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Experte zur "Mitte-Studie": "Jeder kann zum Verschwörungstheoretiker werden"


Experte zur "Mitte-Studie"
"Jeder kann zum Verschwörungstheoretiker werden"

  • Lars Wienand
InterviewVon Lars Wienand

Aktualisiert am 25.04.2019Lesedauer: 8 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Verschworen: Aluhutträger werden Anhänger von Verschwörungstheorien auch genannt.Vergrößern des Bildes
Verschworen: Aluhutträger werden Anhänger von Verschwörungstheorien auch genannt. (Quelle: Imago)

Die Mondlandung ein Fake, hinter 9/11 stecken die USA: Laut einer aktuellen Umfrage glauben viele Menschen an Verschwörungstheorien. Christian Schiffer und Christian Alt haben darüber ein Buch geschrieben. Und wundern sich nicht über die Ergebnisse.

Politiker nur Marionetten, Medien gesteuert vom Staat, Studien zum Klimawandel gefälscht: Laut einer aktuellen Umfrage glauben viele Deutsche an Verschwörungstheorien. Christian Alt und Christian Schiffer haben sich lange mit dem Phänomen auseinandergesetzt. Die beiden Journalisten recherchierten dafür in einschlägigen Foren und Gruppen – und haben ein Buch darüber geschrieben. Für sie kommen die Ergebnisse der Friedrich-Ebert-Studie nicht überraschend, erklärt Christian Schiffer im Interview mit t-online.de.

Laut einer aktuellen Studie glauben 45,7 Prozent der Bevölkerung, dass es "geheime Organisationen (gibt), die großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben". Fast ein Drittel (32,7 Prozent) denkt, dass "Politiker … nur Marionetten anderer Mächte" seien. Etwa ein Viertel glaubt, dass "die Medien und die Politik" unter einer Decke stecken. Überraschen Sie diese Ergebnisse?

Christian Schiffer: Nein, eigentlich nicht. Wir haben in unseren Recherchen immer wieder festgestellt, dass solche Einstellungen sehr verbreitet sind. Und dann muss man ja auch sagen: So etwas wie einen wahren Kern gibt es ja auch hier.

Wie meinen Sie das?

Man nehme nur mal die Aserbaidschan-Affäre rund um die CDU-Politikerin Karin Strenz oder die Russland-Nähe einiger AfD-Politiker. Auch die Aktivitäten des Vereins "Atlantik Brücke" werden ja immer wieder thematisiert. Und keine Frage: Selbstverständlich gibt es auch Fälle, in denen auch Medien Interessenkonflikte nicht ausreichend transparent machen. Allerdings ist das Bild der Politiker als "Marionetten" eines, das schon sehr verschwörungsideologisch aufgeladen ist. Die Vorstellung, unsere Volksvertreter würden vor allem die Interessen anderer Mächte bedienen, erinnert an das Unwort des "Volksverräters". Dass ein so hoher Anteil der Bevölkerung solchen Vorstellungen anhängt, ist dann schon besorgniserregend.

Sind das klassische Verschwörungstheorien – oder ist das etwas anderes?

Der Begriff "Verschwörungstheorie" ist ja auch ein Stück weit fließend und wird sehr unterschiedlich definiert. Und manch einer lehnt den Begriff auch ganz ab und spricht lieber von "Verschwörungsmythen", weil eine "Theorie" ja falsifizierbar sein muss, was aber auf die wenigsten Verschwörungstheorien zutrifft. Generell erscheinen mir aber die gestellten Fragen schon als sinnvoll, um die generelle Zustimmung zu Verschwörungstheorien messen zu wollen. Wie gesagt: Das Bild von Politikern als Marionetten fremder Kräfte ist ziemlich typisch. Es ist ja auch kein Zufall, dass Xavier Naidoo 2017 einen seiner einschlägigen Songs "Marionetten" genannt hat.


