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"Humanitäre Korridore" in Ukraine: "Verhandlungserfolg" könnte eine Falle sein


Dieser "Verhandlungserfolg" könnte eine Falle sein


Aktualisiert am 04.03.2022Lesedauer: 4 Min.
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Ukrainische Geflüchtete kommen im polnischen Przemys. Ihre Flucht ging aus dem Donbass über Odessa, Lwiw bis nach Polen.Vergrößern des Bildes
Ukrainische Geflüchtete kommen im polnischen Przemys. Ihre Flucht ging aus dem Donbass über Odessa, Lwiw bis nach Polen. (Quelle: Beata Zawrzel/imago-images-bilder)

Hunderttausende sind bereits auf der Flucht vor Putins Krieg. Für viele Ukrainer gibt es angesichts der Kämpfe jedoch keinen Ausweg mehr. "Humanitäre Korridore" sollen helfen. Doch Zweifel sind angebracht.

Der Krieg Putins gegen die Ukraine geht unerbittlich weiter – auch während der Verhandlungen beider Kriegsparteien am Donnerstag stand das Land unter Beschuss. Immerhin gab es eine Woche nach Kriegsbeginn ein kleines Ergebnis: Die Einrichtung "humanitärer Korridore" in besonders umkämpften Gebieten soll unterstützt werden.

Der russische Delegationsleiter Wladimir Medinski sprach von einer "möglichen vorübergehenden Einstellung der Feindseligkeiten" an den betreffenden Wegen für Evakuierungen der Zivilbevölkerung. Doch was bedeutet das wirklich – und wie ernst kann man die russischen Zusagen nehmen? Mit Blick auf die Vergangenheit sind Zweifel zumindest angebracht.

Aber der Reihe nach: Aktuell ist nicht viel mehr bekannt, als dass die Korridore geplant sind. Sie könnten vorübergehend zu einer Art Waffenruhe führen. "Nicht überall, aber an den Orten, an denen es diese humanitären Korridore geben wird, wird es möglicherweise für die Dauer der Durchführung dieser Operation eine Feuerpause geben", sagte Mychailo Podoljak, ein Berater des ukrainischen Präsidenten. Seinen Angaben nach sollen die Korridore auch dafür genutzt werden, die Bevölkerung mit Lebensmitteln und Medikamenten zu versorgen.

Zustimmung vonseiten Russlands bleibt bislang aus

Bislang ist aber unklar, um welche Gebiete es sich handeln soll. Und erste Reaktionen wecken Zweifel an den russischen Zusagen.

Die ukrainische Vizeregierungschefin Olha Stefanischtschyna bat am Freitag das Internationale Rote Kreuz um Unterstützung, denn Kiew habe schnell alle notwendigen Anfragen zur Einrichtung der Korridore gestellt. "Leider hat es dafür keine Zustimmung der russischen Seite gegeben", so Stefanischtschyna. Stattdessen müssten Babys weiter in Kellern geboren werden. "Das Erste, was sie in ihrem Leben hören, ist das Geräusch von Explosionen", sagte Stefanischtschyna.

Sergej Werschinin, Vize-Außenminister Russlands, warf den ukrainischen Behörden indes vor, "den freien Austritt der Zivilbevölkerung in sichere Gebiete entlang der von russischer Seite eingerichteten humanitären Korridore" zu verhindern. Eine unabhängige Überprüfung dieser Aussage ist derzeit nicht möglich. Experten fürchten stattdessen, dass Putins Truppen zunächst noch schärfere Geschütze auffahren könnten, um möglichst viele Menschen in den städtischen Gebieten in Fluchtbereitschaft zu versetzen – bevor sie Fluchtwege für die Zivilbevölkerung bereiten.

Auf humanitären Korridoren hinaus aus der Stadt

So wird derzeit in mehreren Regionen, vor allem im Norden und Osten der Ukraine, erbittert gekämpft. Die heftigsten Gefechte werden nahe der ostukrainischen Millionenstadt Charkiw und der Hafenstadt Mariupol im Süden gemeldet – aber auch nordwestlich der Hauptstadt Kiew.

