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Fall Rafalski: Lebt der deutsche Dschihadist noch? Polizei fahndet weltweit


Fahndung nach deutschem Islamisten
Der mysteriöse Fall des Max Rafalski

  • Jonas Mueller-Töwe
Von Jonas Mueller-Töwe

13.09.2021Lesedauer: 4 Min.
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Polnische Terrorermittler suchen diesen deutschen Dschihadisten: Eigentlich soll er 2015 bei Kämpfen im Irak ums Leben gekommen sein.Vergrößern des Bildes
Polnische Terrorermittler suchen diesen deutschen Dschihadisten: Eigentlich soll er 2015 bei Kämpfen im Irak ums Leben gekommen sein. (Quelle: imago images/Interpol)

Eigentlich soll er vor Jahren bei Kämpfen gestorben sein. Doch nun sorgen polnische Behörden im Fall des Islamisten Maximilian Rafalski für Spekulationen. Lebt der deutsche Dschihadist noch?

Ein Foto, das einst in Sicherheitskreisen kursierte, zeigt einen Toten. Das Gesicht blass und verwundet, blonde Locken wie am Strich aus der Stirn geschnitten, ein schwarzer Strickpullover mit weißem Reißverschluss. Bislang gingen deutsche Ermittler davon aus, dass das Bild Maximilian Rafalski zeigte. Aufgenommen haben sollen es kurdische Peschmerga Anfang 2015. Tote Dschihadisten dienten ihnen im Krieg gegen den sogenannten "Islamischen Staat" als Mittel zur Öffentlichkeitsarbeit. Erst recht, wenn es sich um ausländische Kämpfer handelte. Rafalski stammt aus Deutschland.

Der Tote auf der Fahndungsliste

Für Jahre schien festzustehen: Rafalski, geboren im Mai 1994 in Bonn, war im irakischen Kirkuk bei Kämpfen zwischen der Terrormiliz "Islamischer Staat" und kurdischen Truppen gefallen. Die Islamisten-Szene rühmte den Märtyrer, die Eltern trauerten. Dann war von Rafalski nichts mehr zu hören. Sein Tod blieb sowohl in der deutschen Öffentlichkeit als auch in der dschihadistischen Propaganda eher eine Randnotiz. Bis jetzt. Denn nun sorgt ein internationaler Haftbefehl gegen ihn für Spekulationen.

Polnische Behörden suchen mithilfe von Interpol wieder nach dem Deutschen. Die Fahndungsfotos unterscheiden sich deutlich von der Aufnahme seines angeblichen Leichnams und sind offenkundig bei einer Festnahme entstanden – möglicherweise noch vor seiner Abreise ins syrisch-irakische Kampfgebiet, als er in Bonn am Rande von Islamisten-Demos Probleme mit der Polizei bekam.

Auf den Bildern jedenfalls wirkt Rafalski, der heute 27 Jahre alt sein müsste, noch sehr jugendlich. Die Haare stoppelkurz, mit Ringen unter den Augen, blickt er etwas pausbäckig in die Kamera. Warum fahnden polnische Terrorermittler wieder nach dem Mann – wenn er doch längst tot ist?

Die polnische Generalstaatsanwaltschaft teilte auf Anfrage von t-online mit, es liege ein Haftbefehl gegen Rafalski vor, der auf ein Ermittlungsverfahren des deutschen Generalbundesanwalts von 2014 zurückgehe. In Deutschland wollten allerdings weder die Bundesanwaltschaft, noch das Bundesjustizministerium Fragen von t-online zum Fall beantworten.

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Klar ist, dass Rafalski aus einem deutsch-polnischen Elternhaus stammt und über familiäre Verbindungen in die Region Danzig verfügt. Seine letzte offizielle Meldeadresse war dem Haftbefehl zufolge ein Mehrfamilienhaus in der nahen Stadt Wejherowo. Dort wurde 2016 das Strafverfahren gegen ihn aufgenommen – ein Jahr nach seinem angeblichen Tod in Kirkuk, den die "Welt" berichtet hatte. Welche neuen Entwicklungen veranlassten die dortigen Behörden damals zu Ermittlungen und warum schrieben sie R. im Februar dieses Jahres zur internationalen Fahndung über Interpol aus?

