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Viel Geld, wenig Arbeit: Warum die meisten Politiker-Vorurteile nicht stimmen


Warum die meisten Vorurteile ΓΌber Politiker nicht stimmen

Ein Gastbeitrag von Horand Knaup und Peter Dausend

Aktualisiert am 04.10.2020Lesedauer: 5 Min.
Meinung
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Debatte im Bundestag: Meistens sind nur die Fachpolitiker anwesend.Vergrâßern des Bildes
Debatte im Bundestag: Meistens sind nur die Fachpolitiker anwesend. (Quelle: photothek/imago-images-bilder)

Sie verdienen zu viel und arbeiten zu wenig. Und vom richtigen Leben haben sie eh keine Ahnung. So lauten die Klischees ΓΌber Politiker. Doch wer genauer hinsieht, merkt rasch: Die RealitΓ€t sieht in der Regel anders aus.

Bundestagsabgeordnete reisen und fliegen für lau durchs Land, der Fahrdienst des Bundestages chauffiert sie zu den EmpfÀngen, HÀppchen hier, Weinchen dort. Sie verdienen viel, erfreuen sich üppiger Übergangsregelungen und einer opulenten Altersversorgung, sie werden hofiert und haben keine Ahnung vom Leben der Menschen, die sie wÀhlen.

Soweit das Klischee ΓΌber die Privilegien und FΓ€higkeiten unserer Volksvertreter.

Und dann sind da noch die Bilder aus dem Plenum. Ein entleerter Reichstag, ein paar Dutzend Abgeordnete verlieren sich auf den PlΓ€tzen. Arbeiten die dort oder gehen Abgeordnete in Berlin vor allem spazieren? Ist das der Stress, der unsere Parlamentarier mΓΌrbe macht?

Die ordentliche Entlohnung

Wenig davon stimmt. ZunΓ€chst zur Entlohnung: Das Gehalt – DiΓ€ten genannt und derzeit 10.083 Euro monatlich hoch – orientiert sich an den EinkΓΌnften eines Richters an einem Obersten Bundesgericht.

Aktuell hinken die DiÀten allerdings um etwa 950 Euro hinter dem Richtergehalt her, da die Abgeordneten mehrfach auf eine Erhâhung ihrer Bezüge verzichtet haben. Außerdem: DiÀten müssen ganz normal versteuert werden, auch der Soli wird fÀllig und gegebenenfalls Kirchensteuer und die Krankenversicherung müssen daraus bestritten werden.

Und dann fallen da noch die informellen Abgaben an die eigene Partei an, den Landesverband, den Unterbezirk, den Ortsverein, und das sind lΓ€ngst nicht alle Zahlungen. Hier eine Spende, dort ein SolidaritΓ€tsbeitrag – in der Regel summieren sich die Abgaben auf einen betrΓ€chtlichen vierstelligen Betrag pro Monat.

Dass Abgeordnete die Bahncard 100 erhalten und auch innerdeutsch kostenlos fliegen dΓΌrfen, stimmt. Aber diese Privilegien besitzt auch jede FΓΌhrungskraft eines mittelstΓ€ndischen Unternehmens.

Die Herausforderungen im Wahlkreis

Ja, im Wahlkreis geht es fΓΌr die Abgeordneten in der Regel weniger eng getaktet zu als in Berlin. Und ja, sie sind in der Regel die hofierten EhrengΓ€ste, sitzen in der ersten Reihe, erfahren eine besondere Begrüßung. Aber der Wahlkreis ist auch der Ort, an dem die Abgeordneten dem β€žwahren Lebenβ€œ begegnen, also jenen Menschen, die sie wΓ€hlen und sie mit ihren ganz alltΓ€glichen NΓΆten und Sorgen konfrontieren.

Das Klischeebild von der "Berliner Blase" klammert aus, dass die Abgeordneten neben ihrem Leben in der Hauptstadt ein zweites Leben fΓΌhren – das in ihrem Wahlkreis. Und da sind sie Nachbar und nahbar.

Aber die Herausforderungen sind auch zu Hause sehr spezielle. Vor allem die GrundaggressivitΓ€t allem Politischen gegenΓΌber hat zugenommen. "Die Leute brauchen ein Feindbild", klagt ein Abgeordneter. "FΓΌr die einen sind es die AuslΓ€nder, fΓΌr die anderen die Politiker oder ganz allgemein 'Die da oben'". Und nirgendwo sind sie vor Ansprache sicher, im Supermarkt, an der Ampel, an der Tankstelle.

"Du musst zuhâren, du musst interagieren kânnen", sagt der Marburger SPD-Mann Sâren Bartol, "auch wenn es gerade nicht passt". So geben viele von ihnen, wenn es zu heftig wird, inzwischen hart Kontra. "Ich lasse mir das nicht mehr gefallen", sagt die SPD-Abgeordnete Ute Vogt, "ich sage ihnen dann: Und ich bin nicht ihr Fußabtreter!"

