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Zum journalistischen Leitbild von t-online.SPD-Finanzminister Lars Klingbeil Plötzlich schlägt er ganz neue Töne an

In seiner ersten Regierungserklärung spricht Finanzminister Lars Klingbeil vor allem über Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftswachstum. Die Frage drängt sich auf: Wie sozialdemokratisch kann ein Finanzminister sein?
Lars Klingbeil ist jetzt ganz oben angekommen. Der Bundesfinanzminister und Vizekanzler, im Nebenjob SPD-Chef, hat in den vergangenen Monaten politisch fast alles erreicht, was möglich ist. Zwar muss er sich vorerst mit der Vizekanzlerschaft begnügen, aber die Vorbereitungen für 2029 laufen längst. Auch in der Öffentlichkeit steht er gut da: Seine Umfragewerte blühen auf, manch einer bewundert sein bonapartistisches Durchgreifen in der SPD.
Entsprechend gelassen, fast routiniert wirkt der neue Finanzminister bei seiner ersten Regierungserklärung im Deutschen Bundestag. Mit staatsmännischer Miene und Koalitionskrawatte (Klingbeil trägt seit den schwarz-roten Koalitionsverhandlungen Schlips) trägt er sein Regierungsprogramm vor.
Sein Schwerpunkt an diesem Donnerstag ist eher untypisch für ihn: Klingbeil geht es vor allem um die wirtschaftliche Lage im Land. "Wir wollen die wirtschaftliche Stärke unseres Landes wieder nach vorn bringen, die Wettbewerbsfähigkeit stärken. Deswegen ist das das Thema Nummer eins im Koalitionsvertrag." Die Wirtschaft, das Handwerk, der Mittelstand und die Industrie sollen gestärkt werden, neue Jobs entstehen, Wissenschaft und Forschung zu Fortschrittsmotoren werden. "Wir müssen unser Land wieder auf Wachstumskurs bringen", so Klingbeil.
Wachstum, Wachstum, Wachstum
Dass der SPD-Finanzminister plötzlich seine Liebe zur Wirtschaft entdeckt, ist kein Zufall. Denn die Regierungserklärung des Finanzministers am Donnerstag stand unter keinem guten Stern: Wenige Stunden später präsentierte Klingbeil die halbjährliche Steuerschätzung. Demnach nimmt der Bund bis zum Jahr 2029 rund 33 Milliarden Euro weniger ein, als man noch im Oktober dachte. Für Klingbeil erschwert das die Lage. Immerhin: Für 2025 rechnen die Steuerschätzer für den Bund "nur" mit 0,6 Milliarden Euro weniger Einnahmen als erwartet – für Klingbeil eine kleine Verschnaufpause (hier erfahren Sie mehr über die Steuerschätzung).
Klingbeils Rede setzt genau an diesem Punkt an – Aufschwung, bevor es zu spät ist. Er verwendet einen Gutteil seiner Rede darauf, auch den eigenen Abgeordneten ins Gewissen zu reden: Deutschland müsse international wettbewerbsfähiger werden, ein "sicherer Hafen für Investitionen". Dafür brauche es nicht nur staatliche, sondern auch private Investitionen.
Vor allem betont Klingbeil, was die Voraussetzung für die vielen geplanten Wohltaten der schwarz-roten Koalition ist: "Zuallererst gilt aber: Wir müssen unser Land wieder auf Wachstumskurs bringen." Wachstum, Wachstum, Wachstum – es könnte die Überschrift für Klingbeils Rede sein.
Sanfte Drohung an die Kabinettskollegen
Auch bei den Staatsfinanzen schlägt Klingbeil einen neuen Ton an: Der SPD-Chef spricht weniger darüber, was der Staat alles finanzieren solle, und mahnt stattdessen zur Ausgabendisziplin: "Wir werden nicht alles sofort angehen können", kündigt er an. Alle Ministerinnen und Minister seien in der Pflicht, "auch zu konsolidieren", jedes Projekt der Regierung stehe unter Finanzierungsvorbehalt. "Darauf werde ich als Bundesfinanzminister besonders achten."
