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AfD-Spitze will in Hochstapler-Affäre um Bausemer und Khan-Hohloch reagieren


Es rumort
Hochstapler-Affäre erreicht AfD-Spitze

  • Annika Leister
  • Jonas Mueller-Töwe
Von Annika Leister, Jonas Mueller-Töwe

Aktualisiert am 20.08.2023Lesedauer: 6 Min.
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Berlin: AfD-Chefs Weidel (links) und Chrupalla (rechts)Vergrößern des Bildes
AfD-Chefs Weidel und Chrupalla (rechts): Sie wollen am Montag in einer für die Partei heiklen Sache entscheiden. (Quelle: IMAGO/Bernd Elmenthaler)

Will die AfD wirklich mutmaßliche Hochstapler in das Europaparlament schicken? Oder räumt sie auf? Nach massivem Druck der Basis bewegt sich nun der Parteivorstand.

Falschangaben, Hochstapelei, versuchte Mandatserschleichung: Die Vorwürfe gegen zwei Kandidaten der AfD für die Europawahl 2024, Mary Khan-Hohloch und Arno Bausemer, wiegen schwer. Immer wieder deckte t-online neue Unstimmigkeiten in Bausemers Lebenslauf auf. Bis davon kaum noch etwas übrig war. Parteikollegen werfen Khan-Hohloch mögliche "arglistige Täuschung" vor, wie t-online berichtete.

Es rumort an der Parteibasis. Seit der Europawahlversammlung Anfang August, als die AfD ihre Kandidaten kürte, ist die Kritik in Chatgruppen der Partei groß und wird Aufklärung gefordert. Die Vorwürfe gegen die beiden seien zu erdrückend. Viele fragen sich, ob die Partei wirklich so weitermachen kann. Es folgten verschiedene Briefe, sogar eine Unterschriftensammlung wurde an den Bundesvorstand um die AfD-Chefs Alice Weidel und Tino Chrupalla geschickt. Die Reaktion: Abwiegeln und Schweigen. Die Parteispitze wirkte, als wolle sie das Problem einfach aussitzen.

Nun aber ist der Druck offenbar doch zu groß geworden: Am Montagmorgen will der AfD-Bundesvorstand in seiner wöchentlichen Telefonkonferenz eine Entscheidung treffen, wie mit den Fällen Bausemer und Khan-Hohloch umzugehen ist. Das geht aus der Tagesordnung und Beschlussanträgen für die Sitzung hervor, die t-online vorliegen.

Zwei konkurrierende Anträge

Auf dem Tisch liegen dabei zwei konkurrierende Anträge, die sich unter anderem darin unterscheiden, wie tief und auf wie viele Kandidaten bezogen die Aufarbeitung erfolgen soll. Für welchen Antrag sich der 14-köpfige Bundesvorstand entscheiden wird, ist dabei nicht nur eine inhaltliche Frage. Es ist vor allem eine machtpolitische.

Denn ein Antrag stammt von den Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla. Der zweite kommt von der Bundestagsabgeordneten und 2022 überraschend in den Vorstand gewählten Christina Baum. Sie fragt auch nach der Verantwortung von Parteichefin Alice Weidel bei der Wahl der umstrittenen Kandidatin Khan-Hohloch. Khan-Hohlochs Ehemann, Dennis Hohloch, ist als Bundesschriftführer ebenfalls Teil des Vorstands.

Die Parteivorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla wollen in der Aufarbeitung oberflächlicher vorgehen, dafür aber alle 35 auf der Europawahlversammlung in Magdeburg gewählten Kandidaten checken. Sie fordern in ihrem Antrag, dass der Bundesvorstand den AfD-Bundesgeschäftsführer sowie zwei Vertrauenspersonen beauftragt, von allen damals gewählten AfD-Kandidaten "gemäß ihrer jeweiligen Antwort auf die Pflichtfrage 3 der Europawahlversammlung" Belege zu überprüfen. Die Frage lautet: "Verfügen Sie über eine abgeschlossene Berufsausbildung oder ein abgeschlossenes Studium?" Daraufhin wollen Weidel und Chrupalla die entsprechenden Unterlagen vorlegen lassen, wobei jeweils "der letzte höchste Abschluss der Berufsausbildung und/oder des Studiums als ausreichend angesehen wird".

Das Ergebnis der Prüfung soll auf der nächsten Präsenzsitzung des Vorstands am 18. September vorgestellt werden. Auf die mannigfaltigen Vorwürfe gegen Khan-Hohloch und Bausemer geht der kurze Antrag der Parteichefs nicht explizit ein, ihre Namen werden nicht erwähnt.

