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Russisches Vakzin: Sputnik V ist Putins schmerzhafter Stich für Deutschland


Russisches Vakzin
Sputnik V: Putins schmerzhafter Stich für Deutschland

MeinungVon Wladimir Kaminer

Aktualisiert am 18.04.2021Lesedauer: 4 Min.
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Wladimir Putin, Sputnik und die Sterne der EU: Das russsische Vakzin sorgt für Ärger im Westen, so Wladimir Kaminer bei t-online.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin, Sputnik und die Sterne der EU: Das russische Vakzin sorgt für Ärger im Westen, so Wladimir Kaminer bei t-online. (Quelle: Xinhua/ZUMA Wire/Alexander Limbach/imago-images-bilder)

Bevor in der EU überhaupt gegen Corona geimpft wurde, hatte Russland längst mit Sputnik V für Aufsehen gesorgt. Dabei entfaltet Wladimir Putins Vakzin seine Wirkung vor allem politisch, sagt Wladimir Kaminer.

Demokratie gilt als fortschrittlich und modern, ein politisches System, das uns aus der Finsternis der Archaik befreien und in eine gerechtere Zukunft führen kann. Mehr Demokratie wird mit mehr Freiheit gleichgesetzt. Dabei sind die gewählten Politiker gewissermaßen viel unfreier in ihrem Handeln als die Autokraten und Diktatoren.

Der Gewählte muss in seinen Entscheidungen die Interessen seiner Wähler berücksichtigen, das Anliegen seiner Partei und sogar die Interessen der Opposition, die nur darauf wartet, dass der Gewählte auf dem Glatteis der unzähligen Kompromisse ausrutscht, um ihn sofort aus dem Amt zu jagen.

Der Spielplatz der Autokraten

Ein Autokrat dagegen hat nur ein Ziel, er muss um jeden Preis seine Machtposition stärken. Innerhalb des Landes kann er diese Aufgaben leicht bewältigen, die Verfassung anpassen, die Andersdenkenden einsperren. Es bleiben nur die kritischen Stimmen aus dem Ausland, die zwar nichts im Wesentlichen gegen den Autokraten ausrichten können, aber ihm trotzdem die Laune verderben. Es ist unangenehm, ständig von den demokratisch gewählten Kollegen getadelt und an der Nase gezogen zu werden.

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit rund 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Büchern gehört "Russendisko". Kürzlich erschien sein neuestes Buch "Der verlorene Sommer. Deutschland raucht auf dem Balkon".

Auf dem Gebiet der Außenpolitik hat der Autokrat auch einen Vorsprung den Demokraten gegenüber: Die Gewählten kommen und gehen, er bleibt. Außerdem sind demokratische Regime Weicheier in der Außenpolitik, sie sind zu sehr mit dem Wohlstand des eigenen Landes beschäftigt und nehmen die Welt draußen nur als notwendiges Übel wahr.

Ganz anderes ist es bei dem Autokraten. Für ihn ist die Außenpolitik sein Lieblingsspielkasten. Sein außenpolitisches Ziel ist es, die demokratischen Regime zu schwächen, dadurch gewinnt er an Macht und Anerkennung. Es macht ihm großen Spaß die ausländischen Demokraten intelligent zu foppen. Er hat als Kind mit Judo angefangen, eine Kampfart, die darauf zielt, dass dein Gegner einen Fehler macht und am besten sich selbst verletzt. Sie ahnen es, die Rede ist von Wladimir Putin.

Der Impfstoff des Anstoßes

Es gibt im Fernen Osten viele solche Kampfarten, die mehr Aufmerksamkeit und Chuzpe als Muskelkraft verlangen. Es gibt sogar eine Kampfart, ich habe vergessen, wie sie heißt, die einem beibringt, ohne Waffen den Gegner zu töten, mit allem, was man gerade zur Hand hat. Es kann ein Blatt Papier, ein Taschentuch, eine Münze sein.

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Diese Taktik wird nun in der russischen Außenpolitik unter Putin verwendet. Als politisch wirksam erwies sich dabei die Zankapfelmethode. Man bietet den EU-Staaten etwas Wertvolles an, wohlwissend, dass jeder einzelne die Gabe nicht nehmen darf. Und wartet einfach, was passiert. So geschehen beim russischen Corona-Impfstoff.

Das wunderbare russische Vakzin ist nicht umsonst auf den Namen Sputnik V getauft worden. Es wurde erschaffen, um den Westen zu beeindrucken, deshalb suchte man nach einem russischen Wort, das auch im Ausland verstanden werden kann. Es gibt nicht viele solche Worte: Matrjoschka, Balalaika, Pogrom. Es wäre keine gute Idee, den Impfstoff Matrjoschka zu nennen, zu niedlich, Pogrom klingt wiederum gefährlich und Balalaika verspricht auch keine schnelle Genesung.

Deswegen wurde der Impfstoff Sputnik V genannt, wie einst der kleine Satellit, mit dem die Sowjetunion die Amerikaner beim Rennen ins All düpiert hatte. Wie die Zankapfelmethode funktioniert, hat uns das Beispiel Slowakei gezeigt, das über Sputnik V in Streit geriet. Innerhalb kürzester Zeit stürzte das Land in eine Regierungskrise, die große Koalition zerbrach, Schlagzeilen gingen um die Welt, die immer merkwürdiger klangen: "Ein Impfstoff spaltet die Slowakei", "Slowakei immer tiefer in der Krise", "Nicht zugelassener Impfstoff sorgt für politische Turbulenzen".

Sputnik für Bayern

Behörden äußerten Zweifel an der Wirksamkeit des russischen Vakzins.
Angeblich habe die Slowakei Impfstoff erhalten, der in seiner Zusammensetzung und Wirkung nicht dem eigentlichen Vakzin Sputnik V entspricht.

Russland forderte seine Sputnik-Lieferung zurück. Dabei hat die russische Seite niemanden gedrängt, ihr etwas abzukaufen. Es war ein kleiner Wurf mit großer, nicht vorhersehbarer Wirkung. Es spielt überhaupt keine Rolle, wie wirksam der Impfstoff wirklich ist. Die Spritze wird der EU an der schmerzhaftesten Stelle gesetzt.

Die Union sollte doch geschlossen handeln, aber das Wohl der Menschen in jedem einzelnen Land hat oberste Priorität, die gewählten Politiker der europäischen Länder müssen mit Konsequenzen rechnen, wenn ein Impfstoff vorhanden war und sie ihn nicht rechtzeitig besorgt haben.

Österreich plant einen Alleingang beim Sputnik-Kauf, schreibt die österreichische Presse. Bayern hat einen Vorvertrag unterschrieben. Der bayerische Landesfürst Markus Söder hat große Ambitionen in der Bundespolitik. Mit dem Vorvertrag für Sputnik V kommt ein wenig Judo in den bundesdeutschen Wahlkampf. Der Autokrat Putin reibt sich die Hände.

Manchmal denke ich, wenn die Demokraten bloß so schlau, so couragiert und präzise handeln könnten, aber dann wären sie wahrscheinlich keine Demokraten mehr. Am Ende komme ich aber immer zu dem Schluss, dass die Demokratie die weisere Entscheidung ist. Und bloß kein Zank um Sputnik V.

Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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