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Erstmals Beistandsklausel der EU im Einsatz


EU-Beistandsklausel
Jetzt ist auch Deutschland in der Pflicht

Von reuters, afp
17.11.2015Lesedauer: 4 Min.
Francoise Hollande appelliert an die EU und beruft sich formal auf die Beistandsklausel.Vergrößern des BildesFrancoise Hollande appelliert an die EU und beruft sich formal auf die Beistandsklausel. (Quelle: dpa-bilder)
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Im Nachgang der Pariser Anschläge bahnt sich eine verteidigungspolitische Premiere an: Als erstes Land in der EU-Geschichte hat Frankreich nach den Anschlägen von Paris bei seinen europäischen Partnern militärischen Beistand angefordert. Dann ist auch Deutschland in der Pflicht.

Frankreichs Staatspräsident Francoise Hollande beruft sich auf die sogenannte Beistandsklausel im Artikel 42.7 des Vertrages von Lissabon.

EU-Staaten schulden "alle in ihrer Macht stehende Hilfe"

Sie ist bisher noch angewendet worden und war selbst unter Experten bislang kaum bekannt. Dabei geht der EU-Beistandsklausel sogar noch weiter als der viel bekanntere Artikel 5 der Nato-Charta zum sogenannten Bündnisfall.

"Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht Stehende Hilfe und Unterstützung", heißt es in der EU-Beistandsklausel. Im Nato-Vertrag wird im Bündnisfall hingegen nur so viel Beistand verlangt, wie die Hilfe leistenden Staaten selbst für erforderlich halten.

Deutschland ist in der Pflicht

Das französische Hilfeersuchen nimmt auch Deutschland in die Pflicht. "Frankreich kann nicht alles auf einmal stemmen - die Einsätze in der Sahel-Zone, der Zentralafrikanischen Republik, der Levante und im Libanon, und darüber hinaus das eigene Territorium absichern", sagte Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian bei einem Treffen mit seinen EU-Kollegen in Brüssel.

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen sicherte Frankreich schon vor dem Treffen volle Unterstützung zu. "Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um Hilfe und Unterstützung zu leisten", sagte von der Leyen. Dabei gehe es nicht nur um militärische Maßnahmen, sondern ein viel breiter angelegtes Vorgehen. Einzelheiten nannte sie nicht. Auch konkrete Hilfsanfragen an Deutschland gebe es noch nicht.

Bundeswehr weitet Engagement in Mali aus

Zugleich wies von der Leyen darauf hin, dass Deutschland ohnehin sein militärisches Engagement in Mali deutlich ausweiten werde. Dort befindet Frankreich seit 2013 im Kampfeinsatz gegen Islamisten, die weite Landesteile erobert hatten.

Die Bundeswehr werde sich künftig nicht mehr nur am europäischen Ausbildungseinsatz für die einheimischen Sicherheitskräfte beteiligen, sondern auch die gefährlichere Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen unterstützen. Das Kabinett soll darüber im Dezember oder Januar entscheiden.

Deutschland ist als Teil des Bündnisses gegen den IS auch am Militäreinsatz im Irak beteiligt. Es liefert den kurdischen Peschmerga Waffen und bildet sie aus. Die Peschmerga zählen zu den wenigen funktionierenden Militäreinheiten in dem vom Zerfall bedrohten Staat, die tatsächlich Erfolge gegen den IS erzielen, und vertrieben die Extremisten zuletzt aus dem Sindschar.

"Europa steht vereint"

"Europa steht vereint", sagte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. "Frankreich hat um die Hilfe von ganz Europa gebeten, und ganz Europa hat dies heute einstimmig zugesichert."

Offen blieb zunächst, warum Frankreich sich mit der Bitte um Unterstützung an die EU wandte und nicht an die Militärallianz Nato. Die Nato ist militärisch deutlich schlagkräftiger dank der dominanten Rolle der USA und tritt wesentlich entschlossener auf als die EU. Ein Engagement des Militärbündnisses in Syrien oder dem Irak hätte allerdings möglicherweise zu Zerwürfnissen bei den Wiener Verhandlungen über ein Ende des Krieges geführt. Dort sitzen unter anderem Russland und der Iran mit am Tisch, für die eine Einbeziehung der Nato wie eine Provokation wirken könnte.

Der Beistand in der EU und der in der Nato unterscheiden sich in einigen wesentlichen Punkten.

Die Beistandsklausel der EU

Der Artikel 42.7 des Vertrags von Lissabon kommt mit dem französischen Hilfsgesuch erstmals zum Tragen. "Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung", heißt es darin. Diese Formulierung geht über den Artikel 5 der Nato-Charta hinaus, da von einer tatsächlich geschuldeten Verpflichtung die Rede ist. Im Nato-Vertrag wird dagegen lediglich der Beistand verlangt, die Hilfe gewährenden Staaten selbst für erforderlich halten.

Die EU-Klausel enthält außerdem den Zusatz, dass die Nato das Fundament der kollektiven Verteidigung bleibt. Dies war bei der Aushandlung des Vertrages besonders den Briten wichtig, die traditionell eine sehr enge Bindung zu den USA haben.

Artikel 5 der Nato-Charta

Als Militärallianz unterscheidet sich die Nato grundlegend von der EU, die in erster Linie ein politisches Bündnis ist und seit langem mit dem Aufbau ihrer militärischen Fähigkeiten nur sehr schleppend vorankommt. Geht es um Militäreinsätze, richten sich auch in der EU alle Augen daher stets zunächst auf die Nato. Einer der wichtigsten Gründe dafür ist, dass die USA mit ihrer mächtigen Militärmaschinerie das Rückgrat der Allianz bilden und ihr damit auch ihre Schlagkraft verleihen. Als Gegner des Warschauer Paktes im Kalten Krieg und wegen der Dominanz der USA ist die Nato allerdings auch vorbelastet, was eine Zusammenarbeit etwa mit Russland erschwert.

Laut Artikel 5 der Nato-Charta wird ein bewaffneter Angriff gegen einen Mitgliedsstaat als Attacke auf alle gewertet. Die Bündnispartner haben vereinbart, dem oder den angegriffenen Partnern in einem solchen Fall Beistand zu leisten, indem sie einschließlich der Anwendung von Waffengewalt alle Maßnahmen treffen, die sie für erforderlich halten, "um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten".

Nato-Bündnisfall erst einmal ausgerufen

Der Nato-Bündnisfall wurde bisher nur einmal ausgerufen: Nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Eine Folge davon war der US-Einmarsch in Afghanistan, der später in einen Nato-Einsatz überging. Zurückgenommen wurde die vom 12. September 2001 stammende Erklärung des Nordatlantikrates zum Bündnisfall nie. Spätere Anschläge in Madrid und London wurden vielmehr als Fortsetzung des bewaffneten Angriffs angesehen, auf den sich der Bündnisfall bezog. Wie die Anschläge von Paris in diesem Zusammenhang zu bewerten sind, muss der Nato-Rat entscheiden.

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