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Amazons CTO Werner Vogels im Interview: "Eines unserer Themen ist der Weltraum"


Amazon-Technikchef Vogels
"Sowas war noch vor kurzem unmöglich"

  • Jan Mölleken
InterviewVon Jan Mölleken

Aktualisiert am 06.03.2021Lesedauer: 9 Min.
Interview
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Die Glassphären des Amazon-Hauptquartiers in Seattle: Der Tech-Gigant betreibt einen der größten Cloud-Computing-Dienste der Welt.Vergrößern des Bildes
Die Glassphären des Amazon-Hauptquartiers in Seattle: Der Tech-Gigant betreibt einen der größten Cloud-Computing-Dienste der Welt. (Quelle: Cavan Images/imago-images-bilder)

Werner Vogels, der Cheftechnologe bei Amazon, spricht im Interview mit t-online über Satelliten-Dienste, deutsche Industrievorreiter und Dinge, die man selbst ihn im Unternehmen nicht tun lässt.

Der Unternehmensgigant Amazon ist vor allem für seinen Versandhandel bekannt. Dass das Unternehmen mit den Amazon Web Services (AWS) auch den ersten und größten Cloud-Computing-Dienst aufgebaut hat, der im vergangenen Jahr für rund die Hälfte des Unternehmensgewinns verantwortlich war, wissen außerhalb der Internetbranche nur wenige.

Der niederländische Informatiker Werner Vogels ist einer der Architekten der Grundlagen von AWS – und als Vizepräsident und CTO von Amazon der wohl wichtigste Digital-Visionär des Konzerns. Im Interview mit t-online erzählt er, was AWS heute besser kann als viele Supercomputer, welche deutschen Unternehmen sich digital besonders hervortun und wie es sich als CTO von Amazon im Homeoffice arbeitet.

t-online: Als AWS 2006 startete, handelte es sich um einen schlichten Cloudspeicher. Mittlerweile ist daraus ein kaum noch zu überblickender Service-Katalog erwachsen. Können Sie, als Technologiechef von Amazon.com mal verständlich zusammenfassen, was AWS heute ist und macht?

Werner Vogels: AWS ist die Cloud-Computing-Sparte von Amazon. Im Wesentlichen hieß das anfangs, dass auf Rechenpower, Speicherplatz und Datenbanken über das Internet zugegriffen werden kann. Man zahlt nur für das, was man auch wirklich genutzt hat. 2006 war das ein revolutionäres Konzept. Denn anstatt erst einmal fünf oder zehn Millionen Dollar in Computer-Infrastruktur investieren zu müssen, konnten junge Unternehmen einfach loslegen und mussten nur für das bezahlen, was sie tatsächlich auch genutzt hatten.

Am Anfang ging es dabei grundsätzlich um Speicherplatz, Datenbanken und Netzwerksicherheit. Heute haben wir weit über 200 verschiedene Dienste, viele davon drehen sich um Analyse, das Internet der Dinge oder Machine Learning. Es ist ein sehr breites Angebot an Diensten, das jeder nutzen kann.

Eine Besonderheit gegenüber einem klassischen Rechenzentrum ist ja, dass AWS seinen Kunden – je nach Bedarf – innerhalb von kürzester Zeit nahezu beliebig viel Rechenpower zur Verfügung stellen kann. Können Sie uns einen Überblick geben, von wie viel Gesamtleistung wir hier sprechen?

Ich weiß nicht, ob wir solche Zahlen überhaupt haben. Aber AWS ist in zahlreichen sogenannten Infrastrukturregionen organisiert. Und jede Region verfügt über mindestens drei Datencenter. Wir haben den Konsum von IT quasi virtualisiert. Man denkt nicht wirklich über Hardware, sondern über Software nach. Ein deutsches Unternehmen wird vermutlich Interesse daran haben, die deutsche Region zu nutzen. Wenn das Unternehmen außerdem noch Kunden in Japan hat, kann es genauso auch die Region in Japan nutzen, um die Kunden dort mit möglichst geringer Verzögerung zu erreichen. Im Prinzip hat AWS die Nutzung von jeder Art von Computer oder IT komplett demokratisiert.

Früher galten vor allem sogenannte Supercomputer als das Maß aller Dinge zur Lösung sehr komplexer Aufgaben. Kann AWS heute auch einen Supercomputer ersetzen?