Die Vermutungen über Politik und Medien, denen da zugestimmt wurde, sind ja sehr allgemein: Kann man denen durch Aufklärung begegnen oder sind sie so vage, dass dagegen jedes Argument verliert?

Ein Stück weit sicherlich. Es ist auch eine Frage der politischen Bildung, klar zu machen, dass es Interessenkonflikte gibt, dass Politiker und Medien Fehler machen, sich falsch verhalten, dass dahinter aber nicht zwingend eine große systematische Verschwörung stecken muss. Und natürlich müssen auch Medien und Politiker selbst dazu beitragen, solche Eindrücke zu zerstreuen.

Verschwörungstheorien
Christian Schiffer und Christian Alt sind Autoren des Buches "Angela Merkel ist Hitlers Tochter. Im Land der Verschwörungstheorien" (Hanser Verlag, 288 Seiten, 18 Euro)

Der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zufolge glauben Männer häufiger an Verschwörungen als Frauen. Menschen mit hoher Bildung glauben seltener an Verschwörungen. Das Alter, oder ob jemand aus dem Osten oder dem Westen Deutschlands kommt, spielen keine Rolle. Wie deuten Sie diese Ergebnisse?

Das bestätigt im Kern das Bild aus anderen Untersuchungen. Nur soll man nicht glauben, dass Verschwörungstheorien ein Spleen nur von ungebildeten Männern wären. Jeder kann zum Verschwörungstheoretiker werden.

Bereits vor den Ergebnissen der aktuellen Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung haben die beiden Journalisten t-online.de erklärt, welche Verschwörungstheorien ihnen bei der Recherche begegnet sind – und welchen grundlegenden Sinn eine verzerrte Wahrnehmung der Realität für Menschen hat. Hier lesen Sie die Antworten auf die damals gestellten Fragen.

Wie kommt man auf die Idee, ein Buch über Verschwörungstheorien zu schreiben?

Christian Schiffer: Vor dem Buch haben wir schon ein Hörfunkfeature zum Thema gemacht. Anlass waren zwei Beobachtungen. Erstens: Wir hatten das Gefühl, dass Verschwörungstheorien ihre Unschuld verloren haben, wobei man natürlich fragen kann, ob sie jemals harmlos waren. Wir beide sind mehr oder weniger Kinder der 90er, damals hatte der Umgang mit Verschwörungstheorien etwas Spielerisches, man hat halt wild herumspekuliert, was an der Area 51 wohl genau passiert. Nun sitzt mit Donald Trump ein Verschwörungstheoretiker im Weißen Haus, der Erfolg mit der Erzählung hatte, dass Barack Obama kein Amerikaner sei. Zweitens waren die Verschwörungstheorien ganz nah an uns herangerückt, plötzlich waren Chemtrails oder die 9/11-Verschwörung Themen auf Hochzeitsfeiern oder in der Fußballmannschaft.

Christian Alt: Vielleicht kommt noch etwas Drittes dazu: Wir wollten endlich mal ein populäres Buch zu dem Thema schreiben, das unterhaltsam, aber trotzdem informativ ist und sich genauso spannend liest wie die Verschwörungstheorien.

Dürfen Sie sagen, wer Sie in Wahrheit beauftragt hat?

Schiffer: Na ja, um mal die ironische Frage aufzugreifen: Eine Gruppe aus Bilderbergern, NWO und Zionisten natürlich … Aber konkreter können wir leider wirklich nicht werden.

Alt: Reptiloide nicht zu vergessen, menschenähnliche Reptilienwesen …

Schiffer: Aber im Ernst: Viele Verschwörungstheoretiker stellen ja gerne die Frage "Cui bono?" – "Wer profitiert". Sascha Lobo hat dieses "Cui Bono" mal als "Arschgeweih" jeder Verschwörungstheorie beschrieben. Leider fragen sich viele Verschwörungstheoretiker nie, wer sich eigentlich mit solchen Theorien eine goldene Nase verdient.

