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SPD-Kandidat in Schleswig-Holstein: "Das hat zu riesigem Frust geführt"


SPD-Kandidat Losse-Müller
"Wir hätten schon viel weiter sein können"

  • Johannes Bebermeier
InterviewVon Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 18.12.2021Lesedauer: 6 Min.
Interview
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Thomas Losse-Müller: "Ich war nach meinem Parteiwechsel darauf eingestellt, mich hinten anzustellen."Vergrößern des Bildes
Thomas Losse-Müller: "Ich war nach meinem Parteiwechsel darauf eingestellt, mich hinten anzustellen." (Quelle: Jürgen Heinrich/imago-images-bilder)

Thomas Losse-Müller will in Schleswig-Holstein Ministerpräsident werden. Weil die SPD gerade Rückenwind hat, stehen seine Chancen bei der Wahl im Mai nicht schlecht. Wer ist der Mann – und wofür steht er?

Herr Losse-Müller, Sie sind erst 2020 von den Grünen zur SPD gewechselt. Damals lagen Grüne und Union in Umfragen in Schleswig-Holstein noch deutlich vor der SPD. Wollten Sie unbedingt in die Opposition?

Thomas Losse-Müller: Das war für mich gar keine Karrierefrage, sondern Ergebnis einer längeren Überlegung.

Welcher?

Wir haben uns als Gesellschaft sehr viel vorgenommen: Klima schützen, Digitalisierung vorantreiben, den demografischen Wandel gestalten. Am Brexit und an Trump hat sich gezeigt, dass das nur funktionieren wird, wenn wir gleichzeitig Zusammenhalt organisieren. Und die SPD ist für mich die einzige Partei, die das noch kann, weil sie in allen Teilen der Gesellschaft verankert ist.

Als Ihre Kandidatur als Ministerpräsident bekannt wurde, waren viele Beobachter verwundert, dass nicht die SPD-Landesvorsitzende Serpil Midyatli kandidiert. Hätte sie das nicht ebenso gut gekonnt?

Ganz bestimmt. Sie ist nicht ohne Grund stellvertretende Bundesvorsitzende, eine ausgezeichnete Familienpolitikerin und im ganzen Land wohlbekannt.

Aber?

Serpil hat mir damals gesagt, dass es ihrer Analyse nach jetzt um die Themen Klima, Digitalisierung und Wirtschaft geht. Sie wollte, dass die SPD von jemandem repräsentiert wird, der genau diese Themen aus dem Maschinenraum heraus kennt und Regierungserfahrung hat.

Waren Sie damals überrascht?

Na, klar. Ich war nach meinem Parteiwechsel darauf eingestellt, mich hinten anzustellen. Aber jetzt freue ich mich über die wahnsinnig schöne Chance, die Themen und Ideen als Spitzenkandidat zu vertreten, an denen ich seit 20 Jahren arbeite.

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Sie waren Investmentbanker in London, haben in Washington für die Weltbank gearbeitet und in Kiel schon als Staatssekretär und Chef der Staatskanzlei. Was qualifiziert Sie als Regierungschef?

Es ist genau die Summe dieser verschiedenen Erfahrungen, die mir einen eigenen Blick auf die Dinge ermöglicht. Ich kenne große Unternehmen von innen und nicht nur vom Namen her. Ich weiß, wie die Märkte funktionieren. Gleichzeitig war ich immer daran interessiert, wie sich Gesellschaft und Staat entwickeln. Das kommt jetzt alles zusammen. Wir müssen eine riesige Transformation organisieren. Und das geht nur, wenn man den Maschinenraum kennt.

