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Welthunger: "Ein Drittel des Getreides landet in Tiermägen"


Welthunger
"Ein Drittel des Getreides landet in Tiermägen"

  • Theresa Crysmann
InterviewVon Theresa Crysmann

Aktualisiert am 17.10.2022Lesedauer: 5 Min.
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Mitarbeiter messen den Grad der Unterernährung bei einem Kind in Somalia: In Afrika und Südasien ist die Hungersituation besonders ernst.Vergrößern des Bildes
Mitarbeiter messen den Grad der Unterernährung bei einem Kind in Somalia: In Afrika und Südasien ist die Hungersituation besonders ernst. (Quelle: Wolfgang Zwanzger/ IMAGO)

Einst schien das Ende des Hungers nur eine Frage der Zeit. Seit Kurzem verschlimmert sich die Lage aber drastisch. Selbst in Deutschland gibt es Probleme.

Jahrzehntelang ging der Hunger auf der Erde zurück. Doch inzwischen läuft der Trend in die entgegengesetzte Richtung: Die Zahl unterernährter Menschen nimmt rasant zu. Wie der jüngste Welthunger-Index belegt, wurden zuletzt bis zu 828 Millionen nicht mehr satt. Das sind rund zehnmal so viele Menschen, wie in Deutschland leben.

Im Interview erzählt Mathias Mogge, Generalsekretär der Welthungerhilfe, wie es so weit kommen konnte, warum die Klimakrise die Situation global verschärft und welche Art von Hunger in der Bundesrepublik übersehen wird.

t-online: Weltweit sind deutlich mehr Menschen unterernährt als noch vor zwei Jahren. Was treibt den Hunger so stark an?

Mathias Mogge: Das sind die immer massiveren Auswirkungen des Klimawandels mit Dürren und Überflutungen, die enormen Preissteigerungen bei Getreide, Dünger und Kraftstoff durch Russlands Angriff auf die Ukraine und die Nachwirkungen der Pandemie – gerade im globalen Süden hat Covid viele Volkswirtschaften lahmgelegt. Dazu kommt die Zunahme von Konflikten, die vielen Menschen ihre Lebensgrundlage raubt. Da entsteht ein richtiger Teufelskreis.

Inwiefern?

Ich war beispielsweise kürzlich im Nordosten von Uganda: Dort kämpfen bewaffnete Rinderhirten inzwischen um das wenige verbleibende Wasser und Weideland. Die Klimakrise schürt Konflikte. Am Horn von Afrika bleibt gerade die vierte Regenzeit aus, die Menschen erleben die schlimmste Dürre seit vielen Jahrzehnten, Millionen sind auf der Flucht. Aber auch dort, wo sie unterkommen, sind die Preise für Grundnahrungsmittel oft horrend hoch – eine furchtbare Dynamik.

In Europa hat der russische Angriff auf die Ukraine vielen gezeigt, wie eng Konflikte und Hunger zusammenhängen. Wie bewusst ist uns in Deutschland, was die Klimakrise für die Ernährungssicherheit bedeutet?

Die Menschen erleben auch hier die zunehmenden Wetterextreme. Sei es der Starkregen, der die Hochwasserkatastrophe an der Ahr ausgelöst hat oder die anhaltende Dürre, die den Sommer beherrscht hat. Wir sehen vor unserer Haustür, wie riesige Fichtenwälder sterben, wie der Mais auf den Feldern verdorrt, dass Kommunen das Trinkwasser rationieren. Die Folgen der Klimaveränderung greifen in unseren Alltag ein und betreffen jeden. Das macht deutlich, was auf dem Spiel steht.

Weltweit hungerten zuletzt bis zu 828 Millionen Menschen. Wird sich die Lage bald wieder entspannen?

Das lässt sich nur schwer vorhersehen. Ich befürchte aber, dass wir uns weltweit leider darauf einstellen müssen, dass die Hungerzahlen hoch bleiben. Wir dürfen uns aber nicht damit abfinden, dass es überhaupt Hunger gibt – und noch weniger damit, dass er sich ausbreitet. Jeder Mensch hat das Recht auf eine angemessene und gesunde Ernährung. Der aktuelle Trend geht in die völlig falsche Richtung. Es muss alles dafür getan werden, ihn wieder umzukehren.

Mit der Welthungerhilfe bieten Sie humanitäre Nothilfe in besonders stark betroffenen Ländern, machen aber auch viel politische Arbeit. Was muss passieren?

Fest steht, dass wir sehr viel Geld in die Hand nehmen müssen, um uns überall auf steigende Temperaturen und unberechenbares Wetter vorzubereiten. Gerade im ländlichen Raum braucht es Investitionen in klimafeste Landwirtschaft. Und das besonders im globalen Süden: Als reiche Industriestaaten, die die Klimakrise am stärksten verursacht haben, sind wir in der Verantwortung gegenüber ärmeren Ländern. Da geht es nicht um Almosen oder Wohltätigkeit, sondern um die Überlebensperspektiven von Menschen. Genau wie hier: Für uns im globalen Norden ist die Anpassung an das, was auf uns zurollt, ebenso wichtig.

