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Talk über Obdachlosigkeit bei Maischberger: "Wenn de keene Papiere hast..."


TV-Kritik zu Maischberger
Obdachlosigkeit: "Wenn de keene Papiere hast..."

Meinungt-online, David Heisig

Aktualisiert am 25.01.2018Lesedauer: 4 Min.
Der ehemals obdachlose Klaus Seilwinder: Er lebte acht Jahre auf der Straße – und erzählte davon im Fernsehen.Vergrößern des BildesDer ehemals obdachlose Klaus Seilwinder: Er lebte acht Jahre auf der Straße – und erzählte davon im Fernsehen. (Quelle: ARD/imago-images-bilder)
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Sandra Maischberger wollte mit ihrer Runde ergründen, warum Menschen auf der Straße landen. Ein ehemals Obdachloser erzählte aus seinem Leben. Der Talk berührte.

Die Gäste

  • Judith Rakers, "Tagesschau"-Sprecherin
  • Jaqueline Kessler, ehemalige Obdachlose
  • Dorothea Siems, Journalistin
  • Ortrud Wohlwend, Berliner Stadtmission
  • Klaus Seilwinder, lebte acht Jahre auf der Straße
  • Christoph Butterwegge, Armutsforscher

Das Thema

Die Zahl ist erschreckend: 900.000 Menschen in Deutschland sind in diesem Winter nach Schätzungen ohne Dach über dem Kopf. Tendenz steigend. Für Armutsforscher Christoph Butterwegge ein Armutszeugnis. Es werde statistisch erfasst, wie viele Bergziegen und Zwerghasen in Deutschland lebten, bei den Obdachlosenzahlen dagegen verlasse sich die Bundesregierung auf Schätzungen. "Man will es nicht so genau wissen", urteilte er.

Es mag einem in einem reichen Land wie Deutschland in der Tat als Hohn vorkommen, dass es Obdachlosigkeit gibt. Die Gründe, die Maischberger aufzählte, waren allerdings nachvollziehbar: Steigende Mieten, wenig sozialer Wohnraum, Armutsmigration aus Osteuropa. Butterwegges Credo war klar: Die Politik hat versagt, beim sozialen Wohnungsbau, im Niedriglohnsektor.

Die Fronten

Journalistin Dorothea Siems hielt dagegen. Staatsversagen: ja – aber nur, weil "zu viele ins Land gelassen werden". Zudem müssten die Leute nicht obdachlos sein. Hartz-IV, Mieterschutz und Co. bildeten ein soziales Netz. Durch das falle nur, wer das auch wolle, zum Beispiel keine Hilfe annehme. Sie legte noch einen drauf: EU-Bürger, die hier nicht arbeiteten, sollten auch keine Sozialhilfe bekommen. Es dürfe keine Freizügigkeit in die Sozialsysteme geben. Das habe der Europäische Gerichtshof entschieden.

Butterwegge konterte, es gebe gegenteilige Gerichtsurteile, etwa des Bundessozialgerichts. Und "Tagesschau"-Sprecherin Judith Rakers setzte den Paragrafen-Spielchen die Realität entgegen. Sie hatte für eine Dokumentation das "Tagesschau"-Studio für 30 Stunden mit der Straße getauscht. Betteln, Schlafen unter der Brücke, Essen im Armenhaus: Das war hart für sie.

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Was sie noch mehr erschreckte: Die Teilnahmslosigkeit der Passanten. Oder die Erkenntnis, den Schlafsack nachts nicht zuzuziehen, weil man so schneller rauskomme, falls ihn einer anzünde. Man merkte ihr an: Dieses Projekt veränderte ihren Blick. Aber nicht zu einem mit Mitleidstränen getränktem, sondern einem respektvollen.

