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Kolumne von Lamya Kaddor zum Terror in Neuseeland


Terror in Neuseeland
Von dieser Frau und ihrem Land kann Seehofer viel lernen

  • Lamya Kaddor
MeinungVon Lamya Kaddor

Aktualisiert am 22.03.2019Lesedauer: 5 Min.
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Die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern: Sie und ihre Regierung reagieren schnell und entschlossen auf den Anschlag.Vergrößern des Bildes
Die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern: Sie und ihre Regierung reagieren schnell und entschlossen auf den Anschlag. (Quelle: imago-images-bilder)

Neuseeland reagiert geschlossen solidarisch auf den rechtsextremen Anschlag von Christchurch. Der deutsche Bundesinnenminister sollte gut hinschauen, wie man sich im Angesicht des Terrors verhält.

So geht Empathie und uneingeschränkte Solidarität: Sie hält Reden und findet darin klare Worte. Sie geht unmittelbar und ohne Medienzirkus an den Ort des Geschehens, lässt sich danach mit einem islamischen Kopftuch fotografieren. Auch Tage später ist sie noch bei den Betroffenen. Sie weigert sich, den Namen des Attentäters auszusprechen, ruft stattdessen dazu auf, die Opfer zu benennen.

Haka für die Opfer

Doch Jacinda Ardern, Neuseelands Premierministerin, redet nicht nur, sie handelt und lässt handeln: binnen wenigen Tagen werden die Waffengesetze verschärft. Der Rest des Landes zieht mit: Der islamische Gebetsruf wurde heute live im Fernsehen übertragen, Bürgerinnen und Bürger bedeckten zum Zeichen der Verbundenheit mit der muslimischen Gemeinde ihr Haupt, Maori solidarisieren sich mit den Opfern des Terroranschlags auf die Moscheen in Christchurch, mit deren Angehörigen und Freunden, indem sie ihren berühmten Haka vortragen, ihren rituellen, furchteinflößenden Tanz.

Von Jacinda Ardern und den Neuseeländern lernen, heißt offenkundig Anstand und Respekt lernen, heißt gesellschaftlichen Zusammenhalt sichern und fördern. Deutschlands Politiker sollten sich ein Beispiel nehmen.

Wie kann Seehofer das beurteilen?

Doch was macht der Bundesinnenminister? Zuständig für Integration, Staat und Religion, Verfassung, innere Sicherheit. Horst Seehofer, der als erste Amtshandlung die Nicht-Zugehörigkeit des Islams zu Deutschland in der "Bild"-Zeitung betonte, lässt im Interview zu Christchurch wieder via "Bild"-Zeitung wissen, nein, in Deutschland herrsche keine islamfeindliche Stimmung.

Gewiss hat der CSU-Politiker recht mit der erläuternden Aussage, der Großteil der Menschen lebe friedlich miteinander. Auch kündigt er glaubhaft an, islamfeindlichen Straftaten entschieden entgegenzutreten. Aber wie kann er auf die Frage nach einem islamfeindlichen Klima überhaupt so klar antworten? Ist Seehofer Muslim oder anderweitig persönlich betroffen? Und wie kommt er fachlich auf ein Nein?

Zahlreiche Studien zeigen seit Jahren, wie islamfeindliche Haltungen zunehmend in Umlauf gekommen sind und bescheinigen teils deutlich höhere Werte als bei anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Mohammeds und Aisches werden nachweislich auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt benachteiligt, haben es in Schulen schwerer. Es gibt Parteien, die explizit islamfeindliche Haltungen vertreten. Eine davon sitzt inzwischen in allen Landtagen und stellt im Bundestag die Oppositionsführerschaft. Pegida, die die Islamfeindschaft schon im Namen trägt, brachte Zehntausende auf die Straße.

Bomben, Brandsätze, Beleidigungen

Ein ehemaliger Pegida-Aktivist wurde jüngst wegen eines Bombenanschlags auf eine Dresdner Moschee zu knapp zehn Jahren Haft verurteilt. Hunderte islamfeindliche Straftaten werden registriert: Schweineblutattacken auf Moscheen, Brandsätze, heruntergerissene Kopftücher, Beleidigungen etc. Wie hoch mag erst die Dunkelziffer sein? Mein Forschungsprojekt an der Uni Duisburg-Essen zeigt gerade, wie verbreitet islamfeindliche Narrative schon unter Jugendlichen sind.

Doch Seehofer, der oberste Fachpolitiker, redet die Islamfeindlichkeit klein wie seine Vorgänger. Warum? Erhofft er sich dadurch etwas? Klar ist, solche Äußerungen sind Öl ins Feuer derer, die die Islamfeindlichkeit per se leugnen.

Da wundert es nicht, wie teilweise über Christchurch gesprochen wird. Das Wort "islamfeindlich" geht immer noch vielen nur schwer über die Lippen beziehungsweise Tastaturen. Schon von Terroranschlag zu sprechen, fällt manchen nicht leicht, während der Begriff geradezu reflexhaft bei Verdächtigen benutzt wird, die aus einem Land stammen, mit dem man gemeinhin Muslime verbindet. Der rechtsextremistisch motivierte Anschlag aufs Olympia-Einkaufszentrum 2016 in München war für viele ein Amoklauf. In Bezug auf muslimische Täter ist der Begriff "Amoklauf" nahezu ungebräuchlich.

