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"Tatort" im Faktencheck: Was ist so verlockend bei den Reichsbürgern?


Der "Tatort"-Faktencheck
Was ist so verlockend bei den Reichsbürgern?

Von Barbara Schaefer

Aktualisiert am 04.06.2018Lesedauer: 4 Min.
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Müssen draußen bleiben: Die Kriminalhauptkommissare Ivo Batic (li., Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) stehen vor dem verschlossenen Eingangstor zum "Freiland"-Gelände.Vergrößern des Bildes
Müssen draußen bleiben: Die Kriminalhauptkommissare Ivo Batic (l., Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) stehen vor dem verschlossenen Eingangstor zum "Freiland"-Gelände. (Quelle: BR/Hendrik Heiden/Claussen+Putz Filmproduktion GmbH)

Leitmayr und Batic jenseits der S-Bahn, hat es das schon mal gegeben? Die Münchner Kommissare müssen ausrücken bis fast an die tschechische Grenze. Dort haben sich sogenannte Reichsbürger ein eigenes Reich erschaffen. Gibt es so etwas wirklich im Freistaat Bayern?

In München wird ein junger Mann tot in der Badewanne aufgefunden, auch er gehörte zu den Reichsbürgern, sagt seine Mutter. Es besteht Mordverdacht, und so brechen die Kommissare auf nach Traitach, einen heruntergekommenen Ort in Niederbayern. Dort lebt auf einem alten Hof eine Gruppe Menschen, die ihr Land zum eigenen Staatsgebiet erklärt hat.

Nicht allen Kommissar-Paaren wäre die sechsstündige Autofahrt zuzumuten, Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) kabbeln sich nur ein bisschen um die Musik, altvertraut. Doch dieser "Tatort" fordert sie heraus. Die "Freiländer" um ihren selbst ernannten Chef "König Ludwig" (Andreas Döhler) sprechen ihnen ihre Legitimation als Polizisten ab. Und die ansässigen Dorfpolizisten haben aufgegeben, essen lieber ihren Schweinsbraten im Wirtshaus, als sich um Bußgeldbescheide und falsche Nummernschilder zu kümmern.

Und während Niederbayern seinen ganzen landschaftlichen Charme in die Waagschale wirft, braut sich Braunes zusammen. Die "Freiländer" betreiben ein Callcenter und erklären aufgebrachten Anrufern, wie sie mit den Behörden "der sogenannten Bundesrepublik" umgehen sollen. Da den Freiländern, die sich einen Hof zur Festung umgebaut haben, das Geld ausgeht, werben sie im Dorf um weitere Mitglieder. Die Kommissare aber müssen sich mit Abfuhren und Automatenbratwurst begnügen.

Am Ende war es gar kein Mord, der junge Mann hat sich aus Verzweiflung umgebracht. Aber Batic und Leitmayr haben viel gelernt in diesem starken "Tatort" (Buch: Holger Joos, Regie: Andreas Kleinert). Auch bei ihrer Diskussion um die Frage, wie sie sich verhalten sollen. Während Batic nur den Fall aufklären will und sagt, für alles andere sei die Politik zuständig, pocht Leitmayr darauf, man dürfe nicht zuschauen, wenn einer so eine Welt aufbaue, "in der Fakten überhaupt keine Rolle mehr spielen. Wenn die bestimmen, was wahr ist und was nicht". Und wie sieht es in der Realität aus? Treiben Reichsbürger in Bayern ihr Unwesen? t-online.de hat nachgefragt.

Der Faktencheck

Fragen an Robert Andreasch, Journalist und Autor, Mitarbeiter der Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e. V. (a.i.d.a.), www.aida-archiv.de

t-online.de: Robert Andreasch, Reichsbürger gibt es auch in Bayern, weiß man etwas darüber, wie viele es sind?

Robert Andreasch: Reichsbürger gibt es vor allem in Bayern. Mehrere Tausend sind in Bayern aktiv, als Journalist kann ich nur beobachten, aber keine exakten, eigenen Zahlen angeben. Das Innenministerium in Bayern spricht von rund 4.000 Reichsbürgern. Diese Hinwendung zu so einer Szene erfolgt meist in der zweiten Lebenshälfte. Und dieses autoritäre, wahnhafte und politisch rechte Gedankengut scheint gerade in Bayern attraktiv zu sein.