Der Schwager und die Leichenberge

Aufschluss darüber könnten möglicherweise Rafalskis Verbindungen zur Prominenz dschihadistischer Auswanderer geben. Zu der Zeit, als er aus Bonn mit Schwester und Schwager in den dschihadistischen Kampf zog, machte der "Islamische Staat" mit besonders brutaler Propaganda auf sich aufmerksam. Menschen wurden bei lebendigem Leibe verbrannt oder enthauptet. Stolz posierten auch deutsche Kämpfer vor ermordeten Zivilisten.

Einer von ihnen war Rafalskis Schwager Fared Saal: Der Deutsch-Algerier wurde als "Abu Luqmaan al-Almani" bekannt und gelangte gemeinsam mit seinem deutschen Kampfgefährten Denis Cuspert alias Rapper "Deso Dogg" zu zweifelhaftem Ruhm. Auf Propagandavideos aus Syrien sah man Fared Saal vor Leichenbergen. Er schwärmte davon, wie der IS die Menschen "geschlachtet" habe und schändete die Toten. Sein Lachen vor der Kulisse des Grauens ging um die Welt.

Noch heute steht Rafalskis Schwager als einer der gefährlichsten Terroristen weltweit auf der Sanktionsliste der Vereinten Nationen, obwohl er schon vor Jahren in kurdische Gefangenschaft geriet. Dort durfte er Anfang 2019 in einem Interview mit der ARD auftreten. Damals sprach er von Reue und bat darum, nach Deutschland ausreisen zu dürfen – die Beteiligung an Kriegsverbrechen bestritt er, räumte aber ein, dass er "definitiv" verstehen könne, dass deswegen gegen ihn ermittelt werde.

Die Schwester und die IS-Unterstützung

Saals Frau, Rafalskis Schwester, hatte damals schon ihre deutsche Haftstrafe verbüßt und ist seitdem auf freiem Fuß. Sie war wegen Unterstützung des "Islamischen Staats" 2015 in Düsseldorf zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt worden. Ein Jahr später verließ sie die Justizvollzugsanstalt Vechta auf Bewährung – also in dem Zeitraum, als polnische Behörden strafrechtliche Ermittlungen gegen ihren Bruder aufnahmen.

Ob ihre Distanzierung von den Terroristen glaubhaft oder taktisch motiviert war, galt schon im Prozess als umstritten. Kurz nach dem Urteil verbreitete eine IS-nahe Gefangenenhilfe einen Brief, der von der Bonner Dschihadistin stammen soll: "Zutiefst bin ich gerührt darüber, dass meine Geschwister an mich denken, zu mir stehen und den verlogenen Medien keinen Glauben schenken."

Spielen diese familiären Verbindungen für die Ermittlungen und die Fahndung nach dem totgeglaubten Maximilian Rafalski eine Rolle? Darüber gibt es bislang keine Gewissheit. In Polen gelten Terrorverfahren als Geheimsache, sogar der Beschuldigte und seine Verteidiger erhalten oft lange keine Akteneinsicht. In Deutschland geben Bundesanwaltschaft und Bundesjustizministerium ebenfalls keine Auskunft. Aus "grundsätzlichen Erwägungen", wie es heißt.

Die Ermittlungen gegen Rafalski lassen den vermeintlichen Tod des jungen Mannes jedenfalls in neuem Licht erscheinen. Denn entweder jagen die Behörden nun einem Geist nach oder es handelt sich bei der Leiche auf dem Bild, das die Perschmerga für ihre Propaganda verwendeten, gar nicht um Maximilian Rafalski. Dann hätten die Eltern am Ende vergeblich um ihren Sohn getrauert.

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