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Corona-Zahlen steigen rasant: Christian Lindner (FDP) muss jetzt handeln


Corona-Politik der Ampel
Siegt er sich in die Katastrophe?


Aktualisiert am 10.11.2021Lesedauer: 5 Min.
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Christian Lindner: Die Corona-Politik wird für die FDP zum Realitätscheck.Vergrößern des Bildes
Christian Lindner: Die Corona-Politik wird für die FDP zum Realitätscheck. (Quelle: Reiner Zensen/imago-images-bilder)

Die FDP kämpft seit Langem gegen zu scharfe Corona-Maßnahmen. Doch jetzt steigen die Zahlen auf immer neue Höchststände – und die Ampelkoalitionäre müssen handeln. Wie umfassend, hängt von den Liberalen ab.

Der 27. Oktober war ein guter Tag, fand Christian Lindner. Am Vormittag hatte die Ampelkoalition in spe ihre Pläne präsentiert, die epidemische Lage nationaler Tragweite mit einem neuen Gesetz zu beenden. Lindner jubelte auf Twitter: "Ein weiterer Schritt in Richtung Normalität." Das sei ein "Erfolg für Bürgerrechte".

Nicht mal zwei Wochen später klingt der FDP-Chef ganz anders. Dabei geht es um dasselbe Thema: Corona. "Neben besseren gesetzlichen Grundlagen geht es um wirksame Maßnahmen", schrieb er am Sonntag auf Twitter. "Es ist gut, dass es inzwischen breite Unterstützung für unsere Anregung gibt, die Gratistests wieder einzuführen."

Die FDP steht in diesen Zeiten, in denen sich die Lage von Tag zu Tag verschärft, vor einer großen Frage. Es geht darum, so würde Markus Söder das wohl sagen, in welchem Team die Liberalen spielen wollen: Im "Team Freiheit", das sich in der vierten Welle gegen zu viele Einschränkungen wehrt? Oder im "Team Vorsicht", das die eskalierende Pandemie im Zweifel auch wieder mit harten Maßnahmen bekämpfen will?

Erfolge, die gefährlich werden können

Die Rolle der FDP war eigentlich klar: Seit Beginn der Corona-Pandemie mahnten die Liberalen, bloß nicht zu leichtfertig die Bürgerrechte einzuschränken. Das war der Sound der Opposition. Inzwischen aber sitzt die FDP am koalitionären Verhandlungstisch, sie will mit SPD und Grünen regieren. In der Corona-Politik spielen die drei Parteien mit ihrem Ampel-Gesetzesvorhaben sogar schon Ersatzregierung.

Nur haben sich die Vorzeichen dieser Operation in den vergangenen Tagen dramatisch verändert, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Konnte Christian Lindner Ende Oktober trotz vieler Expertenwarnungen noch ohne größeren Aufruhr von einem "Schritt Richtung Normalität" durch das Ampelgesetz sprechen, ist die Corona-Inzidenz inzwischen auf einem Höchststand angelangt.

Studien warnen davor, dass in gut zwei Wochen flächendeckend die Intensivstationen überfüllt sein könnten – wenn jetzt nicht etwas geschieht. Doch wie zunächst in den Sondierungen und jetzt in den Koalitionsverhandlungen setzt sich nun auch in der Corona-Politik der Eindruck fest, dass es gerade die FDP als kleinster Partner ist, die SPD und Grünen ihren Willen in entscheidenden Punkten aufdrückt: möglichst viel Freiheit für die Bürger, möglichst wenig Vorschriften durch den Staat.

So sehr das die FDP und ihren Chef Lindner kurzfristig mit Genugtuung erfüllen dürfte, stellt sich dann doch die Frage, ob diese Strategie mittelfristig zum Erfolg führt. Wenn es gut geht, könnte das sein. Nur was passiert, wenn es am Ende nicht reicht? Wenn die Intensivstationen wirklich volllaufen und Menschen unnötig sterben?

Der Schuldige dürfte in der Öffentlichkeit, aber auch bei Grünen und SPD schnell ausgemacht sein: Es war die Partei, die trotz allem auf "Freiheit" gedrängt hat. Und zwar nicht bei einem eher symbolischen Thema, sondern bei einem, das sich buchstäblich um Leben und Tod dreht.

Siegt sich Christian Lindner also gerade in seine eigene erste Ampel-Katastrophe hinein?

Die liberalen Corona-Hoffnungen

Es war besonders die FDP, die mit dem Ende der epidemischen Lage von Beginn an zwei Dinge verband: Sie wollte gewissermaßen den Corona-Ausnahmezustand beenden, der es der Bundesregierung erlaubte, die Corona-Politik zu bestimmen, ohne das Parlament richtig miteinzubeziehen. Über das neue Gesetz entscheidet jetzt, wie es sein sollte, der Bundestag – also der Gesetzgeber. So sehen das auch SPD und Grüne.

