Zahl politisch motivierter Straftaten erreicht 2021 Rekord

Berlin (dpa) - Im vergangenen Jahr sind in Deutschland so viele Straftaten mit politischem Hintergrund verΓΌbt worden wie in den vergangenen 20 Jahren nicht.
Wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Frage des AfD-Abgeordneten Martin Hess hervorgeht, stieg die Zahl der politisch motivierten Straftaten 2021 nach vorlΓ€ufigen Daten des Bundeskriminalamtes im Vergleich zum Vorjahr um knapp sechs Prozent auf insgesamt 47.303 Delikte.
Damit erreichte die politisch motivierte KriminalitΓ€t den hΓΆchsten Stand seit EinfΓΌhrung der jΓ€hrlichen Statistik im Jahr 2001. Durch mΓΆgliche Nachmeldungen - fΓΌr die Antwort der Regierung war eine Abfrage am 5. Januar erfolgt - kΓΆnnte die Zahl am Ende sogar noch hΓΆher ausfallen.
Pandemie spielt zentrale Rolle
UrsΓ€chlich fΓΌr diesen Anstieg sind politisch motivierte Straftaten, die weder dem linken noch dem rechten Spektrum zuzuordnen sind. Nach EinschΓ€tzung der SicherheitsbehΓΆrden spielt hier das aufgeheizte gesellschaftliche Klima in der Corona-Pandemie eine wesentliche Rolle. Bereits im Vorjahr waren knapp 60 Prozent aller politisch motivierten Straftaten, die im Zusammenhang mit der Pandemie verΓΌbt wurden, durch die BundeslΓ€nder als "nicht zuzuordnen" gemeldet worden.
"Die hohe, nochmals gestiegene Zahl politisch motivierter Straftaten ist Anlass zur Sorge", sagt die FDP-Innenpolitikerin Linda Teuteberg. Sie findet: "Der freiheitliche Rechtsstaat darf auf keinem Auge blind sein und die offene Gesellschaft darf sich von niemandem einschΓΌchtern lassen. Es gibt keine ethische Γberlegenheit irgendeiner Variante des gewaltbereiten Extremismus."
Straftaten mehrheitlich "von rechts"
Den Angaben zufolge war der grΓΆΓte Anteil der erfassten Straftaten 2021, wie bereits im Vorjahr, rechts motiviert. Die vorlΓ€ufige Statistik weist mehr als 19.000 Delikte von TatverdΓ€chtigen aus dem rechten Spektrum aus. Mehr als 17.000 Straftaten waren fΓΌr die Polizei ideologisch nicht zuzuordnen. Bei rund 9000 Straftaten aus dem vergangenen Jahr geht die Polizei von einer politisch links zu verortenden Motivation aus.
Einen RΓΌckgang von rund sechs Prozent verzeichnete die Polizei laut der vorlΓ€ufigen Statistik insgesamt bei den Gewalttaten mit politischem Hintergrund. Allerdings fΓ€llt auch hier die hohe Zahl der Gewaltdelikte von TatverdΓ€chtigen ins Auge, die keinem bestimmten politischen Spektrum zugeordnet werden.
Γber 1000 Gewaltdelikte "ohne Zuordnung"
Den Angaben zufolge gingen 1047 Gewaltdelikte im vergangenen Jahr auf das Konto von TatverdΓ€chtigen, die von der Polizei weder als Rechte, Linke oder Islamisten noch als AnhΓ€nger einer auslΓ€ndischen Ideologie - dazu zΓ€hlt beispielsweise die Weltanschauung der kurdischen PKK - identifiziert wurden. Im gleichen Zeitraum wurden demnach 1066 Gewaltdelikte von linken TatverdΓ€chtigen, 882 Gewaltstraftaten von Rechten und 52 Gewaltdelikte aus dem Bereich "ReligiΓΆse Ideologie" registriert.
Zum Vergleich: Im Vorjahr hatten politisch motivierte TatverdΓ€chtige, die von der Polizei ideologisch keiner der bekannten Kategorien zugeordnet wurden, 591 Gewalttaten verΓΌbt. Mit 98 Straftaten ist auch der ΓΌberwiegende Teil der 120 polizeibekannten Gewaltdelikte gegen Amts- und MandatstrΓ€ger aus dem Jahr 2021 Menschen zuzuordnen, deren politischer Hintergrund jenseits der bekannten PhΓ€nomenbereiche liegt.
Kritik aus Linkspartei
Aus Sicht der Innenpolitikerin Martina Renner (Linke) bildet die Statistik der Polizei die Lage nicht adΓ€quat ab. Die Bundestagsabgeordnete schreibt am Dienstag auf Twitter: "Das Gros der 17.000 Straftaten, die angeblich nicht zuzuordnen sind stammt aus Bereich der Coronaleugner, ReichsbΓΌrger, Selbstverwalter. Das Kind nicht beim Namen zu nennen, ist fachlich fragwΓΌrdig und sicherheitspolitisch fahrlΓ€ssig."
Das Bundesamt fΓΌr Verfassungsschutz hatte im vergangenen Jahr einen neuen PhΓ€nomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" eingerichtet. Damit reagierte die KΓΆlner BehΓΆrde vor allem auf die Verbreitung von VerschwΓΆrungsmythen und antisemitischen Ressentiments im Zusammenhang mit den Anti-Corona-Protesten.
Renner findet diese neue Kategorie des Verfassungsschutzes ΓΌberflΓΌssig. Sie sagt: die meisten Corona-Leugner "stellen ihren aggressiven Egoismus ΓΌber den Gesundheitsschutz und die RΓΌcksichtnahme aus der ΓΌbergroΓen Mehrheit der Gesellschaft". Sie seien "Sozialchauvinisten, die den Tod von Alten und Kranken billigend in Kauf nehmen und greifen auf bekannte antisemitische VerschwΓΆrungsmuster zurΓΌck". Das seien klar erkennbar rechte Positionen.
Von den gegen Amts- und MandatstrΓ€ger gerichteten Gewalttaten, die dem BKA bisher aus dem vergangenen Jahr bekannt wurden, richteten sich nach Angaben der Bundesregierung zehn gegen AfD-Mitglieder, in jeweils zwei FΓ€llen waren Vertreter der GrΓΌnen und der CDU betroffen.
Polizei appelliert an Politik
Mit dem Angriffsziel "Polizei" wurden fΓΌr 2021 bislang 1334 Gewaltdelikte gemeldet. Mit Blick auf mΓΆgliche SpΓ€tfolgen der Proteste gegen die staatlichen Anti-Corona-MaΓnahmen, hΓ€lt der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, die Gefahr, "dass sich Menschen vom demokratischen Spektrum abwenden und parallel von Rechtsextremen geworben werden", fΓΌr sehr groΓ.
Um das zu verhindern, sei eine Debatte ΓΌber die Vorteile der freiheitlichen Gesellschaftsordnung notwendig. Die Politik mΓΌsse an der Spitze einer solchen Debatte stehen, "sie darf nicht ausgrenzen und verteufeln, sondern muss auch den Dialog mit Kritikern fΓΌhren, die kann sich ihre BevΓΆlkerung nicht aussuchen".