Streng genommen handelt es sich auch nicht um Theorien, sondern um Ideologien. Theorien kann man widerlegen, und das geht bei vielen Verschwörungsideologen gar nicht. Die meisten von ihnen begegnen der Welt mit einer radikalen Skepsis, stellen alles infrage, was Politiker, Experten oder Wissenschaftler sagen, außer natürlich, es geht um die eigenen Theorien, da ist es mit der Skepsis dann ganz schnell vorbei.

Da wird das Buch dann auch nicht als Leitfaden zum Ausstieg taugen ...

Alt: So etwas wie einen Leitfaden kann es gar nicht geben, weil das oft Ideologien sind, die sehr stark sind – fast wie eine Religion. Es ist kein Zufall, dass es vor allem die Sektenberatungsstellen sind, die noch am ehesten in der Lage sind, Angehörige zu beraten, wenn ein Familienmitglied in die Verschwörungswelt abgleitet.

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Der Leser kann also nichts tun?

Schiffer: Doch, natürlich. Wir erklären die Psychologie hinter dem Verschwörungsglauben. Ein wichtiges Element sind sogenannte "Selbstwirksamkeitsstörungen", sprich: Dass ein Mensch das Gefühl hat, keinen Einfluss mehr zu haben über sein Leben. Da kann man dann schon mal das Gefühl bekommen, alles hätte sich gegen einen verschworen. Bezugspersonen können dabei helfen, dass solche Menschen das Gefühl der Selbstwirksamkeit zurückerlangen.

Alt: Und natürlich können wir auch als Gesellschaft eine Menge tun. Warum ist die Wissenschaftskommunikation oft so fad? Und ist es wirklich eine gute Idee gewesen, dass der Staat sich aus vielen Bereichen zurückgezogen hat? Wenn es um Reichsbürger geht, wäre es bestimmt nicht schlecht, wenn man auf Ämtern öfter mal mit einem Menschen sprechen könnte und dieser Mensch auch Zeit hat.

Sind Verschwörungstheorien ein Fehler der Evolution oder erfüllen sie irgendeine Funktion für den Menschen?

Schiffer: Sie helfen uns dabei, bestimmte Ereignisse zu rationalisieren. 9/11 hat zum Beispiel die Welt verändert. Aber kann es wirklich sein, dass die Verantwortlichen fanatisierte Irre mit Teppichmessern waren? Oder Beispiel Lady Di: Kann es wirklich sein, dass die meist fotografierte Frau ums Leben kommt, weil ihr Chauffeur zu viel getrunken hat? Unbewusst meinen wir, dass große Ereignisse eine große Erklärung brauchen. Aber in der Realität spielen eben oft auch der Zufall oder Inkompetenz oder andere Banalitäten eine Rolle.

Alt: Dass unser Hirn eine große Erklärung für große Ereignisse will, zeigt auch ein anderes Beispiel schön. 1981 gab es einen Attentatsversuch auf Ronald Reagan. Reagan entkam mit viel Glück, der Einzeltäter wurde schnell gefasst, der Fall schnell abgeschlossen. Verschwörungstheorien gab es keine. Bei JFK, also dem geglückten Anschlag, soll aber plötzlich jeder mit jedem unter der Decke stecken. Die Russen mit dem CIA und dem FBI. Das Phänomen hat die Psychologie "Proportionality Bias" genannt. Wir suchen Theorien, die zur Größe des Unglücks passen.

Und das gilt dann für uns alle – oder kann man auch völlig immun sein?

Alt: Wir alle haben einen kleinen Sensor in unserem Kopf, der uns sagt: Moment mal, hier ist gerade irgendwas komisch. Und das ist ja auch nichts Schlechtes. Es gibt ja echt Verschwörungen, jeden Tag. Und kritisches Denken ist eine der Grundlagen unserer modernen Wissensgesellschaft. Aber es darf halt nicht abdriften in Ideologie-Silos. Kritisches Denken ist keine Einbahnstraße. Wir wollen mit unserem Buch eigentlich vor allem eines erreichen: Dass die, die an Verschwörungstheorien glauben, auch ihren eigenen Theorien gegenüber skeptisch sind.