Höhepunkt der Sendung

Die Einblicke in das wirkliche Leben machten den Reiz der Sendung aus. Dem ehemals obdachlosen Klaus Seilwinder musste man an den Lippen kleben, als er von seinem Sturz in die Obdachlosigkeit, die Alkoholsucht und seinen Weg zurück ins geregelte Leben erzählte. Das mit einer sehr sympathischen Portion Berliner Habitus. "Ick hab Scheiße gebaut", so sein an Ehrlichkeit nicht zu übertreffendes Credo. Sein Weg zurück war hart.

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"Wenn de keene Papiere hast", sagte er. Sofort war man an Carl Zuckmayers "Hauptmann von Köpenick" erinnert: Ohne Papiere keine Arbeit, ohne Arbeit keine Wohnung, ohne Wohnsitz keinen Ausweis. Ein Teufelskreis. Einer, aus dem auch die ehemals obdachlose Jaqueline Kessler ausbrechen konnte – durch die Arbeit mit Tieren. Jetzt hofft sie, eines von drei Kindern zurückzubekommen, die sie wegen des Lebens auf der Straße abgeben musste. Das berührte.

Aufreger des Abends

Natürlich kam die Diskussion nicht ohne hohen Puls aus. Den gab es recht spät, weil vorher das Erzählen im Fokus stand. Was völlig okay war. Siems und Butterwegge sorgten für den erhöhten Herzschlag. Das taten sie respektvoll, auch wenn das "Lassen-Sie-mich-jetzt-mal-ausreden" mehrmals fiel. Siems zeigte harte Kante. Der Mieterschutz schütze die Menschen davor, ihre Wohnungen zu verlieren.

Butterwegge war sichtlich bewegt. Das Problem sei ein strukturelles. Wer zwei Monatsmieten nicht zahle, fliege oftmals raus. Vermieter fänden da Wege, so sein Credo. Siems geriet schnell in einen Verteidigungsmodus. Es ginge ihr nicht um Schuldzuweisungen. Der Staat tue aber viel. Ortrud Wohlwend von der Berliner Stadtmission sprang Butterwegge bei. Die Staatshilfe komme oft nicht an. Sie plädierte für "suchende Sozialarbeit", die die Menschen vor Ort persönlich berate.

Siems wollte lieber rechnen. In den letzten Jahren hätten immer kompliziertere Vorschriften zum Wohnungsbau das Bauen "dreimal so teuer gemacht". Daher sei es schwierig, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Diese Erkenntnis helfe etwa in Hamburg den 300.000 Menschen, die diesen Wohnraum suchten, nicht, wenn es nur 80.000 freie Sozialwohnungen gebe, rechnete Rakers gegen. Butterwegge legte noch einen drauf, prangerte den von Luxusgier und Investoren getriebenen Wohnungsmarkt an. Er forderte ein Grundrecht auf Wohnraum. Das gebe es, ätzte Siems zurück. Damit sei Unterbringung in Sammelunterkünften gemeint, so Seilwinder. Das habe nichts mit Wohnraum zu tun.

Was von der Sendung übrig bleibt

Eines gab es in der Sendung nicht: diesen Umschaltreflex, der einen manchmal packt, wenn die Talkthemen zu reißerisch, die Diskutanten zu polemisch oder die Runden einfach zu langweilig werden. Maischberger war richtig gut. Informativ, spannend und emotional. Dass die Moderatorin manche Frage ein wenig unsensibel formulierte ("Eine Alkoholsucht zu finanzieren, ist ja nicht ganz billig") – geschenkt.

Denn die Sendung tat eines: Sie half, das Thema Obdachlosigkeit zu entstigmatisieren. Sie zeigte, dass ein öffentlicher Diskurs über Armut, sozialen Abstieg und Wohnungsnot dringend angezeigt ist. Vielleicht bleibt als persönliche Erkenntnis für den einzelnen Zuschauer ja auch: Wenn einer demnächst in der S-Bahn bittend seine Hand aufhält, nicht verschämt zu Boden zu glotzen, sondern einen Euro reinzulegen.

Quellen:
- "Maischberger"-Sendung vom 24.1.2018, ARD

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