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Shitstorm-Opfer Ansgar Mayer: "Es gab Morddrohungen gegen mich"


Debatte nach Kretzschmar-Äußerungen
Shitstorm-Opfer: "Es gab Morddrohungen gegen mich"

Interviewvon Helena Serbent

15.01.2019Lesedauer: 5 Min.
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Ansgar Mayer: Weil er sich im Amt für Flüchtlinge engagierte, war er politisch-konservativen Kreisen ein Dorn im Auge.Vergrößern des Bildes
Ansgar Mayer: Weil er sich im Amt für Flüchtlinge engagierte, war er politisch-konservativen Kreisen ein Dorn im Auge. (Quelle: Bettina Volke)

Nachdem Ansgar Mayer seine politische Meinung auf Twitter äußerte, platzten zwei Jobangebote. Im Interview mit t-online.de erzählt er von weiteren Konsequenzen.

Ansgar Mayer weiß, wie es ist, einen Shitstorm zu erleben. Auf Twitter äußerte sich der Journalist und Medienexperte immer wieder eindeutig zu gesellschaftlichen Themen, mal sarkastisch, mal sachlich und professionell. Auch mit AfD-Kritik hält sich Mayer nicht zurück. Beispielweise postet er im März 2016:

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Das Feedback dazu hielt sich lange Zeit in Grenzen. Doch 2017 twitterte der damalige Mediendirektor des Erzbistums Köln sarkastisch zum Wahlerfolg der AfD in Sachsen. Daraufhin eskalierten die Ereignisse. Mayer trat von seinem Amt zurück, später platzen zwei konkrete Jobangebote. Im Interview mit t-online.de erzählt Mayer von Beleidigungen, Morddrohungen und warum er auf Stefan Kretzschmars Seite ist.

t-online.de: Herr Mayer, am 24. September 2017 wurde die AfD bei der Bundestagswahl stärkste Kraft in Sachsen. Daraufhin haben Sie in der Wahlnacht getwittert: "Tschechien, wie wär’s: Wir nehmen Euren Atommüll, Ihr nehmt Sachsen?" Warum haben Sie das geschrieben?

Ansgar Mayer: Die Vorgeschichte dazu kennen nur katholische Insider. In den zwei Jahren, in denen ich Mediendirektor in Köln unter Kardinal Rainer Woelki war, habe ich mich auch in der Flüchtlingspolitik engagiert. Leider gibt es auch im katholischen Spektrum eine sehr konservative Szene. Ich mache niemanden einen Vorwurf, seinen Glauben konservativ auszuleben.

Ich meine in diesem Fall politisch-konservative Kreise, die sich sehr daran gestört haben, dass sich ein Erzbischof für Flüchtlinge engagiert. Über mich wollten sie dann einen Stellvertreterkrieg führen und in der Wahlnacht vom 24. September 2017 habe ich dann selbst unbedacht eine offene Flanke geboten. Da hat ein gut organisierter Vertreter der katholischen Rechten meinen Tweet retweetet und dazu geschrieben: "Nur für Dokumentationszwecke". Da ahnte ich: Jetzt könnte was passieren.

Und was ist passiert?

In den nächsten Tagen gab es von dem freien katholischen Netzwerk kath.net eine Shitstorm-Aktion gegen mich auf allen Kanälen, mit einem sehr schlauen Narrativ. Ich hatte in meinem Tweet bewusst auf meinem privaten Kanal von "Sachsen", also dem Bundesland, geschrieben. Was hinein interpretiert wurde, war ein Wort: "Die". Das machte "die Sachsen" daraus. Es sah so aus, als hätte ich Menschen mit Atommüll gleichgesetzt.

kath.net ist ein Internetforum für katholische Nachrichten aus Österreich. Träger ist der Verein kath.net, das Forum ist kein offizielles Portal der römisch-katholischen Kirche. Die Artikel vertreten einen erzkonservativen theologischen und gesellschaftlichen Standpunkt.

Welche Reaktionen gab es?

Man hat dazu aufgerufen, mich aus meinem Job zu entlassen. Es gab Mails, es gab Anzeigen gegen mich, alle mit dem Vorwurf: Wie kann es sein, dass ein Vertreter des Erzbischofs Menschen angreift und mit Müll gleichsetzt? Dann hat sich die Boulevardpresse in Sachsen darauf gestürzt, denen folgte die AfD. Aus meiner Sicht kam es zum Schulterschluss zwischen konservativen Katholiken und der AfD. Die AfD in Dresden zeigte mich wegen Volksverhetzung an. Das ist bis zur Titelseite der "Bild"-Zeitung hochgekocht worden. Mir wurde klar, dass wir das nicht einfach aussitzen können.

