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DFB-Elf in der Krise: Julian Nagelsmann ist nicht der Erste, der Alarm schlägt


Nagelsmanns alarmierende Worte
Er ist nicht der Erste, der das sagt

Von Benjamin Zurmühl

Aktualisiert am 23.11.2023Lesedauer: 4 Min.
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Julian Nagelsmann: Der Bundestrainer sieht im Verteidigen eine Schwäche seiner Mannschaft.Vergrößern des Bildes
Julian Nagelsmann: Der Bundestrainer sieht im Verteidigen eine Schwäche seiner Mannschaft. (Quelle: IMAGO/Herbertz / Nico Herbertz)

Die Nationalmannschaft muss offensiv spielen, weil sie nicht defensiv spielen kann, meint der Bundestrainer. Eine Aussage, die bekannt vorkommt.

Julian Nagelsmann deutete an, dass er Dinge verändern will. Eine andere Wahl bleibt dem Bundestrainer nach dem 2:3 gegen die Türkei und dem 0:2 gegen Österreich auch nicht. Es muss einiges passieren, damit die Heim-EM für Deutschland nicht zum Debakel wird. Was genau, das wusste er am Mittwochabend noch nicht. "Die eine Idee im Kopf" habe er nicht.

Klar ist: Nagelsmann will auf dem Platz mehr Emotionen sehen, mehr Leidenschaft, mehr Aggressivität. Das hatte ihm schon nach der Türkei-Niederlage gefehlt, gegen Österreich sah er davon auch zu wenig. "Wir müssen noch mehr arbeiten, müssen über die Kaderzusammenstellung, aber auch über Arbeit ein Gefüge werden. Wir müssen arbeiten auf dem Feld", sagte er nun am Mittwochabend im Wiener Ernst-Happel-Stadion.

Video | Nagelsmann rechnet mit DFB-Stars ab
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Mehr Arbeit, mehr Miteinander, das will der 36-Jährige den Spielern vermitteln. Aus den Individualisten soll ein Team werden. Was er den Spielern aber nicht vermitteln will, ist ein gänzlich anderer Spielstil. Die offensive Art und Weise, mit der Deutschland zuletzt auftrat, ist laut Nagelsmann alternativlos.

"Wir sind keine Verteidigungsmonster, das sind wir nicht. Wir sind eine Mannschaft, die bestehen kann, wenn wir die Zeit, in der wir verteidigen müssen, minimieren. Wenn wir aber eine absurde Ballverlustrate haben in der ersten Halbzeit, geht die Rechnung nicht auf."

Nagelsmann, Flick, Nowotny, Kohler

Nagelsmanns Kritik betraf nicht nur die Abwehr. Verteidigen ist die Aufgabe des gesamten Teams, nicht nur der hinteren Kette. Dass aber genau der so simpel wirkende Teil des Spiels fast die größte Schwäche im deutschen Team ist, ist nicht neu. Nagelsmann ist nicht der Erste, der das sagt.

Auch sein Vorgänger Hansi Flick merkte nach dem Ausscheiden bei der WM in Katar diesen Mangel an. "Wir reden schon seit, was weiß ich, wie viel Jahren über einen Neuner, den wir brauchen, über spielstarke Außenverteidiger. (…) Was den deutschen Fußball ausgezeichnet hat, war, dass wir verteidigen konnten. Das sind Elemente, die wir für den Nachwuchsbereich brauchen. Das sind die Basics." Eben jene Basics, die Grundlagen des Spiels, fehlten und fehlen der deutschen Mannschaft.

Dinge, die auch andere Experten bereits anmerkten. Ex-Nationalspieler Jens Nowotny sagte dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland" im Januar dieses Jahres nach dem WM-Aus: "Was uns über das gesamte Turnier hinweg das Genick gebrochen hat, waren individuelle Defensivfehler. Es fehlen die defensiv denkenden Spieler, die im Eins-gegen-Eins nach hinten stark sind, die damit Selbstvertrauen tanken und das ans Team übertragen."

Weltmeister Jürgen Kohler stimmte wenige Monate später im "Kicker" mit ein: "Es sind wiederkehrende Fehler in der Defensive, taktisch und individuell. Wir waren über Jahrzehnte das Land mit den besten Abwehrspielern der Welt, da muss also etwas schiefgelaufen sein. Das Verteidigen wird zu wenig trainiert."

