlig weg

Fan-Forscher Professor Dr. Gunter A. Pilz erklärte das Phänomen in der "Welt am Sonntag" so: "Die Hauptgründe für den Fanschwund liegen in den komplizierten Umständen des Stadion- oder Hallenbesuchs. Wenn ich eine Sportveranstaltung anschauen will, muss ich getestet, geimpft oder genesen sein, es trifft dann die 2- oder 3G-Regel zu, alles ist mit einem Riesenaufwand verbunden. Das hält etliche Leute ab." Und weiter: "Noch wichtiger aber ist der Umstand, dass das, was die Fankultur ausmacht, völlig wegfällt. Dass man in Gruppen zusammen zum Stadion fährt, dort dann eng beisammensteht und die eigene Mannschaft anfeuert, ist momentan überhaupt nicht gegeben."

Alles Gründe, warum unter anderen auch in Frankfurt der Fanschwund zu spüren ist: Trotz erlaubter Vollauslastung waren beim 1:1 gegen Leipzig am 10. Spieltag nur 31.000 Zuschauer im Stadion. Eintrachts Vorstandssprecher Axel Hellmann hatte sich schon im September besorgt gezeigt. Bei "Bild live" sagte er: "In der Spitze hat sich der Fußball den Menschen entfremdet. Und ich habe große Sorge um die Bundesliga. Finanziell hat uns Corona brutal ausgebremst! Wir müssen die aktive Fan-Szene zurückgewinnen."

Die größte Ultragruppierung von Hertha BSC, die Harlekins, wiesen immer wieder darauf hin, dass sie erst ins Stadion zurückkommen werden, wenn es unter anderem einheitliche Regeln in den Stadien gibt. In Berlin durften bisher nur 25.000 Zuschauer von 75.000 möglichen unter Einhaltung der 3G-Regeln ins Olympiastadion. Mit dem Spiel gegen Leverkusen am Sonntag wird das Kontingent nun angehoben: auf 37.500 Zuschauer. Ob das reicht, um die Fans zu einer Rückkehr zu bewegen?

Die Harlekins erklärten erst im September auf ihrer Homepage: "Auch vielen anderen Herthanern geht es wie uns und so blieben von den 25.000 Karten zum Heimspielauftakt über 5.000 Stück ungenutzt. Verständlich, wenn ein Stadionbesuch bedeutet, sehr weiträumig verteilt in Kleingruppen bei einer Zuschauerbeschränkung von gerade mal einem Drittel der Stadionkapazität Platz nehmen zu müssen. Für weiteren Unmut sorgen die uneinheitlichen Regelungen in den verschiedenen Bundesländern sowie Ligen."

So denken die Fans

t-online fragte bei den Fans nach, warum oder warum sie nicht ins Stadion zurückkommen. Dabei kamen die verschiedensten Sichtweisen zutage:

  • Christian Klein aus Hamburg: "Die geldgeilen Verbände, Vereine und Spieler haben es sich in der Pandemie mit vielen Fans versaut. Sonderregeln und Ausnahmen haben mit Solidarität überhaupt nichts zu tun, und das Verhalten einiger Spieler, die sich für unantastbar halten, ist einfach nur asozial. Dazu noch eine EM, die während einer solchen Krise munter durch ganz Europa tourt und 60.000 Leute in einem Stadion versammelt, während Kinder nicht in die Schule dürfen, alte Menschen in den Heimen ohne Besuch vereinsamen und viele Leute ihre Jobs verlieren oder in Kurzarbeit stecken. Das letzte Jahr hat ziemlich deutlich gezeigt, wie sche**egal die Fans den Vereinen und Verbänden sind. Das Einzige, was zählt, ist der Profit. Das hat vielen Fans die Augen geöffnet. Mein Interesse ist jedenfalls extrem verblasst – obwohl ich sogar seit ewigen Zeiten Vereinsmitglied bin und oft in diversen Stadien war."
  • Dennis Burgard aus Saarbrücken: "Der Fußball hat spätestens in der Corona-Zeit bewiesen, dass er die Bodenhaftung und den Bezug zum Fan gänzlich verloren hat. Die Sonderstellungen, Multi-Abos für alle Spiele und die explodierenden Gehälter und Transferausgaben. Wer hat denn da noch Bock drauf, diesem Zirkus seine Zeit und Herzblut zu schenken."
  • Andreas Börsch aus Hannover: "Die 2G- oder 3G-Regel verunsichert viele. Auch die Angst spielt eine Rolle. Dazu haben viele das Fernsehen entdeckt und beschlossen, auf dem Sofa liegen zu bleiben."
  • Sandra Müller aus Lorsch: "Wir würden sehr gerne öfter mit unseren beiden Jungs ins Stadion gehen, aber bei 4 Personen finanziell einfach nicht drin. Wenn man sogar für einen 5-Jährigen (eigentlich immer als Schoßkind kostenlos) schon 30 Euro für eine Karte zahlen muss und dann Essen und Trinken, ist das einfach zu teuer."
  • Nils aus Bremen: "Früher begeisterter Stadiongänger, der in 15 Jahren gerade Mal 10 Heimspiele verpasst hat. Seit der Pandemie kaum noch Interesse. Und das liegt nicht nur an der desolaten Leistung meines Lieblingsvereins ..."