In vielen Fällen schon, hauptsächlich, wenn sich die Aufgaben parallelisieren lassen. Ich habe einige Kunden, etwa aus den Life Sciences, die heute AWS für solche Aufgaben nutzen und früher bei der Größe ihrer Supercomputer eingeschränkt waren. Viele dieser Supercomputer waren nämlich ziemlich alt, weil Unternehmen Unsummen in Rechenanlagen stecken und sie deshalb auch lange Zeit nutzen mussten, damit sich das Investment lohnt. In der Cloud können sie für so eine Aufgabe jetzt einfach 10.000 oder 20.000 Computer nutzen. Gerade in Bereichen wie der Medikamentenforschung können Aufgaben jetzt oft in einer Stunde berechnet werden, für die die Unternehmen an ihren alten Supercomputern eher 100 Stunden gebraucht hätten, zudem erhöht sich auch die Qualität der Ergebnisse. Cloud-Computing hat dieses Feld komplett revolutioniert.

In welchen Bereichen hat Cloud-Computing, oder vielleicht sogar AWS im Speziellen noch für Revolutionen gesorgt und Dinge möglich gemacht, die vor zehn Jahren noch nicht möglich gewesen wären?

Wohl am offensichtlichsten ist, wie sich Audio und Video in Datenströme verwandelt haben, die einfach analysiert werden können. Heute können wir Sprachassistenten bauen, vor fünf oder zehn Jahren wäre das schlicht nicht möglich gewesen, denn wir hätten die Antworten nicht in Echtzeit zurückschicken können. Außerdem müssen Ton- und Videodateien nicht mehr angesehen werden – sie lassen sich jetzt viel schneller analysieren. Ein junges Unternehmen, Hudl, macht das unter anderem mit Fußballspielen, die Leute einfach am Spielfeldrand aufgenommen haben. Jedes Wochenende analysieren sie so zehntausende Stunden Videomaterial und nutzen Machine Learning (ML), um die Spiele zu analysieren und den Trainern anschließend Tipps zu geben. Sowas war noch vor kurzem unmöglich. Gleiches gilt übrigens auch für den industriellen Bereich. Deutschland ist hier natürlich eine Hochburg. Das, was wir in der Automobilindustrie etwa mit BMW und Volkswagen machen, wäre so vor Kurzem auch noch nicht machbar gewesen.

Da möchte ich gleich mal nachhaken: Schon seit Jahren hört man immer wieder das Schlagwort vom Projekt Industrie 4.0 – Haben die Konzerne ihr Ziel von der digitalen Zukunft mittlerweile erreicht?

Unternehmen bewegen sich hier schnell. Schauen Sie sich Siemens an, oder die Deutsche Bahn: Sie alle nutzen Cloud-Computing um ihre Ziele damit nach vorne zu bringen. Natürlich gibt es dabei Herausforderungen: Ich kenne zwar die Zahlen für Deutschland nicht, aber in den USA beträgt das Durchschnittsalter von Sensorausrüstung in der Produktion etwa 20 Jahre. Solche Geräte taugen eigentlich nur, um zu alarmieren. Sie erzeugen keine Daten. Mit neueren Sensoren, die tatsächlich auch Daten generieren, können wir mithilfe von Cloud-Computing und Machine Learning “Predictive Maintenance” ermöglichen – also vorausschauende Wartung. So können Sie Probleme vorhersagen und verhindern, noch bevor sie entstehen. Dafür müssen die Unternehmen natürlich erst einmal investieren – manche gehen dabei aggressiver vor als andere. Was wir etwa gemeinsam mit Volkswagen tun, um ihre “Industrial Cloud“ aufzubauen, revolutioniert ganz klar die Art, wie Autos gebaut werden.

Für einen gewaltigen Umbruch im Hinblick auf digitales Arbeiten hat ja auch der Ausbruch der weltweiten Corona-Pandemie gesorgt. Sie sind im vergangenen Jahr quasi in Amsterdam gestrandet. Klappt das, als Teil des Führungsteams des größten Cloud-Computing-Anbieters der Welt, plötzlich vollständig aus dem Homeoffice zu arbeiten?

