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Wie es den Flüchtlingen in Clausnitz heute geht


Von Mob bedrängt
Wie es den Flüchtlingen in Clausnitz heute geht

dpa, Von Martin Fischer

13.02.2017Lesedauer: 4 Min.
Der Libanese Luai hat sich gut in Deutschland eingelebt.Vergrößern des BildesDer Libanese Luai hat sich gut in Deutschland eingelebt. (Quelle: dpa-bilder)
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Die Bilder von der Ankunft des Flüchtlingsbusses in Clausnitz gingen um die Welt. Wo vor einem Jahr noch ein aufgebrachter Mob verängstigte Menschen bedrängte, ist inzwischen Ruhe eingekehrt. Doch viele Hoffnungen haben sich nicht erfüllt.

Als Luai vor einem Jahr im mittelsächsischen Clausnitz mit Gewalt von einem Polizisten aus dem vom grölenden Mob umstellten Bus geholt wird, ist er starr vor Angst. Die Szene, in der er in die Unterkunft geschleppt wird, geht als Video um die Welt. Heute kann der 15 Jahre alte Flüchtlingsjunge aus dem Norden des Libanons darüber lachen.

Natürlich sei das keine schöne Situation gewesen. "Aber das waren ja keine Leute von hier", sagt er und schränkt ein: "Nicht alle." Das hätten ihm Schulkameraden erzählt. Heute fühle er sich sicher in Clausnitz. Er strahlt: "Ich habe hier viele deutsche Freunde."

Ein kleines Sprachtalent

Luai geht jetzt in die achte Klasse der Oberschule in Brand-Erbisdorf. Wenn nicht wie jetzt Ferien sind, fährt er täglich mit dem Bus in die knapp 30 Kilometer entfernte Kreisstadt. Er sei das einzige Flüchtlingskind in der Klasse, erzählt der Junge routiniert. In den zurückliegenden Monaten hat er viele Interviews gegeben. Nach einem Jahr in Sachsen spricht Luai gut Deutsch. Fremde Sprachen sind offensichtlich kein Problem für ihn. "Ich lerne jetzt auch noch Spanisch und Russisch", bemerkt er nicht ohne Stolz.

Französischunterricht hatte er schon, als er noch in Tripoli wohnte und zur Schule ging - bevor sein Vater mit ihm und dem jüngeren Bruder aus der zweitgrößten Stadt des Libanons floh. Seine Mutter, eine Schwester und ein weiterer kleiner Bruder blieben zurück. Fast täglich spreche er über das Smartphone mit seiner Mutter, sagt Luai. "Manchmal auch nicht, wenn sie kein W-LAN hat."

Angst vor dem IS

Luais Vater habe die beiden ältesten Söhne wegen des zunehmenden Einflusses der Terrormiliz IS in der von sunnitischen Muslimen dominierten Stadt in Sicherheit bringen wollen, berichtet Marc Lalonde. Der Englisch-Lektor der TU Dresden kümmert sich seit der Ankunft des Busses um die Flüchtlinge in Clausnitz. Er spielt mit den Kindern, organisiert Ausflüge, kümmert sich um Sprachkurse für die Erwachsenen und vermittelt zwischen deutschen und ausländischen Bewohnern der fünf Häuser am Rande des Erzgebirgsdorfes.

Luais Vater - er ist Mitte vierzig und körperlich eingeschränkt - hatte gehofft, den Rest der Familie bald nachholen zu können, wenn sein Asylgesuch erst anerkannt ist. "Im Herbst hat er einen Ablehnungsbescheid bekommen", sagt Lalonde. Die Hoffnungen auf den dagegen erhobenen Einspruch sind gering. "Luais Vater und der Bruder wollen deshalb zurück in den Libanon, wenn die zweite Ablehnung kommt." Luai nicht.

"Luai ist ein Sonnenschein"

Dass er allein in Deutschland bleiben kann, ist ziemlich aussichtslos. Der Asylantrag bezog sich auf alle drei Familienmitglieder. Die Ablehnung auch. Der Deutsch-Kanadier Lalonde, der wegen seines Ferienhauses in der Nähe von Clausnitz eher zufällig mit den Flüchtlingen dort in Berührung kam, findet es schade. "Luai ist ein Sonnenschein und überall beliebt", erzählt er. "Sein Deutsch ist so gut geworden und er hat auch in der Schule gute Noten." Die Integration sei bei ihm schon "sehr weit fortgeschritten."

Vier der insgesamt sieben Familien, die derzeit in Clausnitz leben, kamen damals mit Luai in dem Bus dort an. "Reisegenuss" - der Name des Fuhrunternehmens - stand wie Hohn in der Anzeige über der großen Windschutzscheibe, durch die hindurch die Flüchtlinge von der aufgebrachten Menge begafft und aggressiv mit "Wir sind das Volk"- und "Haut ab"-Rufen angegangen wurden. Drei Familien stammen aus Afghanistan, zwei aus dem Iran, eine aus Syrien und Luais eben aus dem Libanon. Außerdem sind noch zwei einzelne Frauen aus Syrien dort untergebracht. "Insgesamt 24 Menschen", sagt Lalonde.

Die Iraner wollen weg

Die beiden iranischen Familien sind inzwischen als Flüchtlinge anerkannt und suchen jetzt nach Wohnungen. "Die wollen weg aus Clausnitz", sagt Lalonde nicht ohne Verständnis. Kein richtiger Supermarkt, "kein Halal. Dort gibt es ja nur einen kleinen Laden." Auch die Verkehrsanbindung ist schlecht.

Trotz der schlimmen Ankunft habe sich die Situation eigentlich gut entwickelt - oder vielleicht auch gerade deshalb. "Das sind die aus dem Bus" - wenn er das sage, öffneten sich Türen, sagt Lalonde. Mit diesem "Zauberwort" habe er vieles schnell erreicht, worauf er in den Jahren als Vorsitzender des Ausländerbeirates in Dresden lange habe warten müssen: vor allem Spenden, aber auch Sprachkurse, die "Flüchtlingen zweiter Klasse" wie Luais Vater aus dem Libanon ansonsten nicht automatisch zugestanden hätten.

"Und dann grüß ich zurück"

Im Ort will auch nach einem Jahr kaum jemand über die Flüchtlinge sprechen, vor allem nicht über deren Ankunft. Ein alter Mann steht hinter dem Zaun eines Hauses an der Dorfstraße. Die Presse mag er nicht. "Die haben das hier alles doch nur aufgebauscht. Es ist doch gar nichts passiert", sagt er. "Niemand wurde verletzt." Und überhaupt bekämen die Flüchtlinge zuviel Geld, das dann anderswo fehle.

Bekanntschaft habe er nicht mit den neuen Nachbarn geschlossen, sagt der Mann. "Das will ich auch gar nicht." Von negative Erfahrungen kann er aber auch nicht berichten. "Ich sehe die, wenn sie hier spazieren gehen. Das ist alles." Dann fügt er noch hinzu: "Die grüßen mich auch. Und dann grüß ich zurück." Letzteres scheint ihm fast peinlich.

Luai fühlt sich dennoch wohl in der neuen Heimat. Und er macht schon große Pläne. Was er mal werden will? "Fußballer oder Polizist", sagt er mit großen wachen Augen. "Aber lieber Polizist."

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