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Erdogan trifft Angela Merkel in Berlin: Es fröstelt im Kanzleramt


Erdogan trifft Merkel in Berlin
Es fröstelt im Kanzleramt

Von Patrick Diekmann und Florian Harms

Aktualisiert am 29.09.2018Lesedauer: 4 Min.
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Erdogan und Merkel in Berlin: Bei ihrer gemeinsamen Pressekonferenz zeigten sich der türkische Präsident und die Kanzlerin alles andere als einig.Vergrößern des Bildes
Erdogan und Merkel in Berlin: Bei ihrer gemeinsamen Pressekonferenz zeigten sich der türkische Präsident und die Kanzlerin alles andere als einig. (Quelle: Guido Bergmann/Reuters-bilder)

Einigkeit geht anders: Beim Staatsbesuch des türkischen Präsidenten spricht Kanzlerin Merkel von "tiefgreifenden Differenzen". Erdogan gibt sich kompromisslos, bleibt aber angesichts der Kritik blass. Für Aufregung auf der Pressekonferenz sorgt ein T-Shirt.

Versteinerte Mienen, ein kurzes Nicken: Keine Frage, hier stehen nicht Freunde, sondern bestenfalls Partner nebeneinander. Und sie stehen da nur, weil sie einander brauchen. Mögen tun sie sich nicht, wertschätzen wohl auch nicht. Die Anspannung ist auf der Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem türkischen Staatspräsidenten Recip Tayyip Erdogan am Freitagmittag schier mit Händen zu greifen.

Die beiden trennen Welten

Was den beiden dann über die Lippen kommt, macht erst recht die riesige Distanz zwischen den beiden Regierungschefs deutlich: Merkel betont klar und deutlich die Probleme, spricht von "tiefgreifenden Unterschieden" und "großen Differenzen". Erdogan gibt einige allbekannte Phrasen über globale Stabilität und die angeblich vollkommen unabhängige türkische Justiz von sich, mahnt aber auch eine vollständige Aufarbeitung des NSU-Terrors an. Der Eindruck verfestigt sich schnell: Die beiden trennen Welten.

Dabei soll Erdogans Besuch nach den schweren Konflikten der vergangenen Jahre doch einen Neuanfang in den deutsch-türkischen Beziehungen markieren, so haben sich das zumindest die diplomatischen Sherpas in Ankara und Berlin vorgestellt: lieber miteinander statt übereinander reden und so. Die von der Währungskrise gebeutelte Türkei braucht die deutsche Wirtschaft, und die deutsche Flüchtlingspolitik wäre ohne den Deal mit der Türkei gescheitert.

Merkel steht unter großem Druck

Kanzlerin Merkel steht deshalb an diesem Freitag in Berlin unter großem Druck: Wie soll sie den schwierigen Gast empfangen, während draußen auf den Straßen sowohl dessen Kritiker als auch seine Anhänger demonstrieren? Auf der einen Seite will sie die Wiederannäherung fördern - andererseits muss sie dem immer autoritärer herrschenden Erdogan klar machen, dass Deutschland Justizwillkür nicht akzeptieren kann. Bei Partnern nicht und bei Irgendwann-vielleicht-wieder-Freunden erst recht nicht.

Dieser Drahtseilakt gelingt Merkel, das wird bei der Pressekonferenz im Kanzleramt deutlich. Einerseits kontert sie die Kritik an dem Staatsbesuch, stellt Gemeinsamkeiten mit der Türkei und die Wichtigkeit der gemeinsamen Beziehungen heraus: "Wir haben Vieles, was uns eint." Und: "Wir können Differenzen nur in Gesprächen miteinander lösen."

Nein, das hier gefällt ihm nicht

Aber sie sind eben da, die "tiefgreifenden Differenzen", es gab sie "und es gibt sie bis heute". Die Kanzlerin nimmt kein Blatt vor den Mund, sie kritisiert die mangelnde Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit in der Türkei. Während sie spricht, steht Erdogan reglos neben ihr, starrt ins Leere oder blättert in seinem Redemanuskript. Nein, das hier gefällt ihm nicht.