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Zwei Lösungswege

An der Ausbildung im Nachwuchs wird bereits gearbeitet. Dort soll das Verteidigen wieder eine größere Rolle spielen. Für die EM im nächsten Jahr hat das aber noch keine Folgen. Wohl auch nicht für die WM 2026.

Dafür braucht es andere Lösungen und im Endeffekt bleiben Bundestrainer Nagelsmann genau zwei Lösungswege.

Weg Nummer eins:

Die Nationalmannschaft steht grundsätzlich etwas tiefer, hat mehr Spieler auf dem Platz, die auch wirklich Interesse am kollektiven Verteidigen haben. Das geht vorne los. Kaum ein Offensivspieler im deutschen Team kann das Pressing so gut orchestrieren wie Thomas Müller. Dazu braucht es den einen oder anderen "Aggressive Leader" im Mittelfeldzentrum. Jemand, der sich auch über das Spiel gegen den Ball definiert und emotional vorangeht. Das kann beispielsweise Robert Andrich sein.

Und in der Abwehr muss es am Ende auf eine Viererkette hinauslaufen, auf der ein Innenverteidiger nach außen rückt. Defensivstarke Außenverteidiger auf Topniveau hat Deutschland kaum. Aber wenn auf einer Seite ein offensiverer Spieler agiert, braucht es auf der anderen Seite den Ausgleich.

So ähnlich trat Deutschland beispielsweise im September gegen Frankreich auf, als Rudi Völler mit Hannes Wolf und Sandro Wagner nach dem Aus Hansi Flicks kurzfristig übernommen hatte. Mit etwas Glück gewann die deutsche Mannschaft mit 2:1 und entfachte einen Funken EM-Euphorie.

Weg Nummer zwei:

Die Nationalmannschaft versucht, möglichst viel Kontrolle über das Spiel zu gewinnen, um die Zeit, in der verteidigt werden muss, gering zu halten. Bei Ballverlusten wird sofort intensiv angelaufen und versucht, den Ball binnen weniger Sekunden wiederzugewinnen. Ein Gegenpressing in bester Jürgen-Klopp-Manier, wodurch der Gegner gar nicht erst die Chance bekommt, kontrollierte Angriffe zu starten.

Auch hier gibt es im Mittelfeld aber defensiv ausgerichtete Spieler, die auch mal ein taktisches Foul ziehen oder zu anderen (fairen) Mitteln greifen, um Konter zu unterbinden. In der hoch stehenden Abwehr spielen zudem schnelle Spieler, die bei den Tempogegenstößen mit den gegnerischen Stürmern mithalten können.

 
 
 
 
 
 
 
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Julian Nagelsmann scheint Letzteres zu bevorzugen. Das kann auch funktionieren, das Spielermaterial hat Deutschland zumindest in Teilen dafür. Doch damit es auch auf dem Platz gelingt, braucht es gute Abläufe, viel Selbstbewusstsein und eben auch die nötige Aggressivität und Gier, den Ball zu erobern.

Wenn die Spieler nicht mit 100 Prozent bei der Sache sind, kann solch ein riskanter Spielstil schnell überspielt werden. Das ist das, was Deutschland unter Flick, aber nun auch unter Nagelsmann passiert ist. Aber wenn es funktioniert, wie beispielsweise in Teilen beim 3:1-Sieg gegen die USA im Oktober, kann die DFB-Auswahl mit einem attraktiven und dominanten Spielstil die Fans auf ihre Seite ziehen. Und dann wird die EM auch kein Debakel, sondern ein Erfolg. Selbst dann, wenn es vielleicht nicht zum Titel reichen sollte.

Verwendete Quellen
  • TV-Übertragung im ZDF
  • Eigene Teilnahme an Pressekonferenz nach dem Spiel Deutschland gegen Costa Rica
  • sportbuzzer.de: "Ex-Nationalspieler Nowotny benennt DFB-Defizite: Das hat der Flick-Elf 'das Genick gebrochen'"
  • sport1.de: "Kohler sieht Defensive als Hauptproblem"
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