Energiekosten Koalitionsbeschluss zur Stromsteuer sorgt für Ärger

Hat die neue Regierung ihr Wort gebrochen? Oder ist das Nein zur Stromsteuersenkung einfach nur ehrlich? Merz und Klingbeil sind nach dem Koalitionsgipfel in der Defensive.
Wirtschaft und Verbraucherverbände sind verärgert, die Opposition ist empört und die Regierung versucht zu beschwichtigen: Die Spitzen von Union und SPD müssen am Tag nach dem Koalitionsausschuss ihr Nein zu einer Stromsteuersenkung für alle gegen heftige Kritik aus allen Richtungen verteidigen. "Wir können nur das Geld ausgeben, das wir haben", sagte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). Wie auch sein Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) versprach er aber weitere Entlastungen, sobald die finanziellen Spielräume dafür da sind. CSU-Chef Markus Söder nannte dafür sogar schon ein Datum: Ziel sei es, die Steuersenkung für alle zum 1. Januar 2027 nachzuholen.
Hat die Koalition ihr Wort gebrochen?
Im Koalitionsvertrag hatte Schwarz-Rot versprochen: "Für schnelle Entlastungen um mindestens fünf Cent pro kWh (Kilowattstunde) werden wir in einem ersten Schritt die Stromsteuer für alle so schnell wie möglich auf das europäische Mindestmaß senken und die Übertragungsnetzentgelte reduzieren." Allerdings galt dafür ein Finanzierungsvorbehalt. Nun werden zunächst nur die Industrie sowie die Land- und Forstwirtschaft entlastet.
Die Regierung spricht davon, dass potenziell mehr als 600.000 Unternehmen profitieren. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer schätzt, dass nur maximal 15 Prozent der Betriebe von der Senkung der Stromsteuer profitieren.
Für die privaten Haushalte bleiben die bereits beschlossenen Entlastungen auf anderen Wegen: bei den Netzentgelten und der Gasspeicherumlage. Nach den Berechnungen der Bundesregierung summiert sich alles auf zehn Milliarden Euro.
Die Vorsitzende des Sozialverbands Deutschland (SoVD), Michaela Engelmeier, sprach trotzdem von einem "fatalen Signal" für die Bürger. "Gerade in Zeiten hoher Lebenshaltungskosten brauchen sie spürbare Entlastungen", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur.
Wirtschaftsverbände laufen Sturm
Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) warf der Koalition sogar einen Vertrauensbruch vor. "Die Stromsteuersenkung für alle Betriebe war nicht irgendwo angekündigt, sondern mehrfach und verbindlich schriftlich festgehalten - im Koalitionsvertrag, in Beschlüssen des vorherigen Koalitionsausschusses und im sogenannten Entlastungspaket der Bundesregierung", sagte Verbandspräsident Jörg Dittrich.
Im Koalitionsvertrag ist auch eine andere Klausel enthalten, die die Koalitionäre vom Vorwurf des Wortbruchs entlastet: der Finanzierungsvorbehalt. Der besagt, dass die Versprechen aus dem Koalitionsvertrag nur gelten, wenn das Geld dafür da ist. Darauf berufen sich jetzt auch Merz, Klingbeil und Co. Der Kanzler betonte, dass die Regierung ihre Arbeit "mit Ehrlichkeit" machen wolle. "Unsere öffentlichen Haushalte werden in den nächsten Jahren unter Druck geraten, sie werden viel häufiger von mir das Wort Konsolidierung hören."
Wie geht es jetzt weiter mit der Stromsteuersenkung?
Verschoben bedeutet nicht aufgehoben. Sobald Geld da ist, will die Regierung versuchen, die Stromsteuer doch noch für alle zu senken. Eine Senkung der Stromsteuer für alle würde nach Angaben des Bundesfinanzministeriums im kommenden Jahr rund 5,4 Milliarden Euro zusätzlich kosten.
Der Einzige, der für diese Senkung für alle ein Datum ins Auge fasste, war am Tag nach dem Koalitionsausschuss CSU-Chef Söder. Die Steuersenkung für alle solle nun "bis zum 1. 1. 27 dann fixiert werden mit finanziellen Spielräumen, die es noch zu erarbeiten gilt". Das Geld könne von der Reform des Bürgergelds "und auch für andere Sozialbereiche" kommen oder durch den "klaren Richtungswechsel bei der Migration".
Im Ergebnispapier taucht Söders Datum aber nicht auf. Der CSU-Chef zeigte sich trotzdem sicher, dass sein Plan realistisch ist. "Der Wille ist zu 100 Prozent da, und das Ergebnis ist sehr, sehr gut möglich."
Wer geht als Gewinner aus dem Koalitionsausschuss hervor?
Dass Söder nach dem Koalitionsausschuss guten Mutes war, dürfte auch daran liegen, dass er der einzige echte Gewinner der mehr als fünfstündigen Sitzung im Kanzleramt war - zusammen mit den Müttern der vor 1992 geborenen Kinder. Die Ausweitung der sogenannten Mütterrente auf sie - ein Lieblingsprojekt der CSU - soll nun ein Jahr früher als angenommen kommen: am 1. Januar 2027. "Sofern eine technische Umsetzung erst zu einem späteren Zeitpunkt möglich ist, wird die Mütterrente rückwirkend ausgezahlt", heißt es im Ergebnispapier von Union und SPD.
Die Rentenversicherung hatte den Mitgliedern des Gremiums zuletzt schriftlich mitgeteilt, dass eine Umsetzung wegen umfassender individueller Anspruchsprüfungen erst Anfang 2028 möglich sei. Bei der ausgeweiteten Mütterrente soll die anerkannte Kindererziehungszeit in der gesetzlichen Rentenversicherung künftig auch für vor 1992 geborene Kinder verlängert werden.
Was bedeutet das alles für den Koalitionsfrieden?
Die Stromsteuer hatte sich vor der Sitzung des Koalitionsausschusses zur ersten echten Nagelprobe für die schwarz-rote Koalition knapp zwei Monate nach ihrem Amtsantritt entwickelt. Merz hatte Druck aus den eigenen Reihen bekommen, die Stromsteuersenkung auf weitere Zahler auszuweiten. Die SPD reagierte sauer und warf der Union "Störfeuer" vor. Erinnerungen an die düsteren Ampel-Zeiten, die von Streit und Misstrauen geprägt waren, wurden wach.
Merz hat sich nun gegen die Kritiker des Kabinettsbeschlusses in der Union durchgesetzt. Alles bleibt beim Alten. Ob das den Zusammenhalt von Schwarz-Rot wirklich stärken kann, wird sich noch zeigen. Für den Kanzler war der Streit jedenfalls ein erstes Warnsignal. Denn genau das will er nicht: Streit, der alles überlagert.
Am Tag nach dem Koalitionsausschuss versuchte er daher bei einer Tagung der Volks- und Raiffeisenbanken, an der auch sein Finanzminister Klingbeil teilnahm, demonstrativ gute Stimmung zu verbreiten. "Anders als der eine oder andere denkt und schreibt und redet: Wir arbeiten in dieser Koalition wirklich gut zusammen", sagte er.
- Nachrichtenagentur dpa