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"Tatort: Zorn Gottes" im Check: Das sagt ein Ex-Salafist


Terror im "Tatort"
Ein Ex-Salafist erklärt die Denke der Täter

ckr, t-online.de

Aktualisiert am 21.03.2016Lesedauer: 5 Min.
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NDR-Tatort "Zorn Gottes": Terrorist Hakim (Kais Setti) schießt um sich.Vergrößern des Bildes
NDR-Tatort "Zorn Gottes": Terrorist Hakim (Kais Setti) schießt um sich. (Quelle: NDR)

Terroristische Syrien-Rückkehrer waren Thema beim gestrigen Tatort. Was war Fiktion, was war realistisch? t-online.de sprach mit dem Ex-Salafisten Dominic Musa Schmitz. Der Mönchengladbacher rutschte als 17-Jähriger in die Szene und stand dann jahrelang in engstem Kontakt mit Anführern wie dem Kölner Pierre Vogel und dem Mönchengladbacher Sven Lau. Vieles war gekünstelt, doch manches kam der Wahrheit erschütternd nahe, so Schmitz' Urteil.

Herr Schmitz, Sie gucken normalerweise nicht den "Tatort". Gestern haben Sie es uns zuliebe doch getan. Wie hat er Ihnen gefallen?

Im Großen und Ganzen fand ich ihn nicht so spannend - mit Ausnahme des letzten Drittels. Da war schon einiges realistisch.

Zum Beispiel?

Als Sie mir erzählten, dass es um Syrien-Rückkehrer geht, habe ich mir etwas anderes vorgestellt. Ich dachte, es geht vor allem um Jugendliche, Moscheen und innere Konflikte.

So, wie Sie es in Ihrer Zeit als Salafist erlebt haben?

Ja, so in etwa. Ich hatte weniger so eine Mafia-Geschichte erwartet, wo einer alles und jeden abknallt, der sich ihm in den Weg stellt.

Das fanden Sie daneben?

Ja, das einzige, was realistisch war, war der Attentatsplan selbst. Der Rest war halt Action.

Haben Sie sich oder ehemalige Bekannte "wiedererkannt"?

Es gab diese eine Szene, als der Rückkehrer im Keller gefesselt ist und der Entführer – ein ehemaliger Bekannter – ihn fragt, ob er eigentlich als Schüler eine gemeinsame Bekannte "geknackt" hat. Es stellt sich heraus, dass beide es nicht geschafft haben und beide müssen darüber lachen. Das ist dieser Moment, wo das Normale, Menschliche hervortritt. Diese Momente kenne ich gut.

Die haben Sie auch in Ihrem Buch geschildert: Man hat sich eigentlich von allem entfernt und plötzlich fühlt man sich dem alten Leben wieder nah – obwohl es im salafistischen Sinn "haram" ist, also verboten.

Definitiv. Diese Momente gab es immer wieder, wo man plötzlich zur Besinnung kam. Wo man Musik vermisst, Gespräche mit Frauen. Hinterher hat man es dann bereut und für eine Einflüsterung des Teufels gehalten.

Was war Ihnen denn alles verboten?

Die Frage wäre eher, was nicht verboten war. Verboten waren Musik, mit Frauen sprechen, sie ansehen oder gar berühren, Selbstbefriedigung, Fernsehen, ins Fitness-Studio gehen… Fernsehen an sich ist nicht haram, aber dafür wird's beim Inhalt kritisch, wenn Frauen oder Musik darin vorkommen. Das macht das Leben mega-schwer, denn in jedem Heuhaufen ist eine Nadel versteckt. Wenn man sie finden will, findet man sie.

Schaffen es die meisten, sich an diese mönchsartigen Regeln zu halten oder wird ständig dagegen verstoßen und jeder läuft dauerhaft mit einem schlechten Gewissen herum?

Wenn Salafisten ehrlich zu sich sind, müssen sie zugeben, dass es keiner schafft. Es mag individuelle Unterschiede geben. Es wird auch nicht verlangt, dass man perfekt ist. Man muss aber sein Möglichstes tun. Zum Trost kriegt man gesagt: Gott liebt es, wenn man sündigt, weil er die Vergebung liebt. Man muss natürlich bereuen. Aber jeder hat so seine Leichen im Keller. Bei manchen bleibt es nicht dabei, dass man eine Frau anschaut, sondern die werden dann aktiv und führen ein Doppelleben.

(Quelle: Imago / Metodi Popov)

Dominic Musa Schmitz geriet mit 17 unter den Einfluss von bekannten deutschen Salafisten wie Pierre Vogel und Sven Lau. Mehrere Jahre lang radikalisierte sich der Mönchengladbacher, fand jedoch am Ende den Ausstieg aus der Szene. Seine Erlebnisse schildert er in dem bewegenden Buch "Ich war Salafist", erschienen im Februar beim Econ-Verlag.