Thomas Losse-Müller, 48 Jahre, ist studierter Volkswirt. Er hat unter anderem für die Deutsche Bank in London und für die Weltbank in Washington gearbeitet. 2012 ging es als Staatssekretär ins schleswig-holsteinische Finanzministerium unter der Grünen-Ministerin Monika Heinold. 2014 wurde er Chef der Staatskanzlei für den SPD-Ministerpräsidenten Thorsten Albig. Seit 2017 arbeitete er für die Beratungsgesellschaft EY-Parthenon. 2020 wechselte er von den Grünen zur SPD. Mitte August machte die Kieler SPD ihn zum Spitzenkandidaten bei der Landtagswahl im Mai.

Wie dankbar sind Sie Olaf Scholz und der Bundes-SPD, dass sie mit dem Erfolg bei der Bundestagswahl nun auch Ihre Chancen enorm gesteigert haben, Ministerpräsident zu werden?

Sehr dankbar. Ohne die Geduld und den Fokus von Olaf Scholz hätten wir jetzt eine ganz andere Ausgangslage. Auf den jetzigen Rückenwind konnte ich nicht hoffen, als ich im August als Spitzenkandidat vorgeschlagen wurde.

Was würden Sie anders machen als Olaf Scholz, wenn Sie Ministerpräsident wären?

Olaf Scholz ist ja nicht Ministerpräsident, sondern Bundeskanzler. Da habe ich großen Respekt und gebe keine Ratschläge.

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Das ist jetzt sehr diplomatisch. Und was würden Sie sich an seiner Herangehensweise abschauen?

Als ich von den Grünen gekommen bin, haben mir viele Genossen gesagt: Dir ist hoffentlich klar, dass die SPD gerade ein bisschen uncool ist. Mich hat irritiert, dass Coolness anfangs auch im Bundestagswahlkampf wirklich ein Faktor zu sein schien: die Grünen im Hype und so weiter. Für mich geht es in der Politik aber um Verantwortung, Kompetenz und darum, Lösungen zu suchen, auch wenn sie keine Schlagzeilen produzieren. Und das verkörpert Olaf Scholz in Reinform.

Ihr CDU-Konkurrent Daniel Günther ist Umfragen zufolge einer der beliebtesten Ministerpräsidenten überhaupt. Das Konjunkturklima verbessert sich in Schleswig-Holstein trotz Corona-Krise. Warum sollten die Menschen die Jamaika-Koalition abwählen?

Daniel Günther ist zwar beliebt, das setzt sich aber nicht in gute Wahlergebnisse für die CDU um. Bei der Bundestagswahl lag die CDU in Schleswig-Holstein sechs Prozentpunkte hinter der SPD. Das zeigt: Schleswig-Holstein ist kein konservatives Land, sondern ein tolerantes und offenes. Und nur weil die Menschen Daniel Günther sympathisch finden, heißt das noch nicht, dass sie auch wollen, dass die CDU regiert.

Das alles sagt aber ja noch nichts über seine Qualitäten als Ministerpräsident aus. Was macht er denn aus Ihrer Sicht schlecht?

Uns fehlt gerade ein Plan, wie wir das Land weiterentwickeln wollen. Die CDU liefert da einfach nichts. Jamaika ist Stillstand.

Was bräuchte es denn?

Sehr viel gleichzeitig. Um nachhaltige Mobilität zu organisieren, brauchen wir einen Ausbau der Ladeinfrastruktur. Um das Heizen zu organisieren, brauchen wir den Ausbau von Wärmenetzen. Um die Chancen für den Industriestandort zu nutzen, brauchen wir eine Politik, die Wasserstoffproduktion im industriellen Maßstab vor Ort verankert. Erneuerbare Energien sind in Schleswig-Holstein ein entscheidender Wirtschaftsfaktor geworden …

… dank Daniel Günther und seiner CDU?

Im Gegenteil, trotz Daniel Günther! Als SPD haben wir das Thema seit 1988 in Regierungsverantwortung vorangebracht. Die CDU hat 2017 noch Wahlkampf gegen erneuerbare Energien geführt. Wir hätten schon viel weiter sein können und müssen jetzt fünf Jahre aufholen. Dafür braucht es die richtigen Weichenstellungen, weil die Wirtschaft jetzt entscheidet, wo sie investiert. Und auch das Land selbst muss investieren, damit die Wirtschaft das tut. Und zwar nicht ein paar Millionen, sondern ein paar Hundert Millionen.