Eine sanfte Drohung an die Kabinettskollegen, ihre Ausgabenwünsche kleinzuhalten. Klingbeil, der neue strenge Kassenwart der schwarz-roten Bundesregierung.
Er klingt schon fast wie einer seiner Vorgänger
Die zehn Minuten Antrittsrede sind für einen Sozialdemokraten ungewöhnlich, für einen sozialdemokratischen Finanzminister nicht so sehr. Klingbeil klingt fast schon wie sein Vorgänger Peer Steinbrück. Der frühere Finanzminister der SPD (2005 – 2009) betonte stets den Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und soliden Finanzen. "Es gibt keine nachhaltige Konsolidierung ohne Wachstum, aber es gibt auch kein nachhaltiges Wachstum ohne solide Staatsfinanzen. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben", sagte Steinbrück einst.
Doch auch bei den anderen Vorgängern Klingbeils mit SPD-Parteibuch, von Olaf Scholz bis Hans Eichel, findet sich derselbe fiskalpolitische Realismus, wenn auch mit unterschiedlichen Nuancen. Denn spätestens, wenn man das Chefbüro in der Berliner Wilhelmstraße 97 bezieht, wo das Finanzministerium seinen Sitz hat, muss auch ein Sozialdemokrat innerhalb finanzpolitischer Zwänge operieren.
Klingbeils Zwänge – und die längste Rezession der Geschichte
Dem Finanzminister Klingbeil bleibt also kaum etwas anderes übrig, als ausgabefreudigen Kollegen am Kabinettstisch schon mal seine Instrumente zu zeigen. Denn die wirtschaftliche Talfahrt in Deutschland geht ungebremst weiter. Schätzungen zufolge wird Deutschlands Wirtschaft in diesem Jahr das dritte Mal in Folge schrumpfen. Das wäre die längste Rezession in der Geschichte der Bundesrepublik.
Ein Finanzminister hat in einer Wirtschaftskrise allgemein wenig zu lachen: Er muss Ausgaben kürzen, Lieblingsprojekte streichen, Versprechen brechen. Anstatt Geld zu verteilen ("gestalten"), muss er streichen, sparen, den Eintreiber spielen. Statt zu ermöglichen, muss er verhindern. In Parteien wie der FDP mag das als Tugend gelten, in der SPD macht man sich damit eher Feinde.
Auch beim Zeitplan könnte Klingbeil noch in schwieriges Fahrwasser geraten: Bis Ende Juni will er den Haushaltsentwurf durch das Kabinett bringen, im September soll er vom Bundestag verabschiedet werden. Ein "ambitionierter Zeitplan", räumt Klingbeil am Donnerstag selbst ein.
Faxgeräte, die in den Ruhestand gehen
Doch der neue Finanzminister muss nicht nur konsolidieren. Dafür hat die SPD in den Koalitionsverhandlungen mit der Union gesorgt. Und so kann Klingbeil einen weiteren Schwerpunkt für seine Amtszeit definieren: "Ich möchte das Bundesfinanzministerium zu einem Investitionsministerium machen." Das 500 Milliarden Euro schwere Infrastruktur-Sondervermögen und die Herausnahme der Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse seien eine "gute Grundlage" dafür.
"Wir wollen, dass die Bagger rollen. Wir wollen, dass die Bahn pünktlich kommt. Wir wollen, dass die Faxgeräte in den Ruhestand geschickt werden, unnötige Formulare eingestampft werden. Wir wollen gemeinsam Fortschritt in unserem Land", beschreibt Klingbeil das Ziel des Infrastruktur-Topfes.
