t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomeGesundheitKrankheiten & SymptomeCorona

"Cave-Syndrom": So werden wir die Corona-Angst wieder los


Experten erklären
So werden wir die Corona-Angst wieder los


07.06.2021Lesedauer: 4 Min.
Qualitativ geprüfter Inhalt
Qualitativ geprüfter Inhalt

Für diesen Beitrag haben wir alle relevanten Fakten sorgfältig recherchiert. Eine Beeinflussung durch Dritte findet nicht statt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Viele scheuen noch den Gang nach draußen: Wie werden wir die Corona-Angst wieder los?Vergrößern des Bildes
Viele scheuen noch den Gang nach draußen: Wie werden wir die Corona-Angst wieder los? (Quelle: xAntonioGuillemx/imago-images-bilder)

Fast überall werden die Corona-Maßnahmen gelockert: Deutschland atmet auf. Doch nicht alle Bundesbürger gleichermaßen. Viele Menschen sind weiterhin skeptisch, scheuen nach wie vor menschliche Kontakte. Was kann helfen?

"Dem wirklich guten Sommer steht im Prinzip nichts mehr entgegen", sagte Karl Lauterbach in der vergangenen Woche dem Nachrichtensender Welt. Und das, obwohl der SPD-Gesundheitsexperte eher für seine düsteren Prognosen bekannt ist.

Doch er scheint Recht zu behalten. Die Inzidenzen sinken weiter. Allerorten werden Lockerungen verkündet. Deutschland im Aufbruch, die Laune steigt. Doch nicht bei allen. Nach wie vor gibt es viele Menschen, die den Kontakt mit anderen scheuen.

Fast jeder zweite hat Angst vor Kontakten

Dies zeigt auch eine Umfrage der American Psychological Association, des US-Fachverbandes für Psychologie. Demnach gaben 49 Prozent der Befragten an, dass sie sich beim Gedanken an soziale Kontakte nach dem Ende der Coronavirus-Pandemie nicht wohlfühlen.

Das Überraschende: Auch 48 Prozent der geimpften Teilnehmer bestätigten diese Angst. Experten sprechen vom "Cave-Syndrom", also dem Verharren in der eigenen Höhle. Was steckt dahinter und wie werden diese Menschen die Corona-Angst wieder los?

t-online befragte zwei Experten: Dr. Claas-Hinrich Lammers ist Chef der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik an der Asklepios Klinik Nord in Hamburg und Dr. Andreas Ströhle von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité in Berlin.

Wie entstehen diese Ängste vor dem Kontakt mit anderen Menschen?

Lammers: Zunächst einmal: Ängste haben alle Menschen, je nach eigener psychischer Konstitution haben sie aber mehr oder weniger Angst und gehen damit unterschiedlich um. Angst zu haben, ist durchaus richtig und wichtig.

Zu Beginn der Pandemie musste den Menschen die sinnvolle Angst vor dem Virus erst antrainiert werden. Das war mühsam und schwer, denn es handelt sich um etwas, was man nicht sehen kann, nicht riechen, nicht schmecken, nicht sehen usw. Die Angst davor musste erlernt werden. Körperkontakt zu meiden war dabei zentral. Händeschütteln zum Beispiel galt es unbedingt zu vermeiden.

Ströhle: Die klassische Begrüßung per Handschlag drückt Wohlwollen aus und muss nun eingeschränkt werden. Das bestärkt das Gefühl, dass von dem anderen Gefahr ausgehen kann. Andererseits muss man sagen, dass viele Menschen unter diesen Pandemiebedingungen neue Gewohnheiten entwickelt haben. Die persönliche Wohlfühlzone ist bei ihnen dann eben eher anderthalb Meter als vielleicht 70 Zentimeter.

Was ist Angst überhaupt?

Ströhle: Angst ist ein Alarmzeichen. Aus der Evolutionsbiologie ist bekannt: Menschen, die wenig Angst hatten, begaben sich eher in die Gefahr, von wilden Tieren gefressen zu werden. Menschen, die zu ängstlich waren, hatten eher das Risiko zu verhungern. Generell hat sich gezeigt, dass es besser ist, einmal mehr Angst zu haben als zu furchtlos zu sein. Und das sehen wir auch in der Pandemie bei den Menschen, die noch skeptisch oder misstrauisch sind, dass die neuen Freiheiten tatsächlich gefahrlos sein könnten. Sie haben auch nicht ganz unrecht: Noch ist die Infektionsgefahr virulent vorhanden.