Wie könnte das aussehen?

So wie wir bisher Ackerbau betrieben haben, wird es nicht weitergehen. Vor allem die Feldfrüchte werden sich wandeln müssen: Die meisten deutschen Kartoffelsorten sind beispielsweise sehr durstig. Da könnte es sinnvoll sein, genügsamere Sorten zu züchten oder beispielsweise auf Süßkartoffeln umzusatteln. Generell brauchen wir Pflanzen, die mit Dürrestress besser umgehen und noch effizienter Nährstoffe aus dem Boden holen können. Und wir können nicht so weiter essen wie bisher.

Sondern?

Der Fleischverzehr muss massiv reduziert werden. Damit lassen sich enorme Grün- und Ackerflächen einsparen. Aktuell landet ein Drittel der weltweiten Getreideernte in den Mägen von Nutztieren. Drei Viertel der Sojaernten ebenfalls. Angesichts Hunderter Millionen hungernder Menschen darf das nicht so weitergehen. Die Politik muss da handeln.

(Quelle: Barbara Frommann/ Welthungerhilfe)

Mathias Mogge

Der Umweltwissenschaftler und Agraringenieur arbeitet seit mehr als 20 Jahren für die Welthungerhilfe. Er ist Vorstandsvorsitzender der Organisation und wurde 2018 zum Generalsekretär berufen. Lange leitete er Programme am Horn von Afrika sowie in Westafrika.

Der Welthunger-Index befasst sich nur mit Staaten, in denen der Hunger in der Bevölkerung verbreitet zu großem Leid führt. In Deutschland ist vor allem die sogenannte Ernährungsarmut Thema. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein?

Wir sehen, dass sich immer mehr Menschen bei den Tafeln anmelden. Zuletzt hatten diese Anlaufstellen eine halbe Million mehr Gäste als noch vor fünf Jahren. Für immer mehr Menschen in der Bundesrepublik wird eine gesunde Ernährung unbezahlbar. Gesund heißt in diesem Kontext: mindestens 400 Gramm Gemüse und Obst pro Tag. Viele können sich das durch die Inflation, stagnierende Löhne und steigende Energiepreise nicht mehr leisten. Mittelfristig führt das in die Ernährungsarmut.

Wofür steht dieser Begriff genau?

Jemand ist dann fehlernährt, wenn Mahlzeiten ausgelassen werden müssen oder man sich fast nur noch besonders billige stärkehaltige Lebensmittel leisten kann. Das ist nicht vergleichbar mit der akuten Hungersituation in zahlreichen armen Ländern, wo es um den sogenannten Kalorienhunger geht: Kann ich genügend Kalorien zu mir nehmen, um überhaupt überleben zu können? Bei der Ernährungsarmut geht es um die Qualität der Kalorien und ob ich genug Vitamine, Mineralstoffe und Co kriege. Ist das nicht der Fall, kann aber auch das schwere Konsequenzen haben.

Welcher Art?

Diese Form von Mangelernährung trifft vor allem kleine Kinder. Werden die beispielsweise monatelang nur mit Toastbrot und Nudeln ernährt, sind sie zwar satt. Es fehlen aber die Nährstoffe, die Kinderkörper brauchen, um sich normal zu entwickeln. Dadurch kann es zu Wachstumsverzögerungen kommen – nicht nur bei der Körpergröße, sondern vor allem im Gehirn. Kinder, die nicht ausreichend ernährt werden, können sich geistig nicht voll entfalten. Dieses kognitive Potenzial lässt sich nicht aufholen und fehlt auch im Erwachsenenalter.

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Dennoch geht selbst der Armutsbericht der Bundesregierung kaum auf Ernährungsarmut ein. Mangelt es an Erkenntnis, wie schwer die Folgen gerade für Kinder sein können?

Der Zusammenhang zwischen Wachstumsverzögerungen und Mangelernährung ist noch gar nicht so lange bekannt. Vor ungefähr zehn Jahren wurde in einem Fachjournal die erste große Studie zu diesem Phänomen veröffentlicht – seitdem wächst das Bewusstsein dafür, wie wichtig es ist, Kinder und Heranwachsende mit hochwertigen Nährstoffen zu versorgen. Inzwischen ist dieser "hidden hunger", zu Deutsch "versteckter Hunger", ein Riesenthema auf Fachkongressen und in der Ernährungs-Community.

Und in der Politik?

Da wird die Verbindung bisher kaum gesehen. Dabei ist diese Fehlernährung auch hier ein großes Problem. Satt ist nicht alles.

Herr Mogge, besten Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Videotelefonat mit Mathias Mogge, Generalsekretär der Welthungerhilfe
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