Sicherheitskreise rechnen laut "Tagesschau" fest damit, dass eine andauernde militärische Einkreisung und Belagerung der Hauptstadt mit teils verheerenden Folgen für die Bevölkerung einhergehen wird. Zum Beispiel könnte die Versorgung mit Trinkwasser, Lebensmitteln und Strom zusammenbrechen.

In einem solchen Szenario sei es denkbar, dass das russische Militär dann einen "humanitären Korridor" schaffen werde und Zivilisten sicher die Stadt verlassen könnten. Für Personen, die dies nicht täten, sei diese Sicherheit dann aber erst recht nicht mehr gewährt. Sie könnten von Putins Truppen als feindliche Kampfteilnehmer eingestuft und bekämpft werden.

Militäranalyst fürchtet skrupelloses Vorgehen Putins

Ähnlich habe sich das auch im ersten Tschetschenienkrieg Mitte der 1990er-Jahre zugetragen, bei dem die Hauptstadt Grosny vonseiten Russlands zerstört wurde. Wochenlang hatten russische Truppen die tschetschenische Hauptstadt belagert und mit Artillerie bombardiert. Auch im zweiten Tschetschenienkrieg Mitte 1999 wurde die Stadt aus der Luft angegriffen und daraufhin von der russischen Armee eingenommen. 100.000 bis 200.000 Menschen starben bei den verheerenden Kriegen.

Militäranalyst Franz-Stefan Gady hält es für möglich, dass die russischen Truppen nun auch in Kiew einen Belagerungsring bilden und die Bevölkerung mit gezielten Bombardements und Artilleriebeschüssen einschüchtern. Dann könnten die "humanitären Korridore" zur Flucht aus der Stadt gewährt werden. Ein weiterer Aspekt: Die russischen Truppen könnten die Stadt so leichter besetzen. Und Putin würde seinen internationalen Ruf nicht gänzlich ruinieren.

Mariupol umstellt und ohne Strom

In Mariupol, etwa 800 Kilometer von Kiew entfernt, zeichnet sich ein solches Vorgehen bereits ab: Nach russischen Angaben vom Donnerstag ist die südukrainische Hafenstadt inzwischen komplett eingeschlossen. Die rund 440.000 Bewohner der Stadt haben nach Angaben örtlicher Behörden zudem weder Wasser noch Heizung und Strom. Alle fünfzehn Stromleitungen der Stadt seien zerstört, sagt Sergej Orlow, stellvertretender Bürgermeister von Mariupol, den ARD-"Tagesthemen" am Donnerstagabend.

"Wir brauchen einen humanitären Korridor", drängt Orlow. Man sehe aber nicht, dass die russische Seite einlenke, um die humanitären Probleme zu lösen. Im Gegenteil: "Sie wollen eine humanitäre Krise hervorrufen", wirft der stellvertretende Bürgermeister den Truppen Putins vor. Diese seien "an einer schnellen und humanitären Lösung" nicht interessiert.

Falschinformationen fachen Misstrauen an

Immer wieder warnt der Bürgermeister auf den offiziellen Kanälen der Stadt davor, nicht auf Falschinformationen hereinzufallen. So seien bereits einige Tage zuvor Nachrichten in den sozialen Medien geteilt worden, in denen den Bewohnern Mariupols versprochen wurde, das russische Militär werde sie an einen "sicheren Ort" transportieren und "humanitäre Korridore" schaffen. Von russischer Seite wurde dieses Vorhaben jedoch nicht offiziell bestätigt.

Der Stadtrat von Mariupol warnte die Bevölkerung deshalb, dass diese Nachrichten eine "Vorbereitung für einen großen Sabotageakt" sein könnten. So habe es bereits Fälle gegeben, "in denen russische Truppen Zivilisten als menschliche Schutzschilde benutzt haben, um in ukrainische Städte einzudringen". Unabhängig prüfen, lassen sich diese Vorwürfe derzeit nicht. "Seien Sie vorsichtig!", appellierte der Stadtrat dennoch an die Bewohner. Informationen über tatsächliche "humanitäre Korridore" würden demnach auf der offiziellen Seite der Behörde veröffentlicht werden. Dies ist bislang jedoch nicht geschehen.

Verwendete Quellen
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