"Ihr Deutschen seid so naiv, ihr bemerkt das nicht einmal"

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Wollen wir das alles nicht bemerken oder fehlt uns einfach die Vorstellungskraft, dass so etwa hier im demokratischen Deutschland passieren kann?
Beides spielt eine Rolle. Wir haben 30 Jahre nach Ende des Kalten Krieges offenbar die Erinnerung an diesen verloren und vergessen, wie man sich damit auseinandersetzt. Nachdem wir das jetzt erleben, haben wir uns in VerdrΓ€ngung gestΓΌrzt und sagen uns stΓ€ndig, so schlimm kΓΆnne das ja gar nicht sein. Es sind doch alle friedlich - doch leider sind eben nicht alle auf der Welt friedlich.
Sie haben einmal gesagt, dass Ihnen bei der Arbeit an Ihrem Buch regelmΓ€Γig die Luft wegblieb. Was fΓΌr atemberaubende Dinge sind das denn, die Ihnen bei der Recherche begegnet sind?
Ich will noch nicht zu viel verraten, aber es gibt hier eine geheime Kampftruppe von Putin in Deutschland, es gibt unglaubliche Querverbindungen von rechten Netzwerken nach Moskau - bis hin zu einer sogenannten Querfront. Es gibt Tarnorganisationen von Putin, die hier fΓΌr Stimmung sorgen sollen.
Es ist wie ein Thriller und man denkt sich: Warum sind wir so blind und sehen nicht, wie vieles von diesen Dingen bereits vom KGB, also aus Sowjetzeiten bekannt ist, was wir aber vergessen haben. Das geht bis hin zu mysteriΓΆsen UmstΓ€nden eines Todesfalles eines prominenten Deutschen.
Was mich beim Schreiben immer wieder ΓΌberrascht hat, das waren die Querverbindungen zur Stasi und auch zur Partei βDie Linkeβ. Da standen einem immer wieder die Haare zu Berge.
Sehr viel ist sehr viel enger mit Moskau verbunden, als wir uns das vorstellen wollen.
Das ist auch ein Generationsproblem: Die Γlteren, die die DDR und die Sowjetunion noch erlebt haben, die kΓΆnnen vieles sehr wohl nachvollziehen, fΓΌr die JΓΌngeren ist das vΓΆllig neu und unvorstellbar.
Sie schreiben in Ihrem Buch, Putin wolle eine Internationale der Anti-Demokraten aufbauen. Was meinen Sie damit?
Sehr detailliert gehe ich auf den mafiΓΆsen Charakter der Moskauer FΓΌhrung ein. Das ist der Grund, warum dieses Regime per se nicht friedlich mit Demokratien oder Rechtsstaaten koexistieren kann. Putins Hauptziel ist es, an dieser Front Frieden zu schaffen. Er will genug Einfluss in den westlichen Regierungen haben, dass sie ihn in Ruhe lassen.
Eine Demokratie ist fΓΌr das Herrschaftsmodell, das wir derzeit in Russland haben, eine Gefahr. Und diese Gefahr will er bereinigen. Nicht mit Panzern, sondern mit anderen Methoden, die fΓΌr uns deshalb nicht ungefΓ€hrlicher sindβ¦.
β¦.gezielte Desinformation, Propaganda, LΓΌgengeschichten.
Genau. Was wir in unserem FriedensdrΓ€ngen vergessen habe: Die SowjetfΓΌhrer hatten immer den Anspruch, den Westen zu zerstΓΆren. Schon Chruschtschow sagte, "wir werden euch zu Grabe tragen", und auch Breschnew machte klar, dass die Entspannungspolitik nicht bedeute, dass sie diesen Anspruch aufgΓ€ben.
Das ist also ein gewisser Progress: Putin will uns vielleicht nicht mehr zerstΓΆren, sondern nur sein Politikmodell aufdrΓ€ngen. Das ist immer noch gefΓ€hrlich genug. Diese Vorgeschichte sollte uns zeigen, dass wir nicht so naiv sein dΓΌrfen.
Er will die Demokratien im Westen schwΓ€chen und uns sein Politikmodell aufdrΓ€ngen. Gibt es Etappenziele auf dem Weg dorthin? Wie wird er die lΓ€stigen Sanktionen los?
Putin sieht sich selbst im Abwehrkampf: Wir attackieren sein System und er verteidigt sich nur durch Angriff. Sein erstes Ziel ist nach meinen Informationen, entweder Angela Merkel entscheidend zu schwΓ€chen, oder, besser noch, aus dem Kanzleramt zu bekommen. Dazu macht er auch konkrete Schritte.
Damit will er innerhalb der EU die knappe, putin-kritische Pro-Sanktionsmehrheit stΓΌrzen. Angela Merkel ist hier in vielem der Dominostein, der entscheidet, in welche Richtung die politische Mehrheit kippt - pro Sanktionen, contra Sanktionen.
Was kann der Westen gegen diese Angriffe tun? Der AuswΓ€rtige Dienst der EU hat die "East Stratcom Task Force" gegrΓΌndet, die Beispiele fΓΌr russische PropagandalΓΌgen sammelt. Das sind wenige Leute - kΓΆnnen sie gegen die Propagandamaschinerie des Kremls etwas ausrichten?
Das ist wichtig, aber nur ein Tropfen auf dem heiΓen Stein. Was wir jetzt dringend brΓ€uchten, das wΓ€re ein freies russisches Fernsehen. Das gibt es ja bereits fΓΌr Abonnenten, es gibt die ganze Infrastruktur, man mΓΌsste es nur entschlΓΌsseln. Das wΓ€ren geringe Kosten, aber leider habe ich den Eindruck, dass die Politik hier schlΓ€ft. Das ist dramatisch. Man muss den drei Millionen russischsprachigen Menschen in Deutschland eine Alternative bieten.
Und was noch ganz entscheidend ist: Wladimir Putin ist mit seinem Propagandakrieg nur deshalb so stark, weil wir so schwach geworden sind. Wir haben sehr groΓe Probleme in unserer Gesellschaft: nach den Silvesterangriffen in KΓΆln ist das Vertrauen in die Polizei geschwunden, das Vertrauen in die Medien ist geschwunden. Bei uns lΓ€uft viel schief und Putin nutzt das aus. Wir mΓΌssen uns erst einmal auf unsere Grundtugenden besinnen.
Wir haben - auch ohne ihn - ein Feuer und er gieΓt da stΓ€ndig Brandbeschleuniger rein.
Ist Putin wirklich so stark?
Er ist schwach, auch die russische Wirtschaft ist schwach, Russland ist wirtschaftlich etwa auf der Ebene von Italien. Das Problem ist nur, dass wir auf der einen Seite so naiv und Γ€ngstlich sind und auf der anderen Seite Putins UnterstΓΌtzer hier so lautstark sind. Wenn wir uns auf unsere StΓ€rken besinnen wΓΌrden, dann wΓ€re er nicht so gefΓ€hrlich fΓΌr uns. Er ist ein Scheinriese.
Die Fragen stellte Christina Rath