Zweiter Antrag will umstrittene Kandidaten genau prüfen

Christina Baum will hingegen mit Bausemer und Khan-Hohloch nur die beiden Kandidaten unter die Lupe nehmen, deren Angaben im Lebenslauf in Zweifel stehen. Diese dann aber gründlich. Sie fordert in ihrem Antrag, dass Mary Khan-Hohloch bis zum 25. August dem gesamten Bundesvorstand "die behaupteten Studienabschlüsse im Öffentlichen Recht, Schwerpunkt Europarecht (Bachelor of Arts) sowie in Religionswissenschaften" in Kopie übermitteln soll. Mit derselben Frist soll Bausemer "eine Erklärung bezüglich seiner bisherigen beruflichen Tätigkeiten" vorlegen.

Mit dem Nachweis irgendeines Studienabschlusses oder irgendeines Jobs ist es für Baum also nicht getan – sie will bei beiden Kandidaten detaillierter überprüfen, ob sie in ihren Bewerbungsreden in Magdeburg oder in der schriftlichen Bewerbung für den Listenplatz die Wahrheit gesagt haben.

Von einem "System Weidel" war die Rede

Explizit erwähnt Baum dabei auch Parteichefin Alice Weidel. Die hatte in Magdeburg bei einem Antrag auf Abwahl von Mary Khan-Hohloch Partei für die ihr nahestehende Kandidatin ergriffen. In dem kritischen Moment wurde für die Mitglieder und Zuschauer außerhalb der Magdeburger Messehalle der Livestream unterbrochen. Das stieß in der Partei auf große Kritik, von "Vetternwirtschaft", "Zensur" und dem "System Weidel" war die Rede.

Baum betont in ihrem Antrag für Montag, dass die Fälle Khan-Hohloch und Bausemer der AfD bereits jetzt massiv geschadet hätten – innerparteilich wie in der Außenwirkung. Innerparteilich stehe der gesamte Bundesvorstand, "insbesondere aber Dr. Alice Weidel aufgrund ihrer Intervention zugunsten ihrer ehemaligen Mitarbeiterin Mary Khan-Hohloch" seit Wochen in der Kritik.

Außerhalb der Partei sei der Imageschaden groß: "Wir haben zehn Jahre lang behauptet, anders als die Altparteien zu sein, die in ihren Reihen etliche Berufspolitiker ohne abgeschlossene Berufsausbildung und ohne Berufserfahrung außerhalb der Politik haben", schreibt Baum. Und: "Wenn wir es nun den Altparteien gleichtun, verletzen wir unsere Parteiregeln, führen wir unsere eigenen Grundprinzipien ad absurdum und haben zukünftig das Recht verwirkt, Kritik am Berufspolitikertum in den Altparteien zu üben."

Kommt es zum Showdown, hätte Weidel die besseren Karten

Es ist geharnischte Kritik einer Funktionärin am bisherigen Nichtstun des eigenen Vorstands und speziell dem Vorgehen der Parteichefin. Baum trifft damit genau die Punkte, die der Basis wichtig sind – und damit auch den selbst proklamierten Wesenskern der AfD, es eben besser und anders machen zu wollen als die anderen Parteien, Lebenslauflügen und Vetternwirtschaft nicht zulassen zu wollen.

Dass der Antrag von Baum kommt, könnte allerdings auch damit zu tun haben, dass das Verhältnis zwischen ihr und Weidel als schwierig gilt – aus ideologischen Gründen. Denn Weidel ist lesbisch, hat eine langjährige Lebensgefährtin und Kinder in der Schweiz. Baum ist Vertreterin des völkischen Flügels in der AfD, besonders gern arbeitet sie sich an der LGBTQI-Community ab. Sie ist gegen die Ehe für alle, will Paraden zum Christopher Street Day (CSD) verbieten lassen, das freiwillige Gendern ist für sie Ausdruck einer "Diktatur der Minderheiten".

Kommt es zum Kräftemessen zwischen den beiden im Vorstand, hat Alice Weidel machtpolitisch eigentlich die sehr viel besseren Karten. Sie hat viele Unterstützer und als Parteichefin großen Einfluss, Baum gilt eher als frei drehendes Radikal.

Möglicherweise wären große Teile der Kandidatenliste hinfällig

Der Aufklärung im Weg stehen könnte wohl auch eine Befürchtung, die im Vorstand einige im Hinterkopf haben dürften: Wie aus Vorstandskreisen verlautet, müsste man, wenn ein Kandidat so von der Liste fliegt, ab diesem Platz die gesamte Liste neu wählen. Bausemer ist auf den aussichtsreichen Listenplatz 10, Khan-Hohloch auf 14 gesetzt.

