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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Deutschland geht gegen Schweden unter Die Probleme sind offensichtlich

Deutschlands Frauen-Nationalmannschaft kassiert gegen Schweden eine herbe Niederlage. Die Probleme sind vielfältig – und existieren schon länger.
Aus Zürich berichtet Kim Steinke
Als der Abpfiff ertönte, gingen die Blicke der deutschen Fußballerinnen zu Boden. Nach zwei Siegen bei der Frauen-EM musste die Mannschaft von Bundestrainer Christian Wück gegen Schweden (1:4) einen empfindlichen Rückschlag hinnehmen – und zugleich einen herben Verlust verkraften.
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Die Szene, in der Carlotta Wamser in der 31. Minute den Ball mit der Hand auf der Linie klärte, stand sinnbildlich für den gesamten Abend: Die deutsche Mannschaft war überfordert. In der Defensive war das Team fehleranfällig, im Spielaufbau fahrig.
Schon am kommenden Samstag wartet im Viertelfinale Frankreich oder England. Gegner, die jede Unsicherheit auszunutzen wissen. Und davon gab es zuletzt einige. Die Probleme der DFB-Elf sind derweil offensichtlich – und existieren nicht erst seit der Partie gegen Schweden.
Der Verlust von Giulia Gwinn
Den Anfang machte der Verlust von Giulia Gwinn vor etwas mehr als einer Woche. Die Bayern-Spielerin ist nicht nur Kapitänin des deutschen Frauen-Nationalteams. Sie ist Antreiberin, Taktgeberin und Identifikationsfigur der Mannschaft. Der Ausfall der 26-Jährigen nach nur 40 Minuten im Auftaktspiel gegen Polen (2:0) traf das Team dementsprechend hart. Die Diagnose: Innenbandverletzung und das vorzeitige Turnier-Aus. Ein Schock für Deutschland bei der Titelmission – und das nicht nur unter rein sportlichen Gesichtspunkten.
Denn: Gwinn war bereits in der Vergangenheit das Bindeglied zwischen der früheren Generation um Spielerinnen wie Ex-DFB-Star Alexandra Popp und nachrückenden, jungen Akteurinnen. In einem sich jetzt noch suchenden Team fehlt sie nun also auch als emotionale Stütze auf dem Feld. Zwar hielt sie vor dem Schweden-Spiel die Ansprache an die Mannschaft – leiten konnte sie das Team im Spiel verletzungsbedingt aber nicht. Die Erkenntnis: Als Anker des Teams fehlt Gwinn auf dem Platz an allen Ecken und Enden.
Die Diskussion um Berger
Sorgen macht aktuell zudem dir Torhüterin. Seit dem Duell mit Dänemark steht Ann-Katrin Berger im Zentrum der Aufmerksamkeit – ausgelöst durch ihren teilweise riskanten Spielstil. Am vergangenen Dienstag ließ die 34-Jährige gleich drei Gegenspielerinnen mit ihren Dribblings und Finten ins Leere laufen. Obwohl nichts Schlimmes passierte, erhöhte sie den Puls des Bundestrainers. Wück kündigte ein Gespräch mit der deutschen Schlussfrau an. "Sonst werde ich nicht mehr alt", sagte er. Bergers Spielstil gefalle ihm nicht.
Am Freitag ruderte Wück deutlich zurück – womöglich, um Berger aus der Schusslinie zu nehmen: "Es gab bei uns nie eine Torwartdebatte", wurde er deutlich. Die Diskussion sei von der Öffentlichkeit losgetreten worden. Berger erklärte am Samstag: "Ich habe mich nicht verunsichern lassen – wovon denn auch?"
Zwar verzichtete sie gegen Schweden auf riskante Einzelaktionen – die Abstimmung mit ihren Vorderleuten passte allerdings mehrfach nicht. "Da waren zwei, drei Bälle dabei, die werde ich mir angucken. Manche würde ich auch wieder spielen", so Berger weiter.
Fakt ist: Bei den vier Gegentoren konnte sie kaum etwas ausrichten. Aber: Mit ihren Fehlpässen brachte auch sie Unsicherheit ins deutsche Spiel. Dass ihre zwei groben Fehler im Aufbauspiel nicht bestraft wurden, war vor allem dem Unvermögen der Schwedinnen zuzuschreiben.
Die tragische Wende eines Turniermärchens
Carlotta Wamser galt bis hierhin als deutsche Entdeckung des Turniers. Ihr steiler Aufstieg im DFB-Team endete für sie nun aber mit einem folgenschweren Platzverweis.
