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BAMF: Es gibt nicht einen BAMF-Skandal – sondern drei


Flüchtlingsamt Bamf
Es gibt nicht einen Bamf-Skandal – sondern drei

MeinungVon Jonas Schaible

Aktualisiert am 08.07.2018Lesedauer: 3 Min.
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Bamf-Chefin Cordt, Staatssekretär Mayer, Innenminister Seehofer vor dem Innenausschuss: Sie sollen erklären, was sie wann von den Vorfällen im Bremer Bamf wussten.Vergrößern des Bildes
Bamf-Chefin Cordt, Staatssekretär Mayer, Innenminister Seehofer vor dem Innenausschuss: Sie sollen erklären, was sie wann von den Vorfällen im Bremer Bamf wussten. (Quelle: Hannibal Hanschke/reuters)

Missbrauch in Asylverfahren in Bremen, überforderte Bamf-Mitarbeiter, fehlende Aufklärung: Wer all das vermengt, handelt fahrlässig. Oder böswillig.

In diesen Tagen kreist das politische Berlin um das, was gern "Bamf-Skandal" genannt wird. Mehr als 1.000 positive Asylbescheide, die die Bamf-Außenstelle in Bremen ausgestellt hat, werden beanstandet. Hinweise darauf wurden nicht konsequent verfolgt, der Bamf-Personalrat erhebt schwere Vorwürfe gegen die Bamf-Leitung.

Die Parteien sind sich einig, dass aufgeklärt werden müsse – sie streiten nur, wie das gehen soll. Die einen wollen im Innenausschuss nachforschen, die anderen in einem Untersuchungsausschuss.

Beide Seiten werden nicht vorankommen, wenn sie über alles zugleich sprechen wollen, als gäbe es nur einen "Bamf-Skandal".

Tatsächlich gibt es mindestens drei Skandale.

So viel kann man jetzt schon sagen, wenn auch unter manchem Vorbehalt, weil vieles noch überhaupt nicht klar ist.

1. Nicht geprüfte Bescheide in Bremen

Der erste Skandal spielte sich in der Bremer Außenstelle des Bamf ab. Nach allem, was man weiß, winkte eine frühere Behördenleiterin dort eine größere Menge Anträge ohne Prüfung durch; in den meisten Fällen ging es wohl um Mandanten zweier Anwälte. Teils soll die Leiterin, wohl mit Wissen von wenigen Mitarbeitern, sogar Verfahren an sich gezogen und Entscheidungen anderer revidiert haben.

Schuld daran sind, wenn das alles stimmt, die involvierten Personen in Bremen. Und erst einmal nur sie.

2. Die langsame Aufklärung

Der zweite Skandal betrifft die politische Aufarbeitung. Offenbar wurden zahlreiche Warnungen, Berichte und Beschwerden, auch aus Bremen, lange Zeit nicht ernst genommen. Oder, schlimmer noch, sie wurden beschwiegen, um einen Skandal zu vermeiden.

Wer genau daran Schuld trägt, wird noch zu klären sein. Es sieht aber so aus, als seien wichtige Mitarbeiter aus der Bamf-Zentrale in Nürnberg und dem Bundesinnenministerium involviert. Auch die Bamf-Chefs Frank-Jürgen Weise und Jutta Cordt, die Innenminister Thomas de Maiziere und Horst Seehofer und der Staatssekretär im Innenministerium Stephan Mayer könnten verantwortlich sein.

3. Strukturelle Probleme im Bamf

Und dann gibt es noch den dritten Skandal, der größer ist, umfassender, diffuser. Über Monate predigten Vertreter fast aller Parteien, Asylverfahren müssten beschleunigt werden. Die einen, weil sie Flüchtlingen schnell Klarheit bringen wollten; die anderen, um behaupten zu können, der Staat habe jetzt alles im Griff. Im Asylpaket II schon im Februar 2016 führte die schwarz-rote Regierung beschleunigte Verfahren ein: Sie sollten in einer Woche abgeschlossen sein. Die Regierung versprach euphorisch, in 48 Stunden könnten Verfahren abgeschlossen sein.

Schneller, schneller, schneller, das war das Mantra. Der neue Bamf-Chef Frank-Jürgen Weise stellte schnell neue Leute ein, weil das so gewünscht war, und die arbeiteten möglichst schnell möglichst viele Anträge ab. Auch wenn sie nicht ausgebildet und kaum geschult waren; auch wenn es eben eine Weile dauert, bis man eine Fluchtgeschichte halbwegs systematisch aufgenommen und geprüft hat. Unternehmensberater unter anderem von McKinsey sollten die Prozesse weiter beschleunigen.

Dafür sind Regierung und Bundestag verantwortlich, auch die Oppositionsparteien, die Verfahren möglichst schnell wegarbeiten lassen wollten, obwohl von Beginn an gemahnt wurde, ungelernte Neu-Entscheider könnten nach einer Kurzschulung kaum kompetent in wenigen Tagen über einen Asylantrag entscheiden; vor allem aber auch die Spitzen im Bamf, denen es vor allem um Anschein von Effizienz zu gehen schien.

Wer Skandale verklumpt, verhindert Aufklärung

Man tut gut daran, diese Skandale auseinanderzuhalten. Und damit auch die Verantwortlichkeiten. Überforderte Mitarbeiter, getriezt von Unternehmensberatern, mit wenig Zeit und noch weniger Anleitung, machen Fehler. Deswegen sind die Strukturen für vieles verantwortlich. Aber auch die besten Prozesse verhindern gezielten Missbrauch nicht immer. Genauso gilt, dass Bamf-Mitarbeiter oder Minister für ein Problem verantwortlich sein können, aber nicht zwingend für alles Unheil.

Wer die drei Skandale vermengt, handelt fahrlässig. Oder böswillig, mit politischem Hintergedanken. Denn wer sie vermengt, verklumpt Fakten, Abläufe und Zusammenhänge und verhindert damit Aufklärung.

Es werden wahrscheinlich neue Fälle bekannt werden

Das gilt auch in den kommenden Wochen: Man muss weder Zyniker noch Hellseher sein, um zu vermuten, dass noch andere Fälle aus dem Bamf ans Licht kommen werden, in denen Mitarbeiter gelegentlich oder systematisch geschlampt oder betrogen haben. Wissentlich oder unwissentlich. Zu Gunsten oder zu Lasten von Flüchtlingen.

Es geht schließlich um Hunderttausende Anträge, Hunderttausende Menschen, um Hunderttausende Gelegenheiten für Mitgefühl, Frust, Überforderung, Unachtsamkeit, Wut, Zorn, Ohnmacht und Gier.

Die Versuchung für einige Parteien wird groß sein, dann alles zusammenzurühren: Fehler, Amtsmissbrauch oder womöglich gar Korruption von einzelnen. Sie werden versuchen, den Unwillen zur Aufklärung in allen Fällen auf den Minister zu projizieren, oder gleich alles auf Merkel.

Damit würde der Aufklärung geschadet. Das wäre dann der vierte Skandal.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Bericht im aktuellen "Spiegel" über die Vorfälle in Bremen
  • Wahlprogramme der Parteien zur Bundestagswahl 2017
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