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Das würde bedeuten: Die Europawahlliste der AfD wäre in großen Teilen hinfällig, 25 bis 21 Plätze müssten neu gewählt werden – und die teure und nervenzehrende Marathonsitzung, in der 600 Delegierte an zwei Wochenenden in Magdeburg die Kandidaten kürten, müsste in großen Teilen wiederholt werden.

Ob diese Befürchtungen zutreffen, ist allerdings unklar. Auf Anfrage von t-online teilt die Pressestelle der AfD am Sonntag mit, dass eine Rücknahme einzelner Kandidaten von der in Magdeburg gewählten Liste einen "sehr tiefgreifenden Eingriff in die demokratische Willensbildung und Mehrheitsentscheidung" der rund 600 Delegierten darstellen würde und daher "bislang überhaupt nicht thematisiert worden" sei.

"Sollte eine solch theoretisch mögliche Vorgehensweise in den nächsten Monaten ernsthaft diskutiert werden, würde zuvor eine umfassende rechtliche Prüfung stattfinden, deren Ergebnis die Partei dann auch noch einmal von der Bundeswahlleiterin bestätigen ließe", heißt es weiter.

Ohne jede Reaktion aus dem Vorstand bliebe jedenfalls der Eindruck bestehen: Die AfD will mindestens einen überführten Hochstapler ins Europaparlament schicken. Denn Bausemer hatte in seiner Bewerbung für den Listenplatz wohlklingende Qualifikationen angegeben: einen Berufsabschluss als Journalist, bekannte Medien als Arbeitsreferenzen, über 10 Jahre als Geschäftsführer eines mittelständischen Betriebs und 15 Jahre Berufserfahrung außerhalb der Politik.

Zahlreiche belegte Falschangaben bei Bausemer

Tatsächlich entsprachen nur kleinste Teile davon den Tatsachen. Den Berufsabschluss erwarb er nicht, die Arbeitsreferenzen waren Hilfstätigkeiten und eine abgebrochene Ausbildung. Geschäftsführer war er nie, wie er zuletzt selbst einräumte. Wie er auf 15 Jahre Berufserfahrung gekommen sein will, dürfte noch zu klären sein.

Schon Jahre zuvor hatte er auf einem Landesparteitag ein "Hochbegabten-Stipendium" für sich ins Feld geführt. Auch das war offenbar maßlos übertrieben.

Mary Khan-Hohloch hatte bei ihrer Vorstellung vor rund 600 Delegierten in Magdeburg angegeben, ein "Studium der Religionswissenschaften, Öffentliches Recht und Schwerpunkt Europarecht" absolviert sowie vier Jahre Berufserfahrung außerhalb der Politik zu haben. Parteikollegen zweifeln das an, bereits in einem Antrag auf der Europawahlversammlung hieß es: "In Anbetracht des Zeitrahmens und der Vita erscheint beides unglaubwürdig."

Khan ist 1994 geboren und, so heißt es im Antrag, bereits ab 2015 intensiv im gesamten Bundesgebiet für die Junge Alternative, die Jugendorganisation der AfD, tätig gewesen. Mit Blick auf Khans Engagement für die Junge Alternative, ihr Alter, die Geburt ihres Kindes und anderslautende Angaben zu ihrem Studium bei einer Kandidatenbewerbung 2018 glauben viele an mindestens eine, vielleicht mehrere Falschangaben. Khan-Hohloch hat sich zu den Vorwürfen bisher nicht geäußert.

Klar ist: Der Unmut an der Basis ist groß, der Druck auf den Vorstand hoch. Keine Reaktion scheint keine Option mehr zu sein. Und ob sich die Basis mit halbgarer Aufklärung zufriedengeben wird, ist mehr als fraglich.

Der Brief von der Basis, der den Vorstand zum Handeln auffordert und Anlass für die Bewegung im Vorstand ist, wurde von 58 Erstunterzeichnern unterschrieben. Die Tagesordnung für Montag vermerkt: "Die Namen und Daten weiterer (nachträglicher) Mitunterzeichner liegen in der Bundesgeschäftsstelle vor." Die Zahl dürfte weiter steigen, sollte die Entscheidung des Vorstands die Basis am Montag nicht zufriedenstellen.

Hinweis: Die Antwort der Pressestelle zur Möglichkeit von Neuwahlen wurde im Text aktualisiert.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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