Klar sei aber auch: "Tempo zählt." Die entsprechenden Entwürfe, um die im März beschlossenen Grundgesetzänderungen umzusetzen, werden derzeit in seinem Haus erarbeitet. Sie sollen gemeinsam mit dem Haushalt 2025 "noch vor der Sommerpause" vorgelegt werden, kündigt er an. Klingbeil verspricht Transparenz beim Umgang mit dem historischen Schuldentopf: Er werde beobachten und kontrollieren, wie die Investitionen wirken. "Jeder Euro muss richtig ausgegeben werden."
Viele potenzielle Bruchstellen
So geschmeidig und stilsicher Klingbeil seine Regierungserklärung am Donnerstag auch vorträgt: In seinen ehrgeizigen Plänen stecken viele Unwägbarkeiten. Der unerfahrene Minister muss aufpassen, nicht zu viel zu versprechen – und dann nicht liefern zu können.
Schon beim Haushalt könnte es zu Problemen kommen. Denn ob der Finanzminister seinen Entwurf für ein Haushaltsgesetz tatsächlich schon im Juni präsentieren kann, hängt nicht nur von ihm ab. Die Regierung ist erst wenige Tage im Amt, einige Ministerien wurden neu zugeschnitten, andere komplett neu geschaffen. In manchen Häusern hätten die Zentralabteilungen noch gar keine Haushaltsanmeldungen gemacht, heißt es im Finanzministerium.
Erschwerend kommt hinzu: Regierung und Bundestag müssen nicht nur einen Haushalt für das laufende Jahr, sondern auch für 2026 aufstellen. Auch ist völlig unklar, wie eng und vertrauensvoll Union und SPD im Parlament zusammenarbeiten werden, wie sehr sie sich um einzelne Ausgabenposten zoffen und ob sie der Führung folgen werden. Die vermasselte Kanzlerwahl war kein Lehrstück in koalitionärer Disziplin.
Fünf Prozent für Verteidigung?
Beim Infrastruktur-Sondervermögen sind ebenfalls viele Fragen offen. In welche Bereiche sollen Investitionen fließen, was gilt überhaupt als Investition im Gegensatz zur rein konsumtiven Staatsausgabe? Und wie genau sieht eigentlich die geplante Reform der Schuldenbremse aus?
Als wäre das nicht alles schon genug, bereitet ausgerechnet sein Kabinettskollege Johann Wadephul Klingbeil noch zusätzliche Probleme. Der CDU-Politiker und Außenminister stellte sich am Donnerstag bei seinem Türkei-Besuch hinter die Forderung Trumps, künftig fünf Prozent der Wirtschaftsleistung für die Verteidigung auszugeben. Das wären rund 200 Milliarden Euro – pro Jahr. Zwar können Militärausgaben künftig aus der Schuldenbremse herausgerechnet werden. Doch stünde der Finanzminister in der Verantwortung, solch enorme Summen an Krediten aufzunehmen – und für ihre Rückzahlung inklusive Zinsen zu sorgen.
Klingbeils großes AfD-Bekämpfungsprogramm
Viel zu tun für den neuen Finanzminister, der bislang kaum etwas mit Finanzpolitik zu tun hatte. Um sich zumindest im Bundestag etwas mehr Rückendeckung zu verschaffen, erinnerte Klingbeil die Abgeordneten eindringlich daran, worum es in den nächsten vier Jahren geht: "Unser Land ist so großartig, dass ich es nicht denen überlassen möchte, die ihren politischen Erfolg auf Spaltung und auf Hass auf Gegeneinander aufbauen." Die demokratische Mitte im Parlament müsse zusammenarbeiten – "egal ob Regierung oder Opposition".
Klingbeil sieht seinen erhofften Erfolg als Finanzminister also auch als AfD-Bekämpfungsprogramm. Ob die Abgeordneten der linken und grünen Opposition das ähnlich sehen, muss sich noch zeigen.
- Regierungserklärung von Lars Klingbeil am 15. Mai 2025
- Eigene Recherchen