Die zweite liberale Hoffnung – und da beginnen die Unterschiede zu Sozialdemokraten und Grünen – war jedoch von Beginn an, dass sich der Staat in der Corona-Krise mehr zurücknimmt, weniger streng und weniger stark eingreift. Ende Oktober, als Christian Lindner auf Twitter jubelte, nannte er das selbst eine "geringere Eingriffsintensität", auf die "die FDP lange gedrungen" habe.

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Nicht von ungefähr hat die FDP dann auch zunächst oft und gerne betont, dass Lockdowns durch das Gesetz ausgeschlossen seien. Das taugte vor allem für schöne Schlagzeilen in der "Bild"-Zeitung. Denn Lockdowns für alle, egal ob geimpft oder nicht, hatten bis dahin ohnehin nur die Wenigsten gefordert. SPD und Grüne jedenfalls nicht.

Anders als bei der FDP gibt es in beiden Parteien jedoch einige, die auch finden, dass das alles zusammengenommen als öffentliches Signal eher schwierig ist: Keine "Notlage" mehr, keine Lockdowns mehr – kann das dann alles überhaupt noch so schlimm sein?

"Die einzige Maßnahme, die jetzt viel verändern würde"

Es kann, und deshalb gibt es über einige Einschränkungen unter den Ampelkoalitionären auch durchaus Streit. Sollte angesichts der eskalierenden Lage etwa in der Öffentlichkeit fast überall 2G gelten – Eintritt nur für jene, die genesen oder geimpft sind?

Und das deutschlandweit einheitlich? Bei den Grünen und der SPD gibt es dafür große Sympathien. "Die einzige Maßnahme, die jetzt viel verändern würde, ist 2G mit Kontrollen und Kontrollen der Kontrollen", schreibt SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach auf Twitter.

Die FDP aber bremst. Im Gesetzentwurf ist es deshalb nur als Möglichkeit enthalten, die die Bundesländer nutzen können – oder auch nicht.

Ebenso ist es bei einer Impfpflicht für kritische Berufe wie die Pflege. SPD und Grüne wollen darüber jedenfalls ernsthaft diskutieren, selbst wenn es auch dort Sorgen vor dem Horrorszenario gibt, dass zu viele dann einfach nicht mehr kommen und die Altenheime zusammenbrechen.

Die FDP hält eine solche Impfpflicht gar nicht erst für nötig.

"Natürlich dürfen wir Corona nicht unterschätzen"

Immerhin gibt es inzwischen einige Hinweise darauf, dass sich die FDP so langsam des Ernstes der Lage bewusst wird. Und zwar nicht nur des Ernstes der Corona-Lage in Deutschland, sondern auch des Ernstes der Lage der FDP. Denn gleich mit einer gewaltigen Krise in die Ampelregierung zu starten, das will natürlich niemand.

Erst am Dienstagvormittag einigten sich die Ampelkoalitionäre final darauf, dass das ursprüngliche Corona-Gesetzespaket weiter ergänzt werden soll: um verpflichtende Tests in Alten- und Pflegeeinrichtungen etwa, aber auch um eine 3G-Pflicht am Arbeitsplatz, bei der sich jeder Beschäftigte täglich testen lassen muss, der nicht geimpft oder genesen ist.

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Monatelang war eine 3G-Pflicht am Arbeitsplatz selbst in Teilen der SPD skeptisch betrachtet worden. Rechtlich heikel, und bei den Gewerkschaften unbeliebt, weil Arbeitnehmer ihren Impfstatus offenlegen müssen – so das Argument.

Die FDP ist ohnehin immer misstrauisch, wenn es um mehr Bürokratie geht. Jetzt kommt die 3G-Pflicht doch, und das Arbeitsministerium soll das Ganze rechtssicher machen.

"Die nationale Notlage läuft aus, und das ist richtig", sagt etwa FDP-Politiker Gero Hocker t-online und ergänzt: "Aber natürlich dürfen wir Corona nicht unterschätzen, die Länder können weiterhin regionale Maßnahmen treffen, je nachdem, wie es angemessen ist."

Bei der FDP versucht man sich gewissermaßen an einem Spagat: Einerseits, heißt es, dürfe man natürlich die eigene Position nicht zu sehr aufgeben. Eine Partei, die lange für weniger Einschränkungen geworben habe, könne nun nicht ohne Weiteres Lockdowns verhängen.

Dabei würde man sich verbiegen, das gelte es zu verhindern. Andererseits, so glauben manche, könnte der Imageschaden noch größer sein, wenn die Liberalen als dickköpfige Entscheider wahrgenommen würden, die nun die reale Gefahr falsch eingeschätzt hätten.

Als möglicher Königsweg für die FDP zeichnet sich Folgendes ab: Der Ampelfrieden wird gewahrt, indem gemeinsam Einschränkungen beschlossen werden. Die Liberalen tragen diese nur zähneknirschend und in dem Wissen mit, dass im Zweifel Grüne und SPD für zu harte Maßnahmen verantwortlich gemacht werden.

Wir würden gerne anders, aber der Zwang des Regierens ist eben ein anderer als in der Opposition – das wäre dann die Botschaft.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Gespräche
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