Was wäre Ihr Ziel?

Wir können der Standort in Deutschland sein, an dem Unternehmen in zehn Jahren am besten und günstigsten mit erneuerbaren Energien und Wasserstoff versorgt werden. Wir wissen aus Analysen der Stromnetze, dass die inländische Wasserstoffproduktion für Deutschland hier im hohen Norden stattfinden muss. Wenn wir es richtig angehen, wird Schleswig-Holstein also auf einmal ein Energiestandort, so wie es vor 150 Jahren das Ruhrgebiet war. Und mit der günstigen Energie können wir hier neue grüne Industrien ansiedeln und Jobs schaffen.

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In der Corona-Krise waren die Zahlen in Schleswig-Holstein immer vergleichsweise niedrig. Wie hat Daniel Günther das geschafft?

Das schafft keine Regierung und kein Ministerpräsident. Das haben wir den Menschen im Land zu verdanken. Es gibt einen schönen Witz in Schleswig-Holstein: "Ich bin froh, wenn Corona vorbei ist, dann können wir wieder vier Meter Abstand halten und müssen nicht auf 1,5 Meter ranrücken." Das spielt natürlich mit Vorurteilen, eigentlich sind die Menschen hier sehr zugewandt und herzlich. Aber sie gehen eben sehr verantwortungsvoll miteinander um.

Was lief nicht gut in der Corona-Krise?

Es gab und gibt große Ungerechtigkeiten in den Schulen. Ob eine Klasse guten digitalen Unterricht hat, hängt vor allem davon ab, ob sie zufällig eine Lehrerin oder einen Lehrer hat, der sich gut mit Technik auskennt. Es ist die Aufgabe des Landes sicherzustellen, dass das überall gleich gut funktioniert. Und die Kommunikation war teils krude. Sehr kurzfristige Regeländerungen, die nicht gut erklärt wurden. Das hat zu riesigem Frust geführt.

Es wird gerade diskutiert, ob es noch vor Weihnachten eine weitere Corona-MPK geben soll. Wäre sie nötig?

Wir müssen die Corona-Lage wegen der drohenden Omikron-Welle noch mal neu bewerten. Wichtiger als eine neue Corona-MPK ist mir aber, dass auf allen Ebenen jetzt daran gearbeitet wird, die Welle niedrig zu halten. Wir haben die Instrumente.

Wird es noch mal härtere Corona-Einschränkungen geben in diesem Winter?

Ausschließen würde ich das auf keinen Fall. Das muss immer eine Option sein, weil wir über Omikron noch zu wenig wissen und neue Mutationen hinzukommen könnten. Wir sind aber auf einem guten Weg, wenn wir es schaffen, jetzt schneller zu boostern.

Selbst wenn die SPD im Mai bei der Landtagswahl eine Mehrheit holt, brauchen Sie Koalitionspartner. Grüne und FDP regieren gerade mit der Union zusammen. Wie wollen Sie die überzeugen, lieber mit Ihnen zu koalieren?

Die Einhaltung der Klimaziele gibt es nur mit der SPD und nicht mit der CDU. Das hat sie in den vergangenen Jahren im Land und im Bund bewiesen. Einige Grüne sagen deshalb schon jetzt, dass sie gerne wieder mit uns regieren wollen. Und die FDP merkt nun in der Ampel im Bund, dass Modernisierung auch besser in dieser Konstellation funktioniert. Im Norden ist die Ampel aber nicht die einzige Option. Es könnte auch eine Mehrheit für die sogenannte Küstenkoalition mit den Grünen und der Partei der dänischen und friesischen Minderheit SSW geben.

Ihre Präferenz?

Ich kann mir beides gut vorstellen.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Thomas Losse-Müller per Videotelefonie
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