Ja, das funktioniert. Aber ich muss natürlich sagen, dass wir das Glück haben es gewöhnt zu sein, mit Teams über den ganzen Globus verteilt zu arbeiten – übrigens auch in Deutschland: In Dresden sitzt ein Team, das am Serverdienst Nitro Hypervisor arbeitet und wir haben auch einige Teams, die in Berlin an Dingen wie Machine Learning arbeiten. Wir sind auf diese Situation jedenfalls gut vorbereitet. Als Unternehmen haben wir natürlich eine außerordentliche Bewegung zu digitalen Diensten wie etwa Zoom beobachtet. Allein im vergangenen Sommer haben wir bei unserem Kunden Netflix einen Anstieg des Datenverbrauchs von 40 Prozent gesehen.

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Ein Konzept, das größtenteils im vergangenen Jahr an Bedeutung zugenommen hat, ist Software as a Service (SaaS) – also Programme, die man wie eine Browseranwendung einfach in der Cloud nutzen kann. Sogar rechenhungrige 3D-Spiele kann man mittlerweile auf schmalbrüstigen Billignotebooks streamen. Hat der klassische Desktop-PC bald ausgedient?

Ich denke das Konzept “Bring your Own Device” – also dass Mitarbeiter in Unternehmen auch ihr eigenes Handy oder ihr eigenes Notebook oder Tablet einsetzen können – hat in diesem Bereich schon viel bewegt. Ich glaube, dass (SaaS) vor allem bei kleinen Unternehmen stark zunehmen wird – und zwar hauptsächlich, weil sie meist keinen Mitarbeiter mit IT-Skills haben, der sich um die Pflege und Sicherheit der Systeme kümmern könnte. Da kommt dann vielleicht am Freitagnachmittag jemand vorbei um die Backups zu machen, aber das war es meistens auch schon. Ein anderes gutes Beispiel ist die Hotelindustrie: Sicher, junge Unternehmen wie AirBnB oder große Hotelketten nutzen natürlich alle IT-Infrastruktur und verfügen auch über entsprechende IT-Skills. Aber kleine Boutiquehotels können da nicht mithalten. Über solche Cloud-Softwarelösungen bekommen sie Zugang zu denselben Tools wie große Ketten, etwa um freie Zimmer in Echtzeit in Suchmaschinen wie Kayak einzutragen und für andere Dinge. Hier gibt es eine bedeutende Verschiebung weg von installierter Software hin zu SaaS.

SaaS ist nur eine von Dutzenden verschiedenen Servicefacetten, die AWS anbietet. Wird das Angebot so breit bleiben oder sehen Sie gewisse Schwerpunktdienste, die künftig im Hauptfokus stehen könnten?

Wir werden uns sicherlich weiterhin entwickeln. Wir haben jetzt zwar ein sehr großes Angebot – aber dadurch können Kunden sich exakt das aussuchen, was sie wünschen. Hier hat sich die Entwicklung auch verändert – wir schauen ganz genau auf das Kundenfeedback und entwickeln die Dienste danach entsprechend weiter. Ein interessanter Dienst ist hier etwa Amazon Connect. Das ist eine Call-Center-Software und im vergangenen Jahr ist die Nachfrage danach ganz erheblich gewachsen – denn sie ermöglicht es Call-Center-Agenten auch von zuhause zu arbeiten. Außerdem kann man sich noch verschiedene Zusatzdienste dazu buchen, etwa eine Stimmanalyse, ob der Kunde am Ende des Gesprächs auch glücklich ist oder man kann dem Mitarbeiter während des Gesprächs die jeweils genau richtige Antwort an die Hand geben, sogar in mehreren Sprachen.

AWS war das erste Unternehmen dieser Art und ist derzeit auch noch Marktführer. Doch die Konkurrenz in Form von Microsoft, Google oder zuletzt Alibaba schließt zunehmend auf. Was macht Amazon ihrer Meinung nach besser als die anderen?

Wir waren natürlich die Pioniere und hatten deshalb einen Vorsprung vor den anderen. Wir wussten aber auch immer, dass das kein “The Winner Takes it All”-Markt sein würde. Wenigstens eine Handvoll von großen Unternehmen wird sicherlich ebenfalls global erfolgreich sein, vielleicht auch ein paar lokale Unternehmen. Aber wir wussten auch immer, dass sich dieser Markt schlicht in ein zu gutes Geschäft entwickeln würde, um nicht dabei zu sein.

