Polizeigewerkschaft schlägt Alarm "Das könnte ein sehr teurer Irrtum werden"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Omikron bringt auch die Sicherheitsbehörden an den Rand der Belastbarkeit. Rainer Wendt erklärt, wie sich die Polizei auf eine mögliche Extremsituation vorbereitet. Und er spricht eine deutliche Warnung aus.
Der Corona-Expertenrat der Bundesregierung warnt angesichts des sich rasant ausbreitenden Omikron-Virus vor Personalengpässen bei der Polizei, den Rettungssanitätern und der Feuerwehr.
Bislang ist diese Gefahr nur eine sorgenvolle Formulierung im Statement des Corona-Expertenrats vom Wochenende. Doch der Blick nach Großbritannien, wo Omikron schon länger tobt, lässt nichts Gutes erwarten. Wie gehen die Rettungskräfte mit einem zu erwartenden drastisch hohen Krankenstand um? Was droht der Bevölkerung, wenn Polizisten, Sanitäter und Feuerwehrleute reihenweise ausfallen? Rainer Wendt, Chef der Polizeigewerkschaft (DPolG), gibt Auskunft.
t-online: Herr Wendt, der Corona-Expertenrat der Bundesregierung warnt vor einer gravierenden Personalnot bei der Polizei und Feuerwehr, sollte die Omikron-Welle mit der zu erwartenden Wucht über Deutschland hereinbrechen. Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein?
Rainer Wendt: Ich will die gute Botschaft gleich an den Anfang stellen: Die Polizei wird ihrem Auftrag selbstverständlich nachkommen. Das war in Krisenzeiten immer so und wird sich auch jetzt nicht ändern. Es muss niemand glauben, dass die Polizei ihn nicht mehr beschützt. Und es soll ja niemand glauben, er könne nun gegen Corona-Auflagen verstoßen, weil die Polizei nicht mehr hinterherkommt. Auch nicht in der Silvesternacht. Das könnte ein sehr teurer Irrtum werden.
Bewahrheitet sich das Gefahrenszenario, das der Expertenrat zeichnet, sind schon bald etliche Polizeikräfte entweder mit Corona infiziert oder als Kontaktpersonen in Quarantäne. Ist die Polizei darauf vorbereitet?
Die Polizei ist immer auf Krisensituationen vorbereitet. Es gibt einen alten Einsatz-Grundsatz: Ruhe bewahren, Lage überblicken, Reserve bilden. Der hat in dieser Krise nicht an Gültigkeit verloren. Selbstverständlich ist die Polizei ad hoc in der Lage, Dienstpläne umzustellen oder Reserven zu mobilisieren. Wir nehmen die Warnungen des Expertenrats schon ernst und bereiten uns darauf vor, dass Hundertschaften von Polizisten infiziert werden oder in Quarantäne müssen, dass wir an unsere Grenzen stoßen werden.
Wie genau sehen diese Vorbereitungen aus?
Zuerst werden sogenannte Kohorten gebildet, also Teams, deren Zusammensetzung nicht wechselt, um das Infektionsgeschehen untereinander möglichst gering zu halten. Wenn’s hart auf hart kommt, werden Dienstzeiten von 8 auf 12 Stunden umgestellt und auch Urlaube gestrichen. Im Extremfall werden Kräfte mobilisiert, die noch in der Ausbildung sind.
Das klingt so, als hätten Sie die Lage trotz des zu erwartenden Chaos ganz gut im Griff. Waren die Warnungen vor einem Zusammenbruch unserer kritischen Infrastruktur möglicherweise ein wenig zu schrill?
Nein, denn es sitzen ja nicht Tausendschaften von Polizeikräften bequem zu Hause und warten auf ihren Einsatz. In den 90ern war es ganz populär, beim Staat Stellen einzusparen, das rächt sich jetzt. Nicht nur bei der Polizei, bei allen staatlichen Stellen, auf die es jetzt besonders ankommt, herrscht Personalnot. Bei den Gesundheitsbehörden, den Ordnungsämtern, den Feuerwehren. Jetzt zeigt sich der Staat nicht nur schlank, er ist sogar schwindsüchtig geworden.
Wie meinen Sie das?
Eine Krisensituation wie die Corona-Pandemie bringt den Staat an den Rand der Handlungsfähigkeit und ist überhaupt nur noch durch übergroßes Engagement der Beschäftigten steuerbar. Unsere Politiker haben damit gegen einen Führungsgrundsatz der ersten Ordnung verstoßen: Sie haben bei den Rettungskräften keine Reserven gebildet. Daher sind alle Warnungen richtig.
Wenn ich kriminelle Energie hätte, würde ich eine drohende Personalnot bei der Polizei ausnutzen. Beginnen jetzt rosige Zeiten für Verbrecher?
Da will ich niemanden verrückt machen. Aktuell gehen die Wohnungseinbrüche zurück, weil die Menschen zu Hause bleiben. Natürlich kann es sein, dass der ein oder andere glaubt, die Polizei hat gerade anderes zu tun, jetzt kann ich eine Firma ausräumen. Das ist ein Irrtum. Auch wer glaubt, er könne an Silvester auf 60 Quadratmetern mit 30 Leuten feiern, wird sein blaues Wunder erleben. Die Polizei ist sehr belastet, aber sie wird immer da sein, wo es notwendig ist.
Neue Kontaktbeschränkungen sollen spätestens ab dem 28. Dezember bundesweit gelten. Ansonsten gibt es bei den Corona-Regeln aktuell aber einen großen Flickenteppich.
Das macht unsere Arbeit nicht leichter. Wenn wir in den Dienststellen über den Verordnungen brüten müssen, weil in jedem Landkreis etwas anderes gilt und für jede noch so kleine Berufsgruppe eine Ausnahmeregelung gilt, dann trägt das nicht gerade zur Handlungsfähigkeit der Polizei bei. Nur einfache, klare Regeln sind auch schnell durchsetzbar.
Sind Polizistinnen und Polizisten besonders durch Corona gefährdet?
Natürlich, das liegt an der schlichten Tatsache, dass man niemanden festnehmen und gleichzeitig anderthalb Meter Abstand halten kann. Es gehört einfach zum Polizeiberuf, dass man ganz nah an den Menschen ist. Und zwar im wahrsten Wortsinn. Bei Corona-Demonstrationen, bei Fußballspielen. Das birgt hohes Infektionsrisiko.
Gab es für die Polizei schon mal eine Situation, die ein ähnlich großes Risiko geborgen hat wie die drohende Omikron-Welle?
Schon der letzte Winter war für die Polizei eine große Belastungsprobe. Es waren ganze Einheiten in Quarantäne. Es gab Tausende Infizierte. Das Ganze ging hin bis zu Dienststellenschließungen. Aber was uns durch Omikron blühen könnte, hat schon eine neue Dimension.
Inwiefern?
Ich sage Ihnen ehrlich: Ich war 43 Jahre bei der Polizei, der Anfang meiner Dienstzeit fiel in den "Deutschen Herbst", die Gefahr durch die Terrorgruppe RAF. Damals waren die Mittel der Polizei, bundesweit nach Terroristen zu fahnden, nicht so gut wie heute. Wir wussten von der Baader-Meinhof-Gruppe nur, dass sie ohne zu zögern von der Schusswaffe Gebrauch machen werden. Das war von der Anspannung her eine vergleichbare Situation.
Herr Wendt, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
- Interview mit Rainer Wendt am 21. Dezember