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Streit um Jerusalem: PLO lehnt dritte Intifada nicht klar ab


Interview zur Jerusalem-Frage
PLO lehnt dritte Intifada nicht eindeutig ab

Jonas Schaible

13.12.2017Lesedauer: 3 Min.
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Grafitto in Gaza-Stadt: Die in Gaza regierende Hamas fordert eine dritte Intifada.Vergrößern des Bildes
Grafitto in Gaza-Stadt: Die in Gaza regierende Hamas fordert eine dritte Intifada. (Quelle: Mohammed Saber/epa)

Die Palästinensische Befreiungsorganisation gilt als eher moderate Kraft – zumindest verglichen mit der Hamas. Doch von deren Ruf nach einer neuen Intifada will sich ein Sprecher nicht distanzieren.

Interview von Jonas Schaible

Donald Trumps Entscheidung, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, hat Regierungen aufgeschreckt und war Anlass für Proteste und Gewalt. Die islamistische Hamas hat die Palästinenser sogar zu einer dritten Intifada gegen den "zionistischen Feind" aufgefordert.

Als Intifada werden gewaltsame Aufstände der Palästinenser bezeichnet. Die erste Intifada dauerte von 1987 bis 1991. Die zweite von 2000 bis 2005. Dazu gehörten Demonstrationen, Boykotte, Graffiti, vor allem aber heftige Gewaltausbrüche: Palästinenser warfen Steine und Molotow-Cocktails, schossen auf israelische Soldaten, beschossen israelische Städte mit Raketen. Gerade während der zweiten Intifada verübten Selbstmordattentäter hunderte Terroranschläge. Es kam außerdem zu Lynchmorden an angeblichen Kollaborateuren. Israel setzte sein Militär ein, schoss mit scharfer Munition auf Demonstranten, zerstörte Häuser und flog Luftangriffe. Insgesamt wurden mehr als 4000 Menschen getötet.

Die Hamas bezieht sich in ihrer Gründungscharta auf das antisemitische Verschwörungsbuch "Die Protokolle der Weisen von Zion", spricht Israel die Existenzberechtigung ab und feuert immer wieder Raketen aus dem Gaza-Streifen auf israelische Städte.

Dagegen erkennt die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) seit 1993 das Existenzrecht Israels an. Seitdem hat sie sich zum wichtigsten Verhandlungspartner Israels entwickelt. Sie fordert einen eigenen Palästinenserstaat. Die wichtigste Teilgruppe in ihr ist die Fatah, der auch Palästinenserpräsident Mahmud Abbas angehört. Von der UNO wird die PLO als Repräsentant der Palästinenser anerkannt.

Hamas und Fatah konkurrieren schon lange um die Macht. Nach 2007 standen sie sich lange feindselig gegenüber. Damals übernahm die Hamas die Macht im Gaza-Streifen – Beobachter sprachen von einem Putsch. In den vergangenen Jahren näherten sich beide Parteien wieder etwas an. Im kommenden Jahr wollen sie gemeinsam Wahlen abhalten.

Nun ruft die Hamas wieder offen zur Gewalt auf – wie reagiert die PLO?

Ashraf Khatib ist Sprecher der Abteilung für Verhandlungen der PLO in Ramallah.

Herr Khatib, Trump wird Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkennen und die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen. Wie erklären Sie sich diesen Schritt?

Ashraf Khatib: Trumps Ankündigung ist der Versuch, der illegalen Besatzung von Palästina inklusive Jerusalem Legitimität zu verleihen. Er will mit seiner Entscheidung Israel und seine Anführer belohnen, Jerusalems künftigen Status festlegen und damit, wie sein UN-Botschafter sagt, "Jerusalem vom Verhandlungstisch nehmen". Aber er verletzt Internationales Recht, vor allem die Resolution 478 des Sicherheitsrats. Die USA haben sich disqualifiziert, sie können keine Rolle in einem künftigen Friedensprozess mehr spielen.