Die "Bild"-Zeitung zeigt das Konterfei des Christchurch-Attentäters im Großbild und veröffentlicht sogar Ausschnitte der Live-Übertragung des Anschlags, die der Täter auf Facebook gestreamt hatte. Für die Berliner "B.Z." sind die Opfer nachrangig. Sie macht am Tag danach eine "Rache für den Terror am Breitscheidplatz"-Schlagzeile und suggeriert damit, der Rechtsterror sei bloß eine Folge des Islamismus. Ein australischer Senator geht in zynischer Täter-Opfer-Umkehr sogar so weit, Muslime für die Tat selbst verantwortlich zu machen: Wären sie nicht da, hätte der Attentäter auch keinen Anlass gehabt.

Das andere Problem

Perspektivwechsel: Es gibt eine weitere Sicht auf Christchurch. "Die" Medien spielten den Anschlag herunter, schimpfen manche. Bei islamistischen Taten gebe es Sondersendungen, bei rechtsextremistischen nichts, schimpfen andere. Keine Politiker gehen Arm in Arm durch die Straßen wie nach den Anschlägen in Paris. Niemand widme seine Social-Media-Accounts zum Zeichen der Anteilnahme um.

Auch solche Äußerungen schießen bei Lichte betrachtet übers Ziel hinaus. In den USA liefen nach dem Anschlag auf die Synagoge in Pittsburgh 2018 ebenso wenig Politiker durch die Straßen. Sie taten es nicht 2004 in Madrid, nicht 2005 in London, nicht 2016 in Berlin oder bei anderen schweren Terroranschlägen. Es hat also nicht unbedingt mit mangelndem Mitgefühl für Muslime zu tun. Vielmehr äußerten sich von Regierungschefs bis hin zum Papst fast alle wichtigen Personen jenseits der muslimischen Welt mehr oder weniger eindeutig zu der Tat.

Die "Hamburger Morgenpost" druckte eine schwarze Titelseite und schrieb: "Der Massenmörder von Christchurch filmte sich bei seiner monströsen Tat, damit diese Bilder um die Welt gehen. Von uns bekommt er dafür keinen Platz", und bewies damit: Selbst im Boulevard-Journalismus geht es anders.

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Natürlich wartet man zu Recht auf Polit-Talkshows, die sich explizit der Gefahren des Rechtsterrors annehmen. Aber Christchurch ist dafür nicht zwingend. Die Stadt liegt mit 17.000 Kilometern maximal weit entfernt und das Kriterium der geografischen und sozio-kulturellen Nähe in den Medien lehrt, dass Anschläge in Nachbarländern, vor allem in einem derart gepeinigten Land wie Frankreich, stärker berücksichtigt werden. Medien im Orient, in Afrika, Südamerika handeln nicht anders.

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Terroropfer werden instrumentalisiert

Abgesehen davon gab es ein "ZDF spezial". Der Anschlag und seine Folgen werden seit einer Woche prominent von vielen Medien begleitet. Da ist eindeutig von Terroranschlag die Rede und man konnte sogar lesen, dass er islamfeindlich motiviert war. Es hat sich in den vergangenen zehn Jahren manches zum Positiven verändert. Bei aller Trauer, Wut und Sorge sollte auch das zur Kenntnis genommen werden, um glaubhaft zu bleiben.

Terrortaten und deren Opfer werden immer instrumentalisiert. Vom islamistischen Terror kennt man das. Christchurch zeigt nun, dass auch Muslime und andere versuchen, die Tat in ihrem Sinn zu nutzen. Bei manchen war die Erleichterung förmlich greifbar. Das würde zwar kaum jemand öffentlich zugeben, aber man nimmt es in persönlichen Gesprächen wahr: Endlich sind Muslime mal offiziell die Opfer. Diese Haltung ist angesichts der 50 Toten völlig inakzeptabel, moralisch verwerflich und letztlich kontraproduktiv, da Heischen nach Opferstatus nur Abneigung schürt.

Die Reaktion an sich ist indes allzu leicht erklärbar: Sie ist das Ergebnis jahrzehntelanger Hetze gegen den Islam und Pauschalurteilen über Muslime. Nach jedem islamistischen Terroranschlag folgte die Gretchenfrage an Muslime: Nun sag, wie hast du's mit dem Terror? Stichwort: Distanzierungsdruck. Andere fragten: Passen Islam und Demokratie zusammen? Sind Muslime integrierbar? Gehört der Islam, gehören die Muslime dazu?


Und damit sind wir wieder bei Jacinda Ardern und Horst Seehofer und den Lehren aus den Reaktionen auf Christchurch: Empathie muss authentisch und für alle Opfer gleich sein. Das fürchterliche Aufrechnen von Terrortaten, Opferzahlen, Reaktionen ist unmenschlich, unzivilisiert und unnütz. Gesellschaftlicher Zusammenhalt lässt sich nur durch vorbehaltsfreien und gleichsam engagierten Einsatz gegen alle Formen von Extremismus sichern und fördern.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin und Publizistin. Sie ist Gründungsvorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes (LIB e.V.). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr neues Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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