Liebe Leserinnen und Leser,
sind Sie der Meinung, dass Politiker und andere Führungspersönlichkeiten nur Marionetten anderer Mächte sind? Glauben Sie, dass geheime Organisationen großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben und Politik und Medien unter einer Decke stecken?
Wieso haben Sie diesen Eindruck, ganz konkret? Wenn Sie zweifeln, welche Fragen haben Sie? Schreiben Sie uns an leseraufruf@t-online.de.
Wir würden gerne mit einigen von Ihnen ins Gespräch kommen.

Leben wir in Zeiten, in denen Verschwörungstheorien Konjunktur haben?

Alt: Es gab schon immer Verschwörungstheorien. Was wir gerade aber schon erleben, dass der Austausch einfacher geworden ist für Menschen, die an Verschwörungen glauben. Früher hätte ich über viele Umwege ein obskures Buch aus den USA bestellen müssen, wenn ich mehr über Chemtrails, Reptilienmenschen oder die Flache Erde erfahren wollte. Heute geht das mit dem Eintritt in entsprechende Facebook-Gruppen sehr schnell.

Schiffer: Was sich vielleicht ändert sind die Arten der Verschwörungstheorien: Heute kursieren viele Verschwörungstheorien, die einen persönlich betreffen. Die Frage, ob an Aliens in der Area 51 herumgeschnipselt wird, die hat uns in den 90ern nicht unmittelbar betroffen. Aber Chemtrails oder die sogenannte "Impflüge", die betreffen einen persönlich. Und: Wer ihnen anhängt, kann dann auch etwas tun. Wer an Chemtrails glaubt, der bestellt sich im Netz die "Akasha Säule", einen "Chembuster" für schlappe 4.000 Euro. Es kann aber auch gefährlich werden, etwa wenn Chemtrail-Gläubige meinen, die Piloten mit Laserpointern blenden zu müssen oder Impfgegner ihre Kinder nicht mehr impfen.

Da sind wir bei den Gefahren.

Alt: Klar sind sie gefährlich. In Guatemala sind gerade zum ersten Mal seit 20 Jahren die Masern wieder ausgebrochen. Weil Impfgegner in Berlin ihre Kinder nicht mehr impfen lassen wollen. Nur ein Beispiel.

Schiffer: Oder die Reichsbürger. Hier hat der Staat lange geschlafen und nicht mitbekommen, dass Leute Waffen horten, die daran glauben, dass die BRD gar nicht existiert. Das ist ein echtes Problem. Wir waren ja viel in Verschwörungsforen und -gruppen unterwegs. Da kann man – gerade bei den Reichsbürgern – eine schleichende Radikalisierung beobachten. Oft sind Verschwörungstheorien auch ein Art Appetithäppchen auf dem Weg in die weitere Radikalisierung. Es fängt oft recht harmlos an mit YouTube-Videos zum 9/11 und steigert sich dann irgendwann ins Wahnhafte.

Area 51 habt Ihr schon genannt. Welche Verschwörungstheorien mögt Ihr?

Alt: Ich muss immer lachen bei der Theorie, dass unterhalb des Flughafens von Denver die Zentrale der geheimen Weltregierung sein soll. Können die Leser ja mal herausfinden, wenn sie das nächste Mal in Denver sind – einfach mal in den Keller gehen.

Schiffer: Als Münchner hätte ich gerne mal geklärt, wie das mit dem Tod von König Ludwig II. wirklich war. Zwei Leute, die sich im flachen Wasser des Starnberger Sees selbst ertränken? Ich weiß ja nicht ...

Verwendete Quellen
  • Jeweils schriftliche Interviews, im Dezember 2018 und im April 2019
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