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HomePolitikChristoph Schwennicke: Einspruch!

Helfer der Bundeswehr in Afghanistan: "Schäbig. Einfach nur schäbig"


Bundeswehr-Helfer in Afghanistan
Schäbig. Einfach nur schäbig

MeinungEine Kolumne von Christoph Schwennicke

Aktualisiert am 26.07.2021Lesedauer: 4 Min.
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Bundeswehrsoldaten in Kunduz: Was hätte dagegen gesprochen, diese Menschen gleich mit auszufliegen?Vergrößern des Bildes
Bundeswehrsoldaten in Kunduz: Was hätte dagegen gesprochen, diese Menschen gleich mit auszufliegen? (Quelle: imago-images-bilder)

Die Bundeswehr ist aus Afghanistan abgezogen. Doch die Helfer vor Ort überlässt Deutschland ihrem Schicksal. Wir sollten uns schämen, dass wir weder ernsthaft über sie reden noch wirklich etwas für sie tun.

Alles begann mit einer Bücherwand. Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte sich vor ihr im Kanzleramt platziert und passend zum Anlass die Miene "Staatsmann, sehr ernst" aufgesetzt. In New York waren kurz zuvor die weltberühmten Zwillingstürme des World Trade Center zusammengesackt, nachdem vor den Augen der Weltöffentlichkeit dort zwei Flugzeuge wie Marschflugkörper eingeschlagen waren.

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Der deutsche Bundeskanzler versicherte den USA im September 2001 vor der Bücherwand und anderntags vor dem Bundestag die "uneingeschränkte Solidarität". Und alle, die ein wenig von Sicherheitspolitik verstanden, wussten sofort, was diese Chiffre bedeutete: Das ist der Bündnisfall nach Artikel 5 des Nato-Vertrages. Mit Schröders Satz begann der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, der größte, schwerste und opferreichste Auslandseinsatz der Bundeswehr seit ihrem Bestehen.

Beendet wurde der Einsatz weniger historisch, sondern eher heimlich, still und leise. Als die letzten Einsatzsoldaten auf dem Militärflughafen in Köln-Wahn landeten, wartete dort keine Kanzlerin und keine Verteidigungsministerin auf sie. Sinnbild dieses einsamen Augenblicks bleibt ein Fahnenträger, der den Fuß der schweren Flagge in die Halterung an seiner Hüfte stemmt, während er den Bauch des Militärtransporters über die breite Ladeluke verlässt.

Schäuble missfiel offenbar die Würdelosigkeit

Nur schwerer Protest verhinderte, dass der feierliche Akt zum Ende des 20-jährigen Einsatzes nicht bloß im historisch zwar bedeutenden, aber dennoch von der Öffentlichkeit abgeschiedenen Hinterhof des Bendlerblocks im Verteidigungsministerium abgehalten wird. Am 31. August soll es nun ein Gedenken am Ehrenmal der Bundeswehr geben, gefolgt von einem Appell im Bendlerblock, schließlich als Abschluss der große Zapfenstreich vor dem Reichstagsgebäude.

Treibende Kraft für diese Lösung: Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, dem die Würdelosigkeit des geplanten Vorgehens offenbar auch missfiel. Kanzlerin Angela Merkel hatte fürs Militärische und die deutschen Soldaten noch nie viel übrig, und so wird das bis zu ihrem Amtsende wohl auch bleiben.

Christoph Schwennicke ist Geschäftsführer der Verwertungsgesellschaft Corint Media. Er arbeitet seit mehr als 25 Jahren als politischer Journalist, unter anderem für die "Süddeutsche Zeitung" und den "Spiegel". Zuletzt war er Chefredakteur und Verleger des Politmagazins "Cicero".

Das allein ist schon peinlich und beschämend. Eine echte Schande aber ist es, wie die deutsche Regelung mit den Leuten umgeht, ohne die die Bundeswehr am Hindukusch aufgeschmissen gewesen wären. Die lokalen Ortskräfte. Übersetzer, Brückenbauer zwischen den Kulturen, Helfer, ohne die der Einsatz undenkbar gewesen wäre.