Eine Grundbedingung für den Erfolg von AWS ist eine gut ausgebaute Netzinfrastruktur. In Deutschland hängen wir etwa mit dem Glasfaserausbau deutlich zurück. Ist das Internet im Allgemeinen schnell genug oder ist das in vielen Regionen ein Flaschenhals für AWS?

Ich denke, dass wir mit der wachsenden Verbreitung von 5G schon eine veränderte Infrastruktur sehen. Dadurch ist eine Anbindung an ein Glasfasernetz oft gar nicht mehr notwendig. Die Infrastruktur wird sich weiter verbessern, wir werden sehen, wie schnell 5G in den einzelnen Teilen der Welt Verbreitung findet, das ist eine sehr interessante Entwicklung. Aber ich denke, dass etwa Satelliten, die die Erde in einem niedrigen Orbit umkreisen, ebenfalls eine sehr wichtige Rolle für den Netzanschluss spielen werden, vor allem in Regionen wie Afrika, Indonesien oder anderen Orten, wo es nicht einfach ist, seine Kabel über tausende Inseln zu verteilen.

Eine ganz andere Herausforderung kann aus neuen Technologien wie künstlicher Intelligenz oder Machine Learning erwachsen. Google erntete vor fünf Jahren einen Shitstorm, nachdem eine KI-Funktion in Google Photos die Gesichter von Schwarzen fälschlicherweise als Gorillas kennzeichnete. Allerdings lassen sich solche Fehler in Datenmodellen oft nicht ohne weiteres erkennen und lösen. Wie gehen Sie bei AWS damit um?

Die Plattform, die wir für Künstliche Intelligenz (KI) nutzen, heißt Sagemaker. Und wir fügen laufend Funktionen hinzu, die sicherstellen, dass die erzeugten Datenmodelle auch wirklich das tun, was man möchte. Das Schöne an Machine-Learning-Modellen ist, dass sie eine Blackbox sein können. Man stellt ihnen eine Frage und das Modell gibt eine Vorhersage. In manchen Bereichen, etwa im Gesundheitswesen oder im Finanzwesen, kann es wichtig sein, dass man erkennen kann, warum eine bestimmte Antwort gegeben wurde. Hier können die Modelle nicht mehr als Blackbox funktionieren – deshalb haben wir Mechanismen entwickelt, mit denen Kunden beweisen können, dass ihre Systeme tatsächlich korrekt arbeiten.

Gibt es eigentlich ein Herzensprojekt, das Sie gern unbedingt in den kommenden Jahren noch als AWS-Dienst hinzufügen wollen?

Ja, etwas, was wir bereits gebaut haben: einen Quantencomputerservice – Amazon Braket. Quantencomputer stecken noch in den Kinderschuhen und derzeit sind es hauptsächlich die sehr großen Unternehmen, die prüfen wollen, ob diese Technologie Vorteile bietet, die sie nutzen können. Dieser Quantencomputerdienst erlaubt diesen Unternehmen jetzt darüber nachzudenken, welche Rolle Quantencomputer künftig bei ihnen spielen können.

Das andere Thema ist natürlich der Weltraum. Im Rahmen von AWS Ground Station betreiben wir Basisstationen für Satelliten. Unternehmen, die Microsatelliten besitzen, können nun Innovationen vorantreiben, ohne dass sie in die Infrastruktur investieren müssten, die sie benötigen, um mit ihren Satelliten zu kommunizieren.

Über Ihren Service Braket können AWS-Kunden ja auf Quantencomputer mehrerer Anbieter zugreifen. Haben Sie als AWS-Cheftechnologe sich eines dieser sagenumwobenen Geräte schon aus der Nähe anschauen können?

Wissen Sie, es gibt keinen Grund für mich, dort zu sein. Ich wäre nur ein Sicherheitsrisiko. Ich darf genauso wenig irgendeines unserer Datencenter betreten, schlicht weil es keine Notwendigkeit dafür gibt. Wir nehmen nicht nur die digitale Sicherheit sehr ernst, sondern auch die physische.

Das klingt irgendwie traurig

Es ist doch nur Hardware. Wissen Sie, wir haben die Leute, die unbedingt die Server sehen wollten immer “Server Hugger” (Serverumarmer) genannt – aber glauben Sie mir, die Server umarmen Sie nicht zurück. In meinen jüngeren Jahren wollte ich wirklich all die blinkenden Lichter sehen – ich habe das alles gemacht, heute muss ich das nicht mehr tun.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Werner Vogels
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