Für Merkels Verhältnisse ist ihre Stellungnahme ein diplomatisch vorgetragener Showdown. Auch die aus politischen Gründen in der Türkei inhaftierten Deutschen spricht sie an, während der Mann, der als dafür verantwortlich gilt, neben ihr steht. Dabei wird eine Differenz besonders deutlich: Erdogan forderte in der Vergangenheit immer wieder, dass Deutschland sich aus den inneren Angelegenheiten der Türkei heraushalten solle. "Sie haben nicht das Recht, das türkische Justizsystem zu kritisieren", sagte er auch jetzt auf der Pressekonferenz.

Und was macht die Kanzlerin? Zeigt in wenigen Worten, dass dieses Argument hohl ist: Die Wichtigkeit der deutsch-türkischen Beziehungen, die Erdogan nun wiederbeleben möchte, sei eben gerade der Grund, warum alle Entwicklungen in der Türkei auch für Deutschland von großem Interesse seien. Alle bedeutet: auch die, über die Erdogan nicht diskutieren will.

Erdogan fordert Dündars Auslieferung

Also ist der Gast gezwungen, sich anders zu verteidigen. Also macht er ein neues Feld auf und kritisiert, dass Deutschland seiner Ansicht nach die PKK und die Gülen-"Terroristen" schütze. Dabei wollte er doch eigentlich am liebsten nur über Wirtschaft reden. Nun muss er sich zu inhaftierten Journalisten äußern – und zu dem nach Deutschland geflohenen türkischen Chefredakteur Can Dündar, dessen Auslieferung die Türkei fordert. "Das ist unser natürliches Recht", sagt Erdogan und bezeichnet Dündar als "Agent", der Staatsgeheimnisse öffentlich gemacht habe und dafür in der Türkei verurteilt worden sei. Merkel ist anderer Meinung: "Dass es eine Kontroverse im Fall des in der Türkei wegen Spionage gesuchten türkischen Journalisten Dündar gibt, das ist kein Geheimnis." Klar, deutlich.

Dieses kleine Wortgefecht, diese Differenzen zeigen, wie viel Deutschland und die Türkei gegenwärtig politisch trennt. Der Schmusekurs, den Erdogan kürzlich einschlug, funktioniert der wirklich? Fast wäre die Pressekonferenz sogar geplatzt, weil Dündar sich angemeldet und die türkische Seite deshalb mit Absage gedroht hatte. Der Journalist kommt dann doch nicht, die Pressekonferenz findet statt - aber Erdogan muss trotzdem Kritik von einem Medienvertreter einstecken: Ein türkischer Journalist, der seit mehr als 30 Jahren in Deutschland lebt, steht plötzlich auf und zeigt sein T-Shirt mit der Aufschrift "Gazetecilere Özgürlük - Freiheit für Journalisten in der Türkei".

Und was macht Erdogan? Schaut erst wie versteinert auf die Szene und ringt sich dann ein kurzes sarkastisches Lachen in Richtung der Kanzlerin ab. Und dann fragt ihn auch noch der Korrespondent der Deutschen Presse-Agentur, ob er sich eigentlich schon bei Merkel für seine Vergleiche bundesdeutscher Politiker mit den Nazis entschuldigt habe. Erdogan guckt, sagt irgendetwas anderes und ignoriert die Frage.

Spätestens da ist klar: Das hier ist nicht sein Tag. Und es wird noch lange dauern, bis eine Pressekonferenz der türkischen und deutschen Regierungschefs wieder einigermaßen entspannt ablaufen kann. Für eine Normalisierung der Beziehungen gibt es keinen Automatismus. Solange Erdogan bei seinem autoritären Kurs bleibt, bleiben auch die Probleme. Das hat die Kanzlerin am diesem Freitag sehr klar gemacht.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen und Recherchen
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