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SPD-Chefin Saskia Esken zum Mindestlohn: "Das reicht bei weitem nicht"


SPD-Chefin über Mindestlohn
"Das reicht bei weitem nicht"

  • Johannes Bebermeier
InterviewVon Johannes Bebermeier

30.06.2020Lesedauer: 4 Min.
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Saskia Esken: Die SPD-Chefin hält am Ziel einer stärkeren Erhöhung des Mindestlohns fest.Vergrößern des Bildes
Saskia Esken: Die SPD-Chefin hält am Ziel einer stärkeren Erhöhung des Mindestlohns fest. (Quelle: Robert Recker/T-Online-bilder)

10,45 Euro – allerdings erst ab Juli 2022. Die Mindestlohnkommission hat ihre Empfehlung abgegeben. SPD-Chefin Saskia Esken reicht das nicht. Sie fordert Veränderungen.

Der Mindestlohn soll steigen – jedoch wesentlich weniger stark, als SPD-Chefin Saskia Esken das seit langer Zeit fordert. Die Mindestlohnkommission empfiehlt der Bundesregierung, ihn in vier Stufen bis zum 1. Juli 2022 von derzeit 9,35 Euro auf 10,45 Euro zu erhöhen. Zum 1. Januar 2021 würde er dem Plan zufolge zunächst auf 9,50 Euro steigen. Im Juli 2022 wären die 10,45 Euro erreicht.

SPD-Chefin Saskia Esken reicht das nicht. Im Interview appelliert sie an die Mindestlohnkommission, ihren Spielraum auszuschöpfen – und kündigt an, bei der Überprüfung des Mindestlohngesetzes im Herbst genau hinzuschauen.

t-online.de: Frau Esken, die Mindestlohnkommission hat Ihre Empfehlung für eine Erhöhung des Mindestlohns abgegeben: Er soll in vier Schritten steigen, zum 1. Januar 2021 zunächst von 9,35 Euro auf 9,50 Euro, bis er im Juli 2022 bei 10,45 Euro ankommt. Reicht Ihnen das?

Saskia Esken: Nein, das reicht bei weitem nicht. Wir haben schon länger zwölf Euro als Ziel formuliert. Und selbst dieses Ziel ist ja eigentlich ein bewegliches, weil die Löhne steigen: Wir wollen 60 Prozent des Medianlohns als Mindestlohn erreichen…

…also 60 Prozent des "mittleren Lohns", bei dem 50 Prozent der Deutschen mehr und 50 Prozent weniger verdienen.

Genau. Wir wollen, dass Menschen, die in Vollzeit arbeiten, auch davon leben können und kein Geld mehr vom Staat brauchen. Der Mindestlohn muss einen Mindestschutz bieten. Das tut er derzeit nicht, und das wird er auch mit der nun empfohlenen Erhöhung nicht tun. Der Mindestlohn muss stärker steigen.

Was kann die Politik tun, damit sich der Mindestlohn dem Ziel von zwölf Euro nähert?

Wir legen großen Wert darauf, dass die Mindestlohnkommission mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern besetzt ist und ihre Empfehlung unabhängig von der Politik ausspricht. Das Problem ist das wegen der damals heftigen Debatten zaghafte Einstiegsniveau von anfangs 8,50 Euro. Um jetzt das Ziel von 60 Prozent des Medianlohns zu erreichen, müsste der Mindestlohn erst einmal wesentlich stärker ansteigen als die restlichen Löhne in Deutschland. Das wäre im Rahmen des Mindestlohngesetzes durchaus möglich. Doch dafür müsste die Mindestlohnkommission ihren gesetzlichen Gestaltungsspielraum voll ausschöpfen.

Warum tut sie das derzeit nicht?

Da steckt der Teufel im Detail. Die Mindestlohnkommission hat sich eine Geschäftsordnung gegeben, die diesen Spielraum einschränkt. Sie hat sich de facto sehr stark an die allgemeine Lohnentwicklung in Deutschland gebunden und sie zum Maßstab für die Erhöhung des Mindestlohns gemacht.

Wie kommt man aus dem Dilemma heraus?

Die Mindestlohnkommission könnte ihre eigene Geschäftsordnung ändern und neben der Lohnentwicklung das Ziel eines Mindestschutzes als Kriterium aufnehmen. Das wäre der beste Weg. Wenn das nicht passiert, hat der Gesetzgeber natürlich immer die Möglichkeit, sich sein Gesetz anzuschauen und zu fragen: Haben wir damit erreicht, was wir erreichen wollten? Eine solche Evaluation des Mindestlohngesetzes steht im Herbst an. Und wenn wir zu dem Schluss kommen, dass wir unsere Ziele so nicht erreichen, muss nachgeschärft werden.

Und Sie würden derzeit sagen: Wir müssen nachschärfen?

Ich appelliere erst einmal weiter an die Mindestlohnkommission, den Spielraum zu erweitern und zu nutzen. Gerade in der Corona-Krise hat sich gezeigt, wie wichtig viele Menschen mit ihren Tätigkeiten für unser aller Leben sind, die noch viel zu schlecht bezahlt werden. Eine kräftige Erhöhung des Mindestlohns wäre jetzt auch ein Zeichen unseres Respekts gewesen. Für mich ist das inakzeptabel, dass letztlich die Steuerzahler die Löhne von Menschen aufstocken müssen, die in Vollzeit arbeiten, aber ihre Familien nicht davon satt bekommen.

Kritiker eines großen Sprungs beim Mindestlohn argumentieren, dass sich die Unternehmen gerade in der Corona-Krise mehr gar nicht leisten können. Ist da nicht auch was dran?

Diese Schreckensszenarien waren schon bei der Einführung des Mindestlohns falsch. Damals wurde auch gewarnt, dass mit dem Mindestlohn die Wirtschaft zusammenbricht und unzählige Jobs wegfallen werden. Nichts davon ist passiert, im Gegenteil. Der Arbeitsmarkt ist sogar noch stärker geworden, und die gesamte Volkswirtschaft hat profitiert. Gerade jetzt in der Krise kommt es doch darauf an, die Nachfrage anzukurbeln. Das machen wir mit der befristeten Mehrwertsteuersenkung und mit dem Kinderbonus, die jetzt mit dem Konjunkturpaket kommen. Aber das beste