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Göring-Eckardt: Wie eine Grüne im Osten die Demokratie retten will


Grüne Reizfigur
Dann folgt die brutale Ernüchterung

Von Miriam Hollstein

Aktualisiert am 20.07.2023Lesedauer: 7 Min.
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Katrin Göring-Eckardt bei ihrer Ostdeutschlandtour in Chemnitz: Die Grünen-Politikerin wurde bei ihren Auftritten zum Teil heftig angefeindet. (Quelle: Uwe Meinhold/imago images)

Seit anderthalb Wochen tourt die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt durch Ostdeutschland. Sie will vor allem zuhören – und so für die Demokratie kämpfen. Doch das geht manchmal furchtbar schief.

Katrin Göring-Eckardt trägt Grün. Kein knalliges Froschgrün, sondern verschiedene Pastelltöne, die sich zart in die Umgebung um sie herum einfügen.

Diese Anpassung ist keine Absicht. Aber sie könnte das inoffizielle Motto der Sommerreise sein, die die Grünen-Politikerin und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags seit dem 10. Juli durch Ostdeutschland unternimmt. Offiziell ist es eine "Demokratie-Tour". Aber die 57-Jährige will nicht als belehrende Wärmegesetz-Grüne und moralische Predigerin aus Berlin unterwegs sein. Sondern als eine Politikerin, die selbst in Ostdeutschland geboren ist und auf ihrer Reise mit Bahn und Rad vor allem ein Ziel hat: zuhören, verstehen, ins Gespräch kommen.

In den sächsischen Städten Glauchau und Stollberg hat sie ein Kulturprojekt besucht und mit dem früheren Ost-Beauftragten Marco Wanderwitz (CDU) und Bürgermeistern aus der Region über Demokratie diskutiert, sich im brandenburgischen Bad Freienwalde mit einem Verein getroffen, der sich um die Erinnerung an das frühere DDR-Kindergefängnis kümmert.

Manchmal war es gar nicht so einfach mit dem Ins-Gespräch-Kommen. Etwa in Glauchau, wo die rechtsextremen "Freien Sachsen" zu einer Gegendemo aufgerufen hatten. "Die, die gekommen waren, waren dann aber Bürger, die Probleme mit der Windkraft und mit zu hohen Pflegekosten hatten", sagt Göring-Eckart: "Die beschwerten sich erstmal lautstark. Aber dann kamen wir ins Gespräch und am Ende verlief alles ziemlich friedlich und entspannt."

Auch der Tag in Wittenberg im Süden von Sachsen-Anhalt beginnt für Göring-Eckardt friedlich und entspannt. Eine Woche liegt bereits hinter ihr, als sie in der Universitätsstadt, die rund 46.000 Einwohner und eine pittoreske Altstadt hat, eintrifft. Sie parkt ihr Elektrorad in der Fußgängerzone, trinkt einen Kaffee beim Italiener, schlendert dann zum Rathaus, wo sie sich ins Goldene Buch einträgt. Noch ist wenig Betrieb auf den Straßen. Von den Menschen, die unterwegs sind, scheinen viele die Politprominenz nicht zu erkennen. Den anderen scheint sie egal zu sein.

"Genauso leidenschaftlich wie die AfD"

André Seidig freut sich über den Besuch aus Berlin. Seit vergangenen Sommer ist der parteilose Jurist Bürgermeister von Wittenberg. "Es ist immer sehr gut, wenn die Politik den Kontakt zur Basis sucht und sich anhört, mit welchen Nöten wir hier zu kämpfen haben", sagt er t-online. Beim Empfang von Göring-Eckardt im Rathaus erzählt er, dass sich die AfD in seiner Stadt eher gemäßigt gibt. Der Parteiname wird kaum betont, stattdessen veranstaltet man lieber Bürgerfeste.

Das machen die anderen Parteien nicht. "Man bräuchte eine Partei, die genauso leidenschaftlich wie die AfD auftritt", sagt eine Frau, die beim Empfang im Rathaus dabei ist und sich als Sozialdemokratin outet: "Aber die anderen Parteien sind so selbstzufrieden."

Sorgen bereiten die Krawalltouristen

Sorgen haben der Stadt eine Zeit lang die Krawalltouristen bereitet, die aus Brandenburg und Sachsen zu den Montagsdemos in Wittenberg anreisten. Unter dem Motto "Reformation 2.0" wollten Rechtspopulisten das alljährliche Reformationsfest in der Luther-Stadt vereinnahmen. Doch trotz größter Mobilisierungsbemühungen und der angespannten Energielage folgten im vergangenen Oktober nur 2.700 Menschen dem Aufruf – und nicht die erhofften Zehntausende. Seither ist die Bewegung weitgehend eingeschlafen.