Sie waren ja in unmittelbarer Nähe von Anführern wie Pierre Vogel und Sven Lau. Ganz generell: Haben Sie solche "Übertritte" auch bei Führungsfiguren erlebt?

Ja, auf jeden Fall (lacht).

Sie selbst kannten auch Leute, die nach Syrien gegangen sind. Einige sind mutmaßlich mit Anschlagsplänen zurückgekommen. Wie entfernt man sich so weit von allem Vertrauten, dass man am Heimatort seiner Kindheit einen Massenmord begehen will?

Das ist die entscheidende Frage. Es ist ein sukzessiver Prozess. Bei manchen dauert er nur Monate, bei anderen Jahre. Es fängt damit an, dass man sich ganz normal seiner Religion widmet. Je weiter man sich darein vertieft, desto weiter kann man sich von seiner gewohnten Umgebung entfernen und in eine Parallelgesellschaft abrutschen. Man kappt sein altes Umfeld, ist nur noch mit "Brüdern" zusammen und erhält nur noch eine Art von Input.

Nämlich welchen?

Den "islamischen". Dann geht es weiter, in dem man den Westen und seine Werte ablehnt. Dann sieht man sich irgendwann in der Opferrolle: Alle wollen den Islam vernichten. Man sieht, wie Muslime weltweit leiden und dass die USA in einige Länder einmarschiert sind. Dann sieht man Videos aus dem Gaza-Streifen - aber halt immer nur von einer Seite: Die bösen Ungläubigen und die armen Muslime. Dann heißt es: Wie kannst du ruhig zu Hause sitzen, während deine Geschwister leiden.

So wie im "Tatort" gestern?

Genau. Und der Möchtegern-Terrorist wurde ja auch selbst ganz schnell in Frage gestellt, nur, weil er seinen Vater angerufen hat. Am Ende hat er dann doch gemenschelt und wollte gar nicht töten. Das fand ich super-realistisch.

Der Moment, in dem man merkt, dass man den Menschen, die einem nahe standen, doch nicht so fern ist…

Genau.

Das heißt, auch bei solchen Typen gibt es den Moment, wo man sie als Menschen erreichen kann?

Die Frage ist immer: Wie sehr verroht der Einzelne im Krieg? Das kann bei jedem unterschiedlich sein. Neulich ist einer vor dem IS geflüchtet, nachdem er zwei Jahre lang in Syrien war und Propaganda-Videos aufgenommen hat. Als ich neulich vor einer Schulklasse gesprochen habe, sagte der Rektor hinterher: "Ich habe heute gelernt: Man bleibt immer Mensch."

Manche offenbar auch weniger.

Ja, da fragt man sich, wie das kommen kann, dass man andere kaltblütig schlachtet, dass man sie nicht mehr als Menschen sieht. Es gibt einen Koranvers, der sinngemäß lautet: Die Ungläubigen sind schlimmer als das Vieh. Wenn man den wörtlich interpretiert, dann spricht man den Andersdenkenden die Daseins-Berechtigung ab und schlachtet sie auch mit dem Messer.

Sie sind heute ein toleranter Moslem, propagieren den Individualismus und erklären das auf Ihrer Video-Seite "Frag den Musa". Als Vorbilder nennen Sie Mahatma Gandhi und Martin Luther King. Gab es einen besonderen Moment, wo Ihr salafistisches Weltbild gekippt ist?

Es war ein langer Prozess. Es gab aber diesen Moment, wo ich mich gefragt habe: Wer bin ich eigentlich? Wo mir bewusst wurde, dass ich gar kein Individuum mehr bin, sondern jemand der 1400 Jahre alten Büchern folgt. Und dass der Salafismus mir das Denken und das Fühlen abgenommen hat. Das hat mir Angst gemacht, dass ich mich so krass habe manipulieren lassen.

Erhalten Sie viel positiven Zuspruch auf Ihre Videos?

Auf Seminaren mit toleranten Muslimen erlebe ich vor allem Zustimmung. Ich bekomme aber auch viele Beschimpfungen und Drohungen. Deshalb bin ich auch aus Mönchengladbach weggezogen. Jetzt in Köln-Mühlheim fühle ich mich wohl. Hier leben viele türkische Muslime, die mir sagen: Wir haben das noch nie so dogmatisch gesehen wie du, wir sprechen deutsch, wir waren immer ganz normal. Im Internet gibt es vor allem Shit-Storms. Viele abonnieren meinen Kanal nur, um unter alles den "Daumen runter" zu setzen und mich zu beleidigen.

Die Fragen stellte Christian Kreutzer

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