Sie haben sich dann für Ihren Tweet entschuldigt. Hat Ihr Arbeitgeber das von Ihnen verlangt?

Nein, das war meine persönliche Entscheidung. Ich hatte ursprünglich auch gedacht: Das ist meine Äußerung auf meinem privaten Kanal, da hat mein Arbeitgeber eigentlich nichts mit zu tun. Das aber war sicherlich ein Denkfehler, denn die Leute unterschieden nicht zwischen privater und öffentlicher Meinung auf Twitter. In der Profilbeschreibung stand, dass ich Mediendirektor des Bistums Köln bin und damit eine öffentliche Person.

Als Erstes habe ich eine kurze Stellungnahme auf Twitter veröffentlicht, um klarzustellen, dass ich niemanden beleidigen wollte, und habe darum gebeten, wieder darüber zu sprechen, was da in Sachsen Historisches passiert ist. Die AfD war stärkste politische Kraft und darauf sollte das Augenmerk gerichtet werden.

Für mich schien das Thema beendet, aber die eigentliche Welle kam erst danach. Es gab Morddrohungen gegen mich und öffentliche Beschimpfungen. Ich war auf einer Stufe angekommen, auf der ich mit sachlichen Argumenten und Richtigstellungen nicht mehr weiterkam.

Im Winter 2017 sind Sie dann zurückgetreten. War der Shitstorm der Grund dafür?

Jein. Ich habe dem Kardinal meinen Rückzug wegen des Tweets zweimal angeboten. Er hat abgelehnt. Ich hatte seine volle Rückendeckung. Bei meinem Rücktritt spielte vor allem mein Familienleben eine Rolle, ich hatte eine kleine Tochter in Hamburg. Zum Zeitpunkt meines Rücktritts hatte ich wichtige Strukturprojekte zu Ende gebracht und konnte guten Gewissens gehen. Aber klar ist auch: Bei jeder künftigen flüchtlingspolitischen Äußerung von Kardinal Woelki hätten kath.net und Co. künftig diesen Shitstorm wiederbelebt, insofern war mein Rückzug auch dienlich.

Sind Sie noch auf Twitter aktiv?

Meinen Account gibt es noch, aber ich twittere nicht mehr regelmäßig. Ich habe an dem Abend, kurz bevor ich den berüchtigten Tweet absetzte, noch zu einer Bekannten gesagt: "Das ist nicht mein Medium." Wie sehr das stimmt, habe ich kurz darauf erfahren.

Welche Konsequenzen hatte Ihr Tweet auf lange Sicht?

Es gab Momente, als die Morddrohungen kamen, da wollte ich erst mal aus Köln weg und bei meiner Familie sein. Leute haben mir aber auch konkret geschrieben: "Ich wünsche dir, dass du nie wieder einen Fuß auf den Boden bekommst." In der Zeit danach sind auch zwei konkrete Jobangebote geplatzt. Potenzielle Arbeitgeber haben deutlich gemacht, dass sie meine damalige klare Positionierung nicht mittragen können.

Ich kann es komplett nachvollziehen. Er hat ja auch gesagt, dass er mit sich gehadert hat. Ich halte es trotzdem für den falschen Schritt, sich von einer Plattform zurückzuziehen, die nun mal da ist. Jetzt finden die Gespräche ohne ihn statt. Ich glaube, man kann sich selbst reflektieren, ohne einen Schlussstrich zu ziehen. Ich habe mich auch als Mediendirektor in der Kirche dafür eingesetzt, dass diese Plattformen genutzt werden. Gesprochen wird über einen, so oder so.


Stefan Kretzschmar hat im t-online.de-Interview gesagt, in Deutschland herrsche keine Meinungsfreiheit im eigentlichen Sinne. Sportler äußerten sich heute nicht mehr kritisch, weil sie mit Repressalien von Arbeitgebern oder Werbepartnern rechnen müssten. Was halten Sie davon?

Es fällt mir ein bisschen schwer, mich objektiv zu äußern, da ich kein großer Fan von ihm bin. Aber so, wie sich die Geschichte jetzt entwickelt hat, kann man sich nur auf Kretzschmars Seite stellen. Es ist ein bisschen irre, wer da alles versucht, ihn zu instrumentalisieren und zu einer rechten Galionsfigur zu machen. Spannend, dass ausgerechnet diejenigen, die am Fundament unserer Gesellschaft graben, die Meinungsfreiheit hochhalten wollen. Das finde ich unangenehm. Im Fall von Kretzschmar sehe ich nur, wie ihm Worte im Mund verdreht wurden und er durch das Dorf getrieben wird. Umso schöner ist es zu sehen, dass ihm auch Leute zur Seite stehen und die Dinge richtigstellen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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