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Aserbaidschan greift Armenien an: Das ist der Drahtzieher Ilham Alijew


Aserbaidschans Machthaber
Der Mann hinter der "Kaviar-Diplomatie"


20.09.2023Lesedauer: 4 Min.
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Ilham Alijew: Der aserbaidschanische Machthaber hat deutsche Politiker bestochen.Vergrößern des Bildes
Ilham Alijew: Der aserbaidschanische Machthaber hat deutsche Politiker bestochen. (Quelle: Kurznachrichtendienst X)

Ilham Alijew hat den Konflikt in Bergkarabach eskalieren lassen. Wer ist der aserbaidschanische Machthaber, der über Jahre sogar deutsche Politiker bestochen hat?

Grimmig blickt Ilham Alijew in die Kamera, zweimal hebt er die Faust, im beigen Kampfanzug wendet sich der Präsident Aserbaidschans an sein Publikum im Netz: "Wenn es irgendeine Provokation, Aussage oder Aktion gegen uns gibt, werden wir sie niederschlagen." Die Warnung gilt dem Nachbarland Armenien.

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Monatelang brodelte es in Bergkarabach im Südkaukasus – nun hat Aserbaidschan dort am Dienstagmorgen einen Militäreinsatz gestartet, um die Konfliktregion zu erobern. Mehrere Menschen kamen bereits ums Leben, etwa 200 weitere wurden verletzt. Lesen Sie hier mehr zu den aktuellen Entwicklungen.

Der Initiator des Angriffs: Alijew. Wer ist der Mann und was hat er vor?

Alijew ist seit 2003 Präsident von Aserbaidschan. Er folgte auf seinen Vater Heidar Alijew, der seit 1993 das Land regiert hatte. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) äußerte damals Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Wahl, sie sei von "Unregelmäßigkeiten" geprägt gewesen und "hinter den internationalen Anforderungen zurückgeblieben".

Immer Unregelmäßigkeiten bei Wahlen

2005 sagte Alijew, es sei ein versuchter Staatsumsturz verhindert worden. Mehrere Politiker wurden verhaftet und verurteilt. In einem Bericht der International Crisis Group (ICG) hieß es: "In der Opposition dominierte damals die Meinung, dass Ilham Alijew nicht in der Lage sei, das Land zu regieren. Manche betrachteten ihn gar als eine Übergangsfigur, die eine erfolgreiche Machtübergabe an ein anderes Mitglied der Machtelite ermöglichen soll. Jedoch erwies sich Alijew als viel schlauerer Politiker, als von seinen Gegnern angenommen."

2008, 2013 und 2018 wurde Alijew im Amt bestätigt – jedes Mal mit einem Wahlergebnis von mehr als 80 Prozent. Immer wieder prangerte die OSZE Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen an, die Opposition sprach bei jeder Wahl von Wahlbetrug.

Das Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) verlieh Alijew 2012 den unrühmlichen Titel "Korruptester Mann des Jahres". Der Grund: Seine Familie soll große Anteile der lukrativsten Branchen Aserbaidschans übernommen haben, darunter Banken, Bauunternehmen und Telefongesellschaften. Außerdem soll Alijews 11-jähriger Sohn 2009 innerhalb von zwei Wochen neun Strandhäuser in Dubai im Wert von 44 Millionen Dollar überschrieben bekommen haben. Ein weiteres Indiz für Korruption sahen Anwälte in den Panama Papers: Dokumente enthüllten, dass Alijews Familie nahezu in allen wirtschaftlichen Bereichen des Landes involviert ist.

Bestechung von europäischen Abgeordneten

Außenpolitisch ist Alijew vor allem an guten Beziehungen zu Russland, der Türkei, Georgien und dem Iran interessiert – obwohl Wladimir Putins Russland eigentlich die Schutzmacht Armeniens ist. Aber auch die EU-Staaten stehen offenkundig in Alijews Fokus: Schon 2012 zeigte sich, dass der aserbaidschanische Präsident seit Jahren europäische Abgeordnete bestochen hatte, auch im Bundestag, um das Image seines Landes aufzupolieren. Die Politiker sollten unter anderem kritische Resolutionen verhindern.

Die Denkfabrik Europäische Stabilitätsinitiative (ESI) deckte die Korruption damals auf. Einer der ESI-Mitgründer, Gerald Knaus, erklärte im Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ): "Parlamentarier aus ganz Europa erhielten Schmuck, Urlaubsreisen und Geld, Wahlbeobachter auch Zehntausende Euro für positive Äußerungen über Aserbaidschan." Das Regime habe Stimmenkauf im Europarat betrieben. Die ESI nannte das System "Kaviar-Diplomatie".

"Aserbaidschan-Affäre"

In Deutschland erlangte Alijew spätestens 2021 im Zuge der "Aserbaidschan-Affäre" mehr Bekanntheit. Recherchen des Newsportals "Vice" deckten auf, dass sich vor allem Unionspolitiker weit stärker für Alijews autokratisches Regime einsetzen als angenommen. Auch hier ging es um Lobbyismus, Einflussnahme und Korruptionsvorwürfe. So stand etwa der CDUler Axel Fischer im Verdacht, als Gegenleistung für politischen Einfluss Geld aus Aserbaidschan erhalten zu haben. Das Verfahren läuft offenbar immer noch.

2022 veröffentlichte "Vice" in Zusammenarbeit mit t-online eine weitere brisante Recherche, die mehrere deutsche Politiker belastet. So soll Aserbaidschan "Fake-Wahlbeobachter" für die Präsidentschaftswahlen engagiert haben, darunter CSU-Politiker Eduard Lintner. Er organisierte Wahlbeobachtungsmissionen für das Regime. Dafür ließ er sich Geld auf das Konto einer Gesellschaft überweisen, die er eigens dafür gegründet hatte.