Sie sind zunächst einmal im Stich gelassen, ihrem Schicksal überlassen worden. Andere Nationen mit mehr Verantwortungsgefühl, die Briten etwa, haben diese zivilen Mitarbeiter bei ihrem geordneten Abzug ungleich mehr berücksichtigt und sich um sie gekümmert.

Was hätte dagegen gesprochen, diese Menschen, so sie es wollen, gleich mit auszufliegen wie die eigenen Soldaten und das Material?

Denn diese Leute, es geht um einige tausend, müssen jetzt um ihr Leben bangen. Müssen Angst davor haben, dass die Taliban, die sich Afghanistan wieder zurückerobern, sie umbringen oder foltern oder massakrieren. Sie müssen Angst um ihre Familien haben, ihre Verwandten, ihre Kinder.

Auch die Helfer haben unsere uneingeschränkte Solidarität verdient

Doch die deutsche Regierung macht sich weitgehend taub und blind gegenüber diesen Offensichtlichkeiten. Sie schaltet das ein, was Deutschland am besten kann und was sich faktisch als Schutzwall gegen ausreisewillige Ortskräfte erweist: Bürokratie. Es stimmt zwar, dass der Kreis derer, die Schutz und Zuflucht in Deutschland beantragen können, auf diejenigen ausgedehnt wurde, die seit 2013 und danach für staatliche deutsche Institutionen gearbeitet haben. Zuvor war man nur von Personal ausgegangen, das in den letzten zwei Jahren für die Bundeswehr oder andere staatliche deutsche Stellen gearbeitet hatten.

Dennoch bleibt der Weg für sie steinig. Bürokratisch. Zunächst müssen diese Personen eine sogenannte Gefährdungsanzeige stellen, also aktiv darlegen, welche Indizien es gibt, dass sie in Gefahr sind. Dafür müssen sie sich von Mazar-i-Sharif, dem früheren Basislager der Bundeswehr auf den gefährlichen Weg nach Kabul machen. Wenn Sie dann auf der Grundlage dieser Eingabe und nach deren Prüfung ein Visum bekommen, müssen sie sich abermals nach Kabul aufmachen und den Flug nach Deutschland selbst organisieren. Und selbst bezahlen.

Auf wen, wenn nicht auf diese Leute trifft der Satz aus Artikel 16 des Grundgesetzes ("Politisch Verfolgte genießen Asylrecht") zu? Und diese politische Verfolgung ist mittelbar auch noch durch Deutschland selbst ausgelöst, weil die Verfolgten als Kollaborateure der westlichen Besatzer gelten und aus diesem Grund – und sonst keinem – um ihr Leben und das ihrer Angehörigen fürchten müssen.

Es ist nachgerade grotesk, wie seit Jahren hunderttausende Migranten übers Mittelmeer nach Deutschland kommen, bei denen meist keine Verfolgung, sondern der (aus ihrer Sicht nachvollziehbare, aber rechtlich nicht hinreichende) Wunsch nach einem besseren Leben Triebfeder ist. Und hier zugleich ein paar tausend Menschen, die in den Worten des früheren Verteidigungsministers Peter Struck Deutschlands Sicherheit am Hindukusch verteidigt haben, im Stich gelassen werden.

Ja, es ist Jahrhundertflut, und es ist immer noch Pandemie. Trotzdem bleibt es eine doppelte Schande und schäbig, dass über das Schicksal der afghanischen Helfer weder groß geredet wird noch wirklich gehandelt. Dabei gilt für sie ebenso das Wort, das der deutsche Bundeskanzler seinerzeit an die USA als tief getroffenen Verbündeten gerichtet hatte. Auch die afghanischen Helfer haben sich die uneingeschränkte Solidarität dieses Landes und seiner Regierung ohne Wenn und Aber verdient.

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