Wie gehen Menschen allgemein mit der Infektionsangst um?

Ströhle: Wir sehen da zwei Extreme. Die einen, die das Haus nicht mehr verlassen. Die dann eventuell auch Depressionen entwickeln, das meldet der Sozialpsychiatrische Dienst. Und die anderen, die die Gefahr verharmlosen. Die meinen, das seien geschürte Ängste vor einem harmlosen Virus.

Nun zeigt das "Cave-Syndrom", dass viele Menschen die antrainierte Angst vor menschlicher Nähe scheinbar nicht so leicht ablegen können...

Lammers: Antrainierte Angst geht irgendwann über in einen Automatismus und den legen Sie nicht so schnell ab. Selbst dann, wenn die Infektionswahrscheinlichkeit abnimmt, ist es vollkommen normal, dass die Angst nicht sofort in gleichem Maße abnimmt. Ängste sind in einem Teil unseres Gehirns verortet, der durch rationale Ansprache nicht unmittelbar zu beeinflussen ist. Und doch hilft nur die rationale Beschäftigung mit der Einschätzung der Corona-Gefahrenlage, diese Ängste zu besiegen.

Wie kann das gelingen?

Lammers: Sie brauchen korrigierende Erfahrungen. Das ist ähnlich wie bei Menschen, die zum Beispiel unter Höhenangst leiden. Wenn Sie mit denen in der Konfrontationstherapie auf einen Kirchturm steigen wollen, sagen die Ihnen bei der Ansicht des Turmes, dass dieser wahrscheinlich gleich zusammenbrechen werde. Haben Sie es dann aber geschafft, ihn zu erklimmen, machen Sie die Erfahrung: Es passiert nichts Schlimmes. Genauso müssen sich die Menschen an die neue Normalität und Realität herantasten. Wobei man sagen muss: Grund zur absoluten Sorglosigkeit besteht derzeit ja auch noch nicht. Eine gesunde Portion Angst ist da durchaus noch angebracht.

Kann die Angst vor menschlicher Nähe chronisch werden?

Lammers: Ja, das ist möglich. Menschen entwickeln womöglich dauerhafte Kontaktängste. Das wäre jetzt aber zu früh, in diesem Zusammenhang davon zu sprechen. Bei dem "Cave-Syndrom" handelt es sich nicht um pathologische Befunde. Diese Ängste in der Übergangszeit sind ganz normal.

Möglich ist aber zum Beispiel, dass sich durch die Corona-Belastungen Angst- oder Zwangserkrankungen entwickeln. Der Aufruf, uns möglichst häufig die Hände zu waschen, könnte in einen Waschzwang entarten. Das betrifft aber Menschen, die schon von Natur aus dazu veranlagt sind.

Psychische Erkrankungen sind zum einen erblich bedingt. Zum anderen entstehen sie aus einer Kombination von Anlage und Umwelt, die auf einen einwirkt. Ängstliche Menschen, die dann vielleicht noch Schicksalsschläge treffen und die in der Corona-Zeit besonderem Stress ausgesetzt waren oder die Corona-Einschränkungen als besonders belastend empfunden haben, könnten zu Angsterkrankungen neigen. Dann würde sich die Angst chronifizieren.

Ströhle: Die Gefahr einer Chronifizierung von Angst besteht. Wichtig wäre, dass diese Menschen ein Stück weit über ihren Schatten springen, um keine pathologische Auffälligkeit zu entwickeln. Dass sie langsam vorwagen und austesten, wie wohl sie sich damit fühlen, wieder mehr Kontakte zuzulassen. Generell ist zu sagen, dass Angst und insbesondere Vermeidung sich schnell antrainieren lässt, aber die Rückbildung in den Normalzustand deutlich länger dauert.

Sollte ich denn Freunde, die vielleicht noch sehr ängstlich sind, drängen, ihre Angst abzulegen?

Lammers: Nein, geben Sie ihnen Zeit. Legen Sie rational dar, was für oder gegen ein Treffen spricht, aber drängen Sie sie nicht. Wir reden hier von einer Übergangszeit. Das wird sich schnell legen. Denn: Angst, die erlernt wurde, kann auch wieder verlernt werden.

Herr Lammers, Herr Ströhle, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Interviews mit Claas-Hinrich Lammers und Andreas Ströhle vom 3. Juni 2021
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website