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AfD-Erfolge: Ostdeutsche schildert die Gründe


Gründe für AfD-Erfolg
"Die Verdummung ist noch nicht überwunden"

MeinungEin Gastbeitrag von t-online-Leserin Kristina Hänel

14.06.2025 - 12:20 UhrLesedauer: 5 Min.
AfD-Versammlung mit Björn Höcke in Erfurt: "Ausgefuchste Wessis und Ossis zogen hetzten gegen alle in der regierenden Elite."Vergrößern des Bildes
AfD-Versammlung mit Björn Höcke in Erfurt: "Ausgefuchste Wessis und Ossis hetzten gegen alle in der regierenden Elite." (Quelle: IMAGO/Paul-Philipp Braun)
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Wie konnte die AfD in Ostdeutschland zur stärksten politischen Kraft aufsteigen? Eine "Tagesanbruch"-Leserin beschreibt die Gründe aus ihrer Erfahrung.

Warum wählen so viele Menschen die AfD – obwohl die Partei demokratiefeindliche Tendenzen aufweist? Der Verfassungsschutz hat nicht nur mehrere Landesverbände, sondern auch die Gesamtpartei als "erwiesen rechtsextremistisch" eingestuft (die AfD-Spitze geht juristisch dagegen vor, noch ist kein Urteil gefallen).

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Am 17. Mai hat t-online-Chefredakteur Florian Harms in der Wochenendausgabe des "Tagesanbruch"-Podcasts mit zwei AfD-Anhängern diskutiert. Die Folge ist auf großes Interesse gestoßen, mehrere Hörer haben sich ausführlich dazu geäußert.

Stellvertretend für viele veröffentlichen wir als Gastbeitrag die Zuschrift von Kristina Hänel aus Stollberg im sächsischen Erzgebirge. Im Folgenden beschreibt sie die Gründe, die ihrer Meinung nach zum großen Zuspruch für die AfD im Osten Deutschlands geführt haben.

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t-online-Leserin über die Gründe für den AfD-Erfolg

"Wir wurden in der DDR 40 Jahre lang für dumm verkauft und indoktriniert. Die Intelligenz wurde benachteiligt, die Arbeiter und Bauern wurden gefördert, die Geschichtsbücher verfälscht und wichtige geschichtliche Ereignisse weggelassen. Die Zeitungen gaukelten uns eine heile Welt vor, mit Planübererfüllung und erfolgreichen Politikern. Uns Bürger erreichten nur positive Nachrichten. Von all dem Elend hinter den Kulissen erfuhr man nur aus dem Buschfunk.

Zugleich verschwanden immer mal wieder Leute, Kritiker wurden von der Stasi verfolgt, man hatte Angst und katzbuckelte gegenüber der Obrigkeit, um sich und seine Familie zu schützen. So entwickelte sich eine vorsichtige, arbeitsame und bescheidene Gesellschaft (Arbeiten war Pflicht), die geduldig 15 Jahre lang auf einen Trabi wartete. Eine biertrinkende Schrebergartenmentalität.

Man ging sorgsam miteinander um, weil in einer Mangelwirtschaft jeder jeden braucht. Manche aber täuschten Freundschaft nur vor und verrieten ihre besten Freunde oder Familienangehörigen an die Stasi. Duckmäuser, Mitläufer, Spitzel, Staatsfeinde, ewig Unzufriedene, Eingesperrte, Ängstliche lebten nebeneinanderher.

Es wurde aber viel gelacht, es gab DDR-Witze im Überfluss, man hatte nachts keine Angst auf den Straßen, man war privilegiert, wenn man Westpakete bekam. Man war etwas Besonderes, wenn man etwas Schönes zum Anziehen hatte, und das gab es dann nur einmal.

Auf der Straße lebte niemand, Bettler gab es nicht, ebenso wenig wie Drogensüchtige. Aufmüpfige wurden weggesperrt, und so lebte man fast beschaulich im Smog der Abgase und der täglichen Rennerei nach Dingen des täglichen Bedarfs wie Tempotaschentüchern, Lebensmitteln, Zahnpasta, Filinchen und so weiter.

Der Frust wuchs

Doch alle fast schauten Westfernsehen. Die einen wurden unzufriedener, die anderen neidischer. Dann durften die Ersten zu nahen Verwandten 'nüber', und der Frust der Verbliebenen wuchs. Er entlud sich auf der Flucht über Ungarn und in der Prager Botschaft. Dann kam die Wende und die Mauer fiel.

Nun wollten alle Westautos, Westwaren, Westreisen, und so zerbrach die ostdeutsche Industrie; bald waren die Ostprodukte spurlos aus den Läden verschwunden. Westdeutsche Unternehmer kamen in den Osten in der Hoffnung auf die schnelle Mark. Mit ihrem Wissen, wie Marktwirtschaft funktioniert, überrumpelten sie uns überforderte Planwirtschaftler und nutzten unsere Naivität schamlos aus.