In der Resolution 478 des UN-Sicherheitsrats von 1980, die bei Enthaltung der USA beschlossen wurde, wird ein israelisches Gesetz zurückgewiesen, das Jerusalem inklusive Ost-Jerusalem zur Hauptstadt Israels erklärt. In der Resolution ist auch festgelegt, dass alle Staaten ihre diplomatischen Vertretungen aus Jerusalem abziehen sollen. Im April erklärte Russland als erster Staat, West-Jerusalem als israelische Hauptstadt anzuerkennen. Internationale Reaktionen blieben aus.

Dieser Friedensprozess stockte zuletzt sehr…

… es gibt zurzeit überhaupt keinen Friedensprozess.

In jedem Fall gab es keine Fortschritte. Was fordern Sie in Verhandlungen?

Gemäß internationalem Recht ist Ost-Jerusalem ein integraler Teil der Palästinensergebiete und die Hauptstadt des Staates Palästina. Wir sind bereit, West-Jerusalem als israelische Hauptstadt zu akzeptieren – wenn Jerusalem eine offene Stadt wird. Was wir nicht hinnehmen werden, ist, wenn eine Seite die israelische Annexion von ganz Jerusalem akzeptiert.

Israel hat im Sechs-Tage-Krieg 1967 unter anderem den Gaza-Streifen und das Westjordanland inklusive Ost-Jerusalem besetzt. Der Gaza-Streifen und Teile des Westjordanlands stehen prinzipiell unter Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde, die aber nicht überall die gleichen Befugnisse hat. Ost-Jerusalem hat noch einmal einen anderen Status. Viele der dort lebenden Palästinenser sind keine israelischen Bürger und können deshalb nicht an nationalen Wahlen teilnehmen.

Warum hat das bloße Wort des US-Präsidenten eigentlich so viel Gewicht? In Jerusalem selbst ändert sich ja nichts.

Sein Statement wird nichts daran ändern, dass Ost-Jerusalem eine Stadt unter fremder Besatzung ist. Aber es zeigt, dass er nichts auf die Werte und Verantwortung der Vereinigten Staaten gibt. Er fördert Anarchie anstatt Respekt für das Recht. Für Extremisten waren seine Aussagen ein Geschenk. Er hat der Region keinen Gefallen getan.

Einer dieser Extremisten ist Ismail Hanija, der Chef der Hamas im Gaza-Streifen. Er ruft die Palästinenser zu einer dritten Intifada auf. Was denkt die PLO darüber?

Die Frage ist nicht, ob es eine neue Intifada gibt oder nicht. Es ist ganz natürlich, dass ein unterdrücktes Volk gegen seine Unterdrücker kämpft.

Meinen Sie: politisch, nicht mit Gewalt?

Leider verschieben Fragen wie diese den Fokus weg von der Tatsache, dass dem palästinensischen Volk systematisch Rechte verwehrt werden. Die eigentliche Frage sollte sein, wann das palästinensische Volk seine unveräußerlichen Rechte bekommt, auf die sich die internationale Gemeinschaft vor Dekaden geeinigt hat. Wir sollten nicht vergessen, dass die Palästinenser seit 100 Jahren unter Enteignung, Ungerechtigkeit und gewalttätiger militärischer Besatzung leidet. Die Frage ist nicht, ob es eine Intifada gibt.

Vor 100 Jahren, im Jahr 1917, erklärte sich Großbritannien in der Balfour-Deklaration einverstanden mit dem zionistischen Ziel, im osmanisch kontrollierten Gebiet Palästina "nationale Heimstätte für die Juden" zu errichten.

Doch, auch das ist eine Frage. Auch Israelis haben das Recht, nicht in die Luft gesprengt oder erstochen zu werden. Extremisten nicht noch anzustacheln, ist nicht nur Trumps Verantwortung. Weisen Sie die Forderung nach einer Intifada also zurück oder nicht?

Warum betonen Sie die Intifada so sehr?

Weil in den beiden Intifadas tausende Menschen umgebracht wurden.

Wir sind ein Volk im Exil, unter Besatzung. Die palästinensische Führung muss Wege finden, diese von der internationalen Gemeinschaft verursachten Tragödie zu beenden. Wir rufen definitiv zur Gewaltlosigkeit auf und unterstützen Gewalt nicht, aber eine Intifada muss auch nicht gewalttätig sein.

Ich fasse zusammen: Die PLO weist die Forderung nach einer Intifada nicht klar zurück.

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