Entgegen der Kritik der OSZE sagte der ebenfalls verdächtige CDU-Politiker Otto Hauser 2008 über die aserbaidschanischen Wahlen: "Ich lobe besonders, wie viel Aserbaidschan getan hat, um die Demokratie zu fördern."

Der SPD-Politiker Frank Schwabe erklärte "Vice" und t-online damals: "Es kommt mitunter vor, dass die Beobachter kein Interesse an der Wahl haben. Aber sie wollen ein schönes Wochenende verbringen, steuern ein paar Wahllokale an und machen ansonsten Sightseeing." Auch Politikerinnen und Politiker von SPD und Linken waren den Recherchen zufolge bereits als Fake-Wahlbeobachter unterwegs.

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Blockierter Latschin-Korridor

Die Fälle zeigen: Alijew setzt auf kriminelle Mittel, um das Ansehen Aserbaidschans in der Welt zu wahren. Im Konflikt mit Armenien um die Region Bergkarabach betont er immer wieder die Stärke seines Landes. Schon seit Jahren bringt er Leid und Armut über Bergkarabach.

2020 hatte Aserbaidschan schon einmal eine Offensive gestartet, um die Region zurückzuerobern. Zuletzt ließ Alijew über Wochen den Latschin-Korridor blockieren, die einzige Straße, auf der Lebensmittel, Medizin und Hilfsgüter nach Bergkarabach gelangen können. Die Region im Kaukasus, um die Armenien und Aserbaidschan in den vergangenen Jahren erbittert gekämpft haben, ist überwiegend von Armeniern bevölkert. Mehr zur prekären Lage dort lesen Sie hier.

Die Vereinten Nationen warfen Aserbaidschan daraufhin vor, eine humanitäre Krise in Bergkarabach zu schaffen. Der einstige Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, Luis Moreno Ocampo, bezeichnete das Vorgehen Alijews im Interview mit t-online als Völkermord.

Der Konflikt von Bergkarabach

ist einer der ältesten der Neuzeit. Die Führung der Sowjetunion sprach das überwiegend armenisch bewohnte Gebiet 1921 Aserbaidschan zu. Dagegen gab es in Bergkarabach immer wieder Proteste, bis Ende der 1980er-Jahre ein blutiger Konflikt ausbrach, in den schließlich auch Armenien einstieg und gemeinsam mit der Armee Bergkarabachs die Region unter ihre Kontrolle brachte. 2020 startete Aserbaidschan eine Offensive, um die Region zurückzuerobern. Bergkarabach selbst bezeichnet sich als unabhängig, in einer UN-Resolution wurde das Gebiet bis zu einer endgültigen Lösung des Konflikts Aserbaidschan zugesprochen.

Korruption, Wahlfälschung und Menschenrechtsverletzungen

Zudem missachtet die aserbaidschanische Regierung laut der NGO Human Rights Watch grundlegende Menschenrechte: Sie verfolgt Oppositionelle, beschuldigt sie, nimmt sie fest. In den Gefängnissen herrschen demnach menschenunwürdige Verhältnisse. Insassen würden gefoltert und misshandelt. Doch nur wenig dringt davon nach außen: Präsident Alijew hat die Pressefreiheit erheblich eingeschränkt.

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Trotz Korruption, Wahlfälschung und Menschenrechtsverletzungen halten die EU und vor allem auch Deutschland die Beziehungen zu Aserbaidschan aufrecht. Noch im März sagte Bundeskanzler Olaf Scholz nach einem Treffen mit Alijew: "Aserbaidschan ist für Deutschland und die Europäische Union ein Partner von wachsender Bedeutung." Das Land habe "das Potenzial, einen wichtigen Beitrag zur Diversifizierung der deutschen und europäischen Energieversorgung zu leisten, wenn es um Öl und Gas geht".

Nach der jüngsten Eskalation in Bergkarabach werden erneut Stimmen laut, Sanktionen gegen Alijew zu verhängen. Doch bislang ist der Autokrat ungestraft davongekommen.

Verwendete Quellen
  • rnd.de: "Olaf Scholz und die Begeisterung für den Autokraten aus Baku"
  • vice.com: "Fake-Wahlbeobachter: Wie deutsche Politiker autokratischen Regimen helfen"
  • vice.com: "Aserbaidschan-Affäre: Neue Geheimdokumente belasten Unionsabgeordnete"
  • n-tv.de: "Erdogans kriegslüsterner Doppelgänger"
  • faz.net: "Ausschreitungen in Aserbaidschan nach Wahlsieg von Alijew"
  • sueddeutsche.de: "CSU-Mann Hahn kontert Kritik an Aserbaidschan-Einsatz"
  • faz.net: "Eine allgemeine Atmosphäre der Käuflichkeit" (kostenpflichtig)
  • ICG-Bericht: AZERBAIJAN: VULNERABLE STABILITY (englisch)
  • osce.org: "Azerbaijan's presidential poll marked considerable progress, but did not meet all election commitments" (englisch)
  • washingtonpost.com: "Pricey real estate deals in Dubai raise questions about Azerbaijan's president" (englisch)
  • icij.org: "How Family that Runs Azerbaijan Built an Empire of Hidden Wealth" (englisch)
  • derstandard.at: "Viktor Orbán – Nummer eins in Sachen Korruption in der EU"
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