Nach dem Ausfall von Giulia Gwinn hatte die 21-Jährige die rechte Abwehrseite übernommen – und dabei überzeugt. Wamser bereitete das 1:0 gegen Polen vor, holte mit ihrem Steilpass auf Linda Dallmann im Dänemark-Spiel einen Elfmeter raus und legte auch das deutsche Tor gegen Schweden von Jule Brand mit einem cleveren Steilpass auf. Sie glänzte in Defensive wie Offensive.
Dann folgte am Samstagabend die 31. Minute: Den Schuss von Fridolina Rolfö, Torhüterin Berger war bereits geschlagen, rettete Wamser auf der Linie – allerdings mit der Hand. Sie schlug auf den Boden, wusste sofort, was folgen würde: Rot, Elfmeter für Schweden und das zwischenzeitliche 1:3 aus deutscher Sicht.
Janina Minge, die die Kapitänsbinde von Giulia Gwinn übernommen hat, betonte nach der Partie: "Carlotta machen wir keinen Vorwurf." Der Fehler liege nicht bei ihr. "Es hätte vielen passieren können", erklärte Minge weiter.
Doch der Schaden bleibt. Wamser ist mindestens für das EM-Viertelfinale gesperrt – und Bundestrainer Wück steht keine gelernte Rechtsverteidigerin mehr zur Verfügung. Die Lösung muss improvisiert werden – ausgerechnet gegen Frankreich oder England, neben Spanien die Turnierfavoriten auf den Titel.
Das altbekannte Thema
Vier Gegentore in einem EM-Spiel – so viele Treffer hatte Deutschland bei einer EM-Partie noch nie kassiert. Die höchste Niederlage war bis dato ein 1:3 gegen Dänemark im Spiel um Platz drei 1993. Dass es nun zu vier Gegentoren kam, liegt auch daran, dass es der deutschen Defensive schon länger an Stabilität fehlt.
Seit Monaten wird das Team für die Anfälligkeit in der Abwehrkette kritisiert. Janina Minge rückte unter Wück-Vorgänger Horst Hrubesch vom Mittelfeld in die Innenverteidigung und entwickelte sich zur Chefin in der Defensive. Lange wurde ihre Nebenspielerin im Abwehrzentrum gesucht. In der Vorbereitung auf die EM setzte sich dann Rebecca Knaak gegen Kathrin Hendrich durch, zeigte jedoch auch da schon Schwächen im Tempo und in der Handlungsschnelligkeit.
Wamser überzeugte zwar mit ihrer Schnelligkeit, allerdings waren die Partien gegen Polen, Dänemark und Schweden erst ihre Länderspiele drei, vier und fünf. Erfahrung hat sie kaum – und muss nun durch den Platzverweis ohnehin von der Tribüne aus zuschauen.
Wamsers Pendant auf der linken Seite, Sarai Linder, zeigte vor allem gegen Schweden Schwächen im Stellungsspiel und in der Passsicherheit. Bundestrainer Wück, der wohl auch deshalb Bergers riskanten Spielstil infrage stellte, versuchte, die Wogen zu glätten: "Man darf jetzt nicht den Fehler machen, Mannschaftsteile zu beschuldigen oder an den Pranger zu stellen", erklärte er mit Blick auf die Gegentore gegen Schweden. Das gesamte Team müsse als Verbund bestehen. Doch dieser Verbund funktioniert aktuell nicht.
Die Titelträume drohen zu platzen
Laura Freigang, die gegen Schweden für Linda Dallmann in die Startformation gerückt war, sagte nach der Partie: "Es war ein gebrauchter Tag." Einer, den niemand im Turnierverlauf gebrauchen könne – und doch kann er eine Chance sein. Denn das Viertelfinale kommt, ob die deutsche Mannschaft bereit ist oder nicht. Bis dahin bleiben den DFB-Frauen noch sieben Tage, um die Niederlage gegen Schweden abzuhaken und die Unsicherheiten in den Griff zu bekommen.
Vizekapitänin Sjoeke Nüsken stellte klar: "Wir wollen weiterhin um den Titel spielen." Sie sei zu hundert Prozent von der deutschen Mannschaft überzeugt. "Und wir können noch viel erreichen – egal, wer jetzt kommt. Ob England, Frankreich oder Spanien, jeder muss geschlagen werden, um Europameister zu werden", gab sich die Spielerin des FC Chelsea kampfbereit.
Eines steht jedoch fest: Legt die DFB-Elf noch einmal so einen Auftritt wie gegen Schweden hin, dürften die Titelträume platzen – in einem Turnier, in dem von Anfang der Wurm drinsteckte.
- Eigene Recherche und Beobachtungen
- Gespräche in der Mixed Zone mit Laura Freigang, Ann-Katrin Berger und Janina Minge
- DFB-Pressekonferenz vom 12. Juli 2025