Im "Tatort" versammeln sich die Reichsbürger im fiktiven Ort Traitach, weit hinten in Niederbayern, an der tschechischen Grenze – bieten gerade solch abgelegene Orte einen Nährboden für absurde Theorien?

Die Szene ist sehr heterogen. Da gibt es etwa die eine Richtung, die behaupten, dass das Deutsche Reich weiterbestehe und die deshalb die Bundesrepublik nicht anerkennen. Und andere, die selbst einen Mikrostaat aufbauen, sich ausklinken, ein Königreich bilden. Diese zweite Gruppe ist mehr auf dem Land aktiv. Es gibt auf dem Land auch keine so sensibilisierte Zivilgesellschaft. Da tritt denen keiner entgegen. Und abergläubig-esoterische Tendenzen sind in Teilen der bayerischen Provinz eh stark verbreitet, zum Beispiel im Allgäu.

Im "Tatort" heißt es: "Je weiter entfernt urbane Zentren liegen, desto größer scheint die Sogkraft der Reichsbürger zu sein" – trifft das zu?

Für diese Gruppe ja. Es ist natürlich einigermaßen lächerlich, wenn einer seine Zwei-Zimmer-Wohnung in München zum Staat erklärt. Aber wenn er ein Haus mit Wald und Grundstück hat, kann er einen Zaun drumherum ziehen und behaupten, das sei ein eigenständiges Territorium. Es gab aber auch mal Münchner, die im Englischen Garten einen Staat ausgerufen haben. Und die erste Variante, dass der Reichsidee beziehungsweise dem Deutschen Reich nachgehangen und die Bundesrepublik abgelehnt wird, ist überall verbreitet, nicht nur in der Provinz.

Der Anführer sagt zur Dorfgemeinschaft: "Ich lade Sie ein, wieder frei zu sein, in ihrem eigenen Staat zu leben, den Sie regieren, und nicht irgendwelche Marionetten aus Washington." Ist das eine Motivation der Menschen, die sich den Reichsbürgern anschließen?

Daran sieht man gut, was da alles zusammenkommt: eine rechte Einstellung, Verschwörungsideologien von finsteren Mächten in Washington, das Querulantische und noch psychologische Faktoren wie Leichtgläubigkeit und Paranoia.

Was steckt noch dahinter, welche Sehnsüchte werden bedient? Was erhoffen sich die Menschen?

Die Behauptung, bei den Reichsbürgern "Freiheit" zu finden, mag ein starkes Argument sein. Das Gefühl von fehlender Autonomie kennen ja viele. Die Reichsbürger steigern das zur Paranoia, finsteren Machenschaften ausgeliefert zu sein und reagieren darauf ausgerechnet mit Größenwahn und einer unfassbaren Anmaßung. Der Wunsch nach "Freiheit" schafft bei den Reichsbürgerinnen und Reichsbürgern keine emanzipatorischen Gesellschaftsformen, sondern rigide, völlig unfreie Zustände.

Und welche Gefahr geht von den Reichsbürgern aus?

Nur ab und zu mag es sich um Querulantentum oder harmlose Skurrilitäten handeln. Denn es kommen oft Geschichtsrevisionismus, Antisemitismus oder NS-Verherrlichung dazu, teilweise entstehen sektoide Machtstrukturen. Richtig gefährlich wird es, wenn in diesem Wahn ein Pseudo-Staat gebildet und auf "territoriale Verteidigung" gepocht wird. Das mündet ja zwingend in einer Eskalation und führt zur Anwendung der häufig vorhandenen Schusswaffen. Man denke an den Reichsbürger Wolfgang Plan aus Georgensgmünd, der einen Polizisten erschossen hat.

Leitmayr und Batic laufen gegen eine Mauer der Ignoranz. Sie werden als Institution, als Personen der Exekutive nicht anerkannt. Wie geht die Staatsmacht damit um, wie kommt man jemandem bei, der die Legalität der Polizei leugnet?

Man darf sich meines Erachtens auf keinen Fall auf die "Argumentationsebene" der sogenannten Reichsbürger begeben und beispielsweise über die Rechtmäßigkeit der Existenz des Staates zu diskutieren beginnen. Wenn ein Gerichtsvollzieher wieder abfährt, der eigentlich Steuern eintreiben wollte, dann fühlen die Reichsbürger sich bestärkt und feiern sich auf YouTube gegenseitig. Es ist vor allem für Behörden wahnsinnig nervig, was die veranstalten können, aber man darf da nicht klein beigeben.

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