Nicht selten verbürgten ostdeutsche Handwerker und Dienstleister ihre Häuser als Pfand für hohe Kredite, meistens mit einem westdeutschen Partner an ihrer Seite. Die westdeutschen Finanzämter vermissten ihre 'schwarzen Schafe' nicht, denn diese trieben nun im Osten ihr Unwesen. Nicht selten verlor ein gutgläubiger Ossi Haus und Hof, weil er über den Tisch gezogen wurde. Das schmerzte umso mehr, weil sie so hart erarbeitet worden waren: Wer in der DDR ein Eigenheim gebaut hatte, musste um jeden Ziegelstein, jede Schindel, jedes Brett oder um Ilmantin-Plastputz kämpfen, tauschen, ewig warten und dabei oft schier verzweifeln. Es hing viel Herzblut an so einem Haus.

Während im Westen das Leben nach der Wende im Großen und Ganzen nahtlos weiterging, verloren wir im Osten unsere vertraute Arbeit, unseren Zusammenhalt, unser gewohntes Leben. Natürlich war die neu gewonnene Freiheit ein unbezahlbarer Wert! Doch die Umstellung innerhalb kürzester Zeit auf ein neues politisches und wirtschaftliches System entpuppte sich als riesige Herausforderung. Vieles war gut, es entstanden tatsächlich blühende Landschaften, doch wir verloren auch viel. Es gab Gewinner und Verlierer gleichermaßen und es passte nicht mehr zusammen. Wir veränderten uns mitsamt den neuen Herausforderungen.

Es fehlt etwas

Nach den hoffnungsvollen Kohl-Jahren und der Aufbruchstimmung spürte allmählich nahezu jeder im Osten Deutschlands, dass etwas fehlte. Was war das?

Es waren die vorher völlig unbekannten sozialen Unterschiede zwischen Arm und Reich. Es war die Gruppendynamik, gegen die Staatspartei SED zu sein. Es waren das bewährte einheitliche Schulsystem, die Polikliniken für alle Bürger und vieles mehr. Nun wurde deutlich, dass uns ein Stück unserer Identität genommen worden war. Es war ja in der DDR nicht alles schlecht gewesen – doch nun wurde uns ungefragt alles Westliche übergestülpt. Hätte man nicht einiges so lassen können, wie es immer gewesen war?

Die sozialen Unterschiede waren das größte Problem. Der Nachbar, der Bruder, die Freunde standen plötzlich viel besser da. Sie hatten in der DDR studieren dürfen und verdienten nun im kapitalistischen System ein Vielfaches meines Gehalts. Nicht zum Aushalten, wie die sich veränderten! Früher hatten wir zusammen geschimpft, uns geholfen, waren dicke Kollegen gewesen – aber jetzt kannten sie mich nicht mehr, weil ich nicht das Glück hatte, eine Akademikerin zu sein. Diese Erkenntnis schmerzte.

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Dann kamen 2015 die syrischen Flüchtlinge, und ein Riss ging durch die unzufriedene Gesellschaft. Nun musste man um seinen gerade erst errungenen, bescheidenen Wohlstand bangen. Deshalb beäugte man argwöhnisch die Neuankömmlinge, die, ohne zu arbeiten, scheinbar alles vom Staat geschenkt bekamen. So entwickelte sich eine Protestgesellschaft, die in ihr altbekanntes Muster verfiel, in die 'Ohne-Hinterfragen-alles-glauben-Mentalität', wie schon Jahrzehnte zuvor. Nur dass man diesmal nicht den Predigern von links, sondern denen von rechts lauschte.

Hauptsache, man war dagegen

Ausgefuchste Wessis und Ossis zogen diese zerrissene Menge in ihren Bann und hetzten gekonnt gegen alle und jeden in der regierenden Elite. Endlich hatten die Unzufriedenen, Neidischen, aber auch die tatsächlich Gebeutelten ein Ventil für ihren Frust. Ganz egal, welchen Irrsinn man verbreitete – Hauptsache, man war dagegen. Die Weichen für Corona-Leugner und Fremdenhasser waren gestellt.

Die 40-jährige Verdummung durch das DDR-Regime ist noch lange nicht überwunden. Es braucht mindestens noch ein bis zwei Generationen, vielleicht auch mehr. Das schreibe ich als ehemalige DDR- und heutige Bundesbürgerin, die im Erzgebirge aufgewachsen ist, Großeltern im Westen hatte, beide System erlebt hat. Ich bin entsetzt von meinen AfD-wählenden Landsleuten. Mit vielen habe ich diskutiert und gestritten, komme aber nicht weiter.

Man hätte uns Ossis mehr an die Hand nehmen müssen, uns die Politik und das Wirtschaftssystem erklären sollen. Wir waren überfordert, viele fühlen sich bis heute alleingelassen. Viele haben die Zeitenwende nur mit schweren Schäden überstanden. Darin liegt ein wesentlicher Grund für den Frust, der heute viele in die Arme der AfD treibt."

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinungen der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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