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Selenskyj im UN-Sicherheitsrat: Ein unwürdiges Schauspiel


Russischer Vertreter im UN-Sicherheitsrat
Unwürdiges Schauspiel

  • Bastian Brauns
Von Bastian Brauns

Aktualisiert am 21.09.2023Lesedauer: 4 Min.
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Aufsehenerregender Auftritt: Selenskyj gelingen seit Kriegsbeginn immer wieder diplomatische Meisterstücke. (Quelle: t-online)

Im mächtigsten Gremium der UN attackiert der ukrainische Präsident Russland scharf. Dessen Vertreter aber macht sich über den Auftritt Wolodymyr Selenskyjs lustig.

Bastian Brauns berichtet von den Vereinten Nationen aus New York

Der ukrainische Präsident weiß, seinen Auftritt im UN-Sicherheitsrat zu nutzen. Genau im richtigen Moment betritt er jenen Raum, in dem das mächtigste Gremium der Vereinten Nationen regelmäßig tagt. Der berüchtigte russische UN-Botschafter Wassili Nebensja liefert sich gerade ein Wortgefecht über die Formalitäten der Gastrolle von Wolodymyr Selenskyj. Der Russe will nicht akzeptieren, dass der Vorsitzende der Runde, Albaniens Premierminister Edi Rama, dem Ukrainer das Rederecht vor allen anderen Mitgliedern und direkt nach dem UN-Generalsekretär einräumen will.

Für solche Scharmützel über Formalitäten ist Nebensja bei seinen UN-Kollegen bekannt. Auf diese Weise versucht er regelmäßig, den Ablauf von Sitzungen zu verzögern, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und die übrigen Anwesenden zu provozieren. Ungerührt von der Diskussion schreitet Selenskyj im tarngrünen Anzug zu seinem Platz, setzt sich schräg gegenüber von Nebensja und hört ihm ruhig zu.

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Zynismus des russischen Botschafters

Der beschwert sich weiter: Beim letzten Mal hätten die westlichen Delegationen den ukrainischen Präsidenten per Video zur Sitzung zugeschaltet. "Sie haben behauptet, dass Wolodymyr Selenskyj im vergangenen Jahr aufgrund außergewöhnlicher Umstände das Land nicht verlassen könnte." Der russische Vertreter ist ein Profi im Zynismus und fährt fort: "Jetzt haben ihn diese 'außergewöhnlichen Umstände' nicht davon abgehalten, in die USA zu reisen und Washington zu besuchen."

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Minutenlang ergeht sich Nebensja in solchen Spitzen. Immer wieder äußert er seinen Redewunsch. Der albanische Präsident lässt ihn gewähren, bis es ihm schließlich zu bunt wird. "Es gibt eine Lösung", sagt Edi Rama, "Sie beenden den Krieg und Herr Selenskyj wird hier nicht sprechen." Im Saal und auf der Tribüne wird leise gelacht. Nebensja schweigt. "Können wir jetzt, mit Ihrem Einverständnis, auf normale Art und Weise mit der Sitzung fortfahren?", fragt Albaniens Präsident noch. Nebensja hatte seine Show und macht mit seinem rechten Zeigefinger eine zustimmende Bewegung.

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Selenskyjs kluger Schachzug

Schließlich ist Selenskyj an der Reihe und nutzt seine Rede, um das unwürdige Schauspiel mit der grausamen Realität zu kontern. Doch vor allem nutzt er die Gelegenheit, um um jene Staaten zu werben, die der Meinung sind, dass die Welt ganz andere Probleme hat als den Krieg in der Ukraine. Denn ihre Zahl wächst, das dürfte Selenskyj in diesen Tagen in New York schmerzlich bewusst geworden sein.

Er blickt in Richtung Nebensja und beginnt: "Russland ist ein Staat, der sich aus irgendeinem Grund noch immer unter den Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats befindet". Zehntausende Opfer habe Russland schließlich zu verantworten, so der ukrainische Präsident.

Dann leitet er über zu einem geschickten Schachzug: Er fordert einschneidende Reformen jenes Gremiums, in dem er gerade sprechen darf. Er weiß, dass er damit nicht allein ist und adressiert so ausgerechnet jene Staaten, denen anderes wichtiger ist als die Ukraine.

Der Krieg in seinem Land könne deswegen nicht beendet werden, weil Russland sein Vetorecht im Sicherheitsrat missbrauche. Darum müsse die "UN-Generalversammlung die tatsächliche Macht erhalten, das Vetorecht zu überwinden", sagt Selenskyj. Das werde der erste notwendige Schritt sein. Vertreter der Afrikanischen Union und Asiens, Südamerikas und Ozeaniens bräuchten zudem einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat, fordert der Ukrainer.

Ein großes Lob für die Politik des Bundeskanzlers

Doch er fordert ihn nicht nur für Länder des sogenannten globalen Südens, sondern – und das ist ebenfalls eine Überraschung an diesem Abend – auch für Deutschland. Ausgerechnet das Land, dessen Regierungschef Olaf Scholz immer wieder vorgeworfen wird, er zögere zu sehr mit seiner Hilfe für die Ukraine. Auch Selenskyj gehörte einst zu diesen Kritikern. Er weiß, dass die Bundesrepublik sich seit vielen Jahren um einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat bemüht.

"Wenn man die Veränderungen berücksichtigt, die in Europa stattgefunden haben, ist insbesondere Deutschland zu einem der wichtigsten globalen Garanten für Frieden und Sicherheit geworden", sagt Selenskyj. Das sei eine Tatsache, und es sei "auch eine Tatsache, dass Deutschland einen Platz unter den Mitgliedern des Sicherheitsrates verdient." Der chinesische Vertreter in der Runde gibt sich währenddessen betont abwesend und blättert in seinen Unterlagen. Russlands Wassili Nebensja tippt derweil Nachrichten in sein Smartphone.

Offenes Gefecht mit Lawrow vermieden

Als Selenskyj geendet hat, bleibt der befürchtete, öffentliche Schlagabtausch zwischen ihm und dem ebenfalls nach New York gereisten russischen Außenminister Sergei Lawrow aus. Der ukrainische Präsident verlässt den Raum, noch bevor Lawrow auftaucht. Auch das ist ein Statement: Der ukrainische Präsident hat Wichtigeres zu tun, als sich die dann nicht enden wollende Rede des Russen anzuhören.

Eine gute halbe Stunde wiederholt Lawrow die bekannte russische Erzählung, wie es zum Krieg in der Ukraine gekommen sei. Er liest hauptsächlich vom Blatt. Nach dem Ende des Kalten Krieges habe der "kollektive Westen" unter Führung der USA die Sicherheit in der Welt mehr und mehr aufs Spiel gesetzt. Die USA hätten die Ukraine zu einem Vasallenstaat gegen Russland ausbauen wollen.

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Aber um die kruden Erzählungen des russischen Außenministers ist es Selenskyj ohnehin nicht gegangen. Er ist nicht in den Sicherheitsrat gekommen, um sich dessen Rede anzuhören oder um ihn zu überzeugen. Sein Ziel allein war es, öffentlichkeitswirksam für die Unterstützung seines Landes zu werben. In New York hat der ukrainische Präsident das wieder einmal geschafft. Je länger der Krieg andauert, desto schwieriger wird das. Morgen ist er beim US-Präsidenten in Washington, trotz und wegen der außergewöhnlichen Umstände.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen vor Ort
  • Presse-Teilnahme an der Sitzung im UN-Sicherheitsrat
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