Für die echte Reformation interessierten sich die selbst ernannten Revoluzzer hingegen nicht. Das bekommt Katrin Göring-Eckardt bei ihrem Besuch des Luther-Hauses und des Museums für Philipp Melanchthon, einem anderen großen Reformator und Zeitgenossen von Martin Luther, berichtet. Dabei hätten die Demonstranten hier in den liebevoll aufbereiteten Ausstellungen viel lernen können. Denn gerade Melanchthon war einer, der den Austausch mit anderen Meinungen liebte. Weil ihm im Gegensatz zu Luther besonders wichtig war, dass die Ideen der Reformation auch in der breiten Masse verstanden wurden, galt er als der "Außenminister der Reformation". Er wäre vermutlich auch für Robert Habeck ein guter Ratgeber gewesen.

Göring-Eckardt ist hier in ihrem Element, die Ex-Pfarrfrau hat lange die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland geleitet, eine Art "Kirchenparlament". In Wittenberg stellt sie vor allem Fragen.

Auf der Montagsdemo wird jetzt "Weg mit den Grünen" gerufen

Sie habe auf ihrer Tour immer wieder von Engagierten gehört, dass diese angesichts des wachsenden Rechtspopulismus im Osten überlegten, wegzuziehen. Ob das auch in Wittenberg bei manchen ein Gedanke sei? Das kann in der Runde keiner bestätigen. Von zwei ausländischen Bekannten weiß man zu berichten, die eine dunkle Hautfarbe haben und von einem örtlichen Sportverein nicht aufgenommen wurden. Oder von einem Kollegen, der sich nicht wohlfühlte und nach Berlin zurückzog. Aber es sind Einzelfälle. In Wittenberg ist die bürgerliche Mitte noch intakt. Auch zu den Montagsdemos kommen nur noch ein paar Dutzend. Neu ist, dass dort jetzt "Weg mit den Grünen" gerufen wird.

Die Grünen sind zum Hassobjekt im Osten geworden, eine Projektionsfläche für alles, was schiefläuft. Katrin Göring-Eckardt hat eine Erklärung dafür: "Ich glaube, es liegt daran, dass wir für Veränderung stehen und es im Osten eine riesengroße Veränderungsmüdigkeit gibt."

"Delay fatigue" heißt das Phänomen in der Wissenschaft, wenn ein Erschöpfungszustand erst Jahre nach dem eigentlichen Ereignis eintritt. "Wir werden für alles verantwortlich gemacht, auch für die Fehler der Vorgängerregierung. Egal, ob es um Verkehrspolitik geht, die wir völlig falsch fanden, oder die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel, die wir in vielem geteilt hatten", sagt Göring-Eckardt: "Und im Gegensatz zu anderen versprechen wir den Menschen nicht, dass alles besser wird. Aber wir versuchen, trotz der Krisen neuen Wohlstand zu sichern und für eine gerechte Verteilung zu sorgen."

Aber auch die Grünen hätten einen Anteil an der angespannten Stimmung im Land, räumt Göring-Eckardt mit Blick auf das Heizungsgesetz ein. "Diese Diskussion wurde zu lange aus der städtischen Perspektive geführt. Und sie wird von einem großen Irrtum beherrscht: Wohneigentum bedeutet im Osten nicht gleich Wohlstand. Im Osten gibt es über eine Million Haushalte mit Eigenheim oder sonstigem Wohneigentum, die ein Jahreseinkommen von weniger als 40.000 Euro brutto haben. Die wissen nicht, wie sie die Zusatzkosten für die Anschaffung einer Wärmepumpe stemmen sollen."

Ihren Parteifreund und Wirtschaftsminister Robert Habeck sieht die Grünen-Politikerin dann aber nicht in der Schuld, sondern vielmehr den Finanzminister von der FDP: "In Robert Habecks erstem Entwurf stand drin, dass die Förderung vom Einkommen abhängig sein soll. Das hat Christian Lindner dann rausgestrichen, wir mussten es wieder reinkämpfen."

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Schuldfrage hin oder her, dass die Stimmung im Osten gerade kippt, bekommt Göring-Eckart auch auf ihrer Demokratie-Tour zu spüren. In Leipzig hat sie Wissenschaftler der Universität getroffen, die gerade eine repräsentative Studie zur Stimmung in den ostdeutschen Bundesländern gemacht haben. Dass es eine hohe Zustimmung zu rechtsextremen Positionen gibt, war nicht das Überraschende. Sondern, dass sich in vielen Punkten die Werte für demokratiefeindliche Aussagen im Vergleich zu früher kaum verändert haben. Es sind jetzt bloß mehr Menschen bereit, dies auch in der Öffentlichkeit zu zeigen.

Sorge, als Spitzenpolitikerin auf der Straße beleidigt oder attackiert zu werden, hat Göring-Eckardt keine: "Auf Demonstrationen 1989, wo ich mit einem Baby war, wurden Wasserwerfer eingesetzt, nach so einer Erfahrung hat man keine Angst mehr." Dabei erhält die Vizepräsidentin des Bundestags wie viele Kollegen und Kolleginnen immer wieder Drohnachrichten, darunter auch Morddrohungen.