Beim Spiel von Borussia Dortmund gegen Ingolstadt in der zweiten Runde des DFB-Pokals waren nur 25.813 Besucher im Stadion, obwohl 67.000 zugelassen waren. Vor der Corona-Pandemie gehörte der BVB mit durchschnittlich 80.000 Zuschauern pro Partie zu den am besten besuchten Vereinen in Europa. BVB-Sportdirektor Michael Zorc sagte zu "Bild": "Im Vergleich zu anderen Stadien finde ich 25.000 sogar viel. 2006 haben wir auch in der 2. Runde gegen Unterhaching gespielt, da hatten wir 18.000 Zuschauer. Insofern ist das eine große Steigerung." Im Bundesliga-Heimspiel nach dem Pokal gegen Köln kamen 66.709 Zuschauer. Fast Normalwert also. Und trotzdem ist erkennbar, dass Fans scheinbar nicht mehr bereit sind, jedes Spiel zu besuchen.

Der FC Bayern aktiviert für das Heimspiel gegen den SC Freiburg am Samstag wieder seine Jahreskarten, mit 75.000 Zuschauern soll die Arena erstmals seit Anfang 2020 wieder ausverkauft sein. Beim Spiel zwischen Wolfsburg und Freiburg am 9. Spieltag hätten 30.000 Zuschauer kommen dürfen, 10.251 nahmen das Angebot nur wahr. Selbst beim Champions-League-Spiel gegen Salzburg machten sich nur 16.112 Fans auf den Weg ins Stadion.

Vielleicht geht es inzwischen auch ohne Fußball

Immerhin: Gegen Augsburg am Samstag kommen die Klub-Dauerkarten wieder zum Einsatz. "Wir gehen davon aus, dass dadurch auch wieder mehr Zuschauerinnen und Zuschauer zu uns in die Arena kommen werden", sagte Geschäftsführer Dr. Tim Schumacher. "Und wir hoffen natürlich, dass der Bundesliga-Fußball schon bald wieder zur gewohnten Wochenend-Routine der Leute dazugehören wird."

Ob das wirklich passiert, bleibt abzuwarten. "Vielleicht hat sich der eine oder andere während der Pandemie selbst besonnen und erkannt, dass er auch ohne Fußball gut auskommt. Es ist jedenfalls nicht mehr die gleiche Gier da wie vor der Pandemie", erklärt Fanforscher Gunter A. Pilz.

Anderthalb Jahre Corona haben auch im Fußball ihre Spuren hinterlassen. Viele Fans haben sich von ihrer großen Liebe abgewandt – und das aus den unterschiedlichsten Gründen. 2G-Regeln, 3G-Regeln, Tests, keine Tests, teure Tickets: Was früher fast undenkbar war, ist passiert, nämlich, dass die Anhänger inzwischen zweimal überlegen, ob sie wirklich ins Stadion gehen wollen. Eines ist klar: Auf die Vereine wartet eine Herkulesaufgabe, wollen sie die Fans zurückgewinnen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Nachrichtenagenturen dpa und SID
  • Welt.de: "Fremd im eigenen Stadion"
  • Sportbuzzer.de: "Wolfsburg: 30.000 dürfen kommen, nur 11.000 erwartet"
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