Die brutale Γ–ffentlichkeit

NatΓΌrlich, der Abgeordnete braucht die Γ–ffentlichkeit. Ohne die Medien brΓ€chte er seine Botschaften nicht unter die Leute. Also sucht er den Kontakt. Aber Journalisten sind hΓ€ufig auch Transporteure des Unheils. Sie sind die Scharfrichter, die Fehler kritisieren, Meinungswechsel geißeln, Klientelpolitik verurteilen. Erst aus der Zeitung erfahren die Abgeordneten, was die eigenen Kollegen wirklich ΓΌber sie denken. Die permanente Γ–ffentlichkeit ist Elixier, trΓ€gt aber auch zum dauerhaft hohen Stresslevel der Akteure bei. Und zu ihrer VerhΓ€rtung.

Wenig bleibt unbeobachtet, kaum etwas unkommentiert, und die sozialen Medien tragen ihren Teil dazu bei. So wie bei Sascha Raabe aus Hanau, dem ein User im Netz vorwarf, er habe als AchtjΓ€hriger einen Ball gegen Raabes Auto geschossen. Raabe sei ausgestiegen und habe gerufen: "Du behinderter Spast, was fΓ€llt dir ein, den Ball gegen das Auto zu treten?"

Es stellte sich heraus, nichts an dem Vorwurf war wahr. Der User wollte einfach Klicks generieren. Mit einer komplett erfundenen Geschichte. Raabe: "Hauptsache, es gibt Klicks! Was gibt es Schlimmeres fΓΌr Politiker, als sich gegen solche VorwΓΌrfe wehren zu mΓΌssen? Zumal wenn sie frei erfunden sind."

"Es wird wenig gelobt, und man bekommt ganz viel Kritik ab", berichtet auch CDU/CSU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus. "Man muss die Menschen schon sehr lieb haben, um manches davon noch ertragen zu kΓΆnnen."

Der hohe Preis im Privatleben

Der Druck, die Konkurrenz, die Γ–ffentlichkeit hinterlassen Spuren. Im Privatleben, in der Psyche, im Auftreten der Abgeordneten. Nur wenige kΓΆnnen sich davon befreien. Es ist ein besonderer Beruf. "Ich habe mich in der Γ–ffentlichkeit immer anders bewegt, als ich eigentlich wollte", gesteht eine ehemalige Abgeordnete.

Und permanent ist da die Gefahr der Entfremdung. Von der Freundin, vom Ehemann, vom langjÀhrigen LebensgefÀhrten. "Du bist zwei Wochen am Stück in Berlin, kommst nach Hause und hast eigentlich nur ein Thema über das du reden willst", berichtet der fraktionslose Abgeordnete Marco Bülow. NÀmlich über Berlin. Gleichzeitig schwindet das Interesse an alten Freunden und die Energie, sich auf deren Lebenswelten einzulassen. Zeit sie zu treffen, ist ohnehin kaum noch vorhanden. "Du bist krÀftemÀßig auch gar nicht mehr dazu in der Lage", sagt Bülow.

Und das leere Plenum?

Debattiert wird in Sitzungswochen im Reichstag ohnehin nur zwischen Mittwochmittag und Freitagnachmittag. Beteiligt sind daran in der Regel nur die Abgeordneten der zustΓ€ndigen FachausschΓΌsse.

Und die anderen? Die nicht im Reichstag sitzen? Sie sitzen nicht in der Sonne, sondern erledigen Akten im BΓΌro, beantworten Anfragen, empfangen Besuchergruppen, lesen sich ein, geben Interviews, stimmen die Fraktionslinie ab oder folgen einer Einladung. Und das oft bis spΓ€t in den Abend.

Die Arbeitszeit von Abgeordneten liegt selten unter 60 Stunden pro Woche und betrΓ€gt fΓΌr stellvertretende Fraktionsvorsitzende oder StaatssekretΓ€re gerne auch mal 80 Stunden. Auch die AfD hat irgendwann bemerkt, dass viel Arbeit liegen bleibt, wenn ihre Leute allzu viel Zeit im Plenum verbringen.

Die MΓ€r vom gepolsterten Ausstieg

Wer aus dem Bundestag ausscheidet, freiwillig oder herausgewÀhlt, bekommt Übergangsgeld, für jedes Jahr Parlamentszugehârigkeit eine MonatsdiÀt. Für acht Jahre Bundestag also acht Monate Übergangsgeld.

Das reicht meist nicht lange. Als die Sozialdemokratin Lilo Friedrich 2005 nach zwei Legislaturperioden aus dem Bundestag flog, verdingte sie sich jahrelang als Putzfrau. SPD-FΓΌhrungsmann Carsten Schneider kennt viele, "die dann Schwierigkeiten hatten, einen Job zu finden".

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Überhaupt ist der Abschied vom Bundestag eine der grâßten Herausforderungen. "Einen Augenblick kam es mir so vor, als ob es mich nicht mehr geben würde", erzÀhlte Nina Hauer, SPD, als sie einst den Bundestag verlassen musste.

Noch einmal Carsten Schneider: "Das Schwierige ist die Γ–ffentlichkeit; du bist sie gewohnt, stehst immer im Mittelpunkt, bist wichtig und hast Aufmerksamkeit." Und dann plΓΆtzlich, von einem Tag auf den anderen, nicht mehr. Es entsteht eine Leere, mit der viele lange nicht zurechtkommen. Selbst die nicht, die sich aus eigenen StΓΌcken fΓΌr den Ausstieg entschieden haben.

Die in GastbeitrÀgen geÀußerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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