Der Briefkasten war mit Hundekot zugeschmiert

Als vor einem Jahr der Briefkasten ihres Hauses mit Hundekot zugeschmiert war, sei dies allerdings ein "komisches Gefühl" gewesen, sagt Göring-Eckardt: "Die Polizei hat ein Jahr ermittelt, jetzt ist klar, wer es war." Ein Nachbar, der ein paar Häuser weiter wohnte: "Es fühlt sich schon komisch an, wenn es jemand aus der Gegend war." Der Täter ist inzwischen weggezogen.

Bei ihrer Ost-Tour sind zu einzelnen Terminen allerdings aus Sicherheitsgründen Beamte des Bundeskriminalamts dabei. "Das Bundeskriminalamt ist zu der Einschätzung gekommen, dass das besser sei." Auch in Wittenberg laufen bei den Terminen zwei junge Männer und eine junge Frau in diskreter Distanz, aber mit wachsamem Blick mit. Hier haben sie freilich keinen Anlass zum Eingreifen.

Göring-Eckardt ist in Friedrichroda geboren, einer Kleinstadt in Thüringen. In der Spitzenpolitik hat sie ähnlich wie Merkel ihre Herkunft lange kaum thematisiert. "Ich wollte nie die 'Ost-Beauftragte' sein. Genauso wenig, wie ich eine 'Quoten-Tante' für den Osten sein wollte“, sagt sie. "Aber ich war in vielen Spitzenrunden die einzige Ostdeutsche. Und damit waren auch die Themen des Ostens, zum Beispiel die Förderung des ländlichen Raums, automatisch mit dabei."

Sie ist sich sicher, dass ihre Herkunft auch auf ihrer Demokratie-Tour hilft: "Ich kann mit Ostdeutschen anders reden, weil ich selbst aus dem Osten komme. Weil ihre Geschichte auch meine ist." Manchmal verfällt sie in den Gesprächen auch wieder in ihren Heimatdialekt. Den hatte sie sich mit 16 abgewöhnt, weil sie ihn hässlich fand.

Noch ist die Reise nicht zu Ende, aber ein paar Lektionen hat sie bereits mitgenommen: Etwa, dass die Wirtschaft im Osten eine entscheidende Rolle bei der Frage spielen könnte, ob die Demokratie dort kippt. Denn wenn es keine Fachkräfte mehr gibt, auch keine aus dem Ausland dorthin kommen wollen und die Unternehmen nicht mehr investieren, weil sie das Klima als feindlich empfinden, werden am Ende die Einheimischen den Preis dafür bezahlen. Eine weitere Lektion: "Dass wir die stärken müssen, die vor Ort für die Demokratie kämpfen. Und dafür müssen wir die Menschen fragen, was sie umtreibt und welche Ideen sie haben, auch wenn sie ganz anders ticken."

Bei ihren Terminen hat sie immer ein blaues Ringbuch und eine Polaroidkamera dabei, mit der sie ein Foto von ihren Gesprächspartnern macht. Die können dann unter das Bild die Botschaft schreiben, die sie der Politikerin mit auf den Weg zurück nach Berlin geben wollen. Die Mitarbeiter des Melanchthon-Museums haben ihr einen Spruch des Reformators hineingeschrieben: "Wir sind zum gemeinsamen Gespräch geboren."

Nur fünf Stunden später folgt die brutale Ernüchterung. Da hat Göring-Eckardt schon mit dem Rad die 35 Kilometer von Wittenberg nach Dessau hinter sich gebracht. Bei einem öffentlichen Spaziergang an der Elbe will sie jetzt mit Bürgern und Bürgerinnen sprechen.

Doch daraus wird nichts. Rechte Gruppierungen haben auch bei diesem Termin bereits Tage vorher im Internet zu einer Gegendemo aufgerufen. Mit mehr Erfolg als in Glauchau. Göring-Eckardt wird laut pöbelnd von 60 Demonstranten empfangen. Sie versucht es dennoch: "Wollt ihr reden?" Doch die Menge schreit weiter. Von "Volksverräter" und "grünem Abfall" ist die Rede. Ein Video, das ein "Spiegel"-Reporter von der Szene macht, geht hinterher in den sozialen Netzwerken viral.

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Mit einer kleinen Gruppe anderer Besucher geht Göring-Eckardt dennoch ein Stück. Doch der Mob folgt mit Trillerpfeifen, nur mühselig von ein paar Polizisten auf Abstand gehalten. "Ich habe so etwas noch nie zuvor erlebt", sagt ein Augenzeuge t-online. Noch einen Tag später ist ihm die Fassungslosigkeit über die Szene anzumerken: "So muss das vor 80 Jahren gewesen sein."

An diesem Abend ist der Versuch, die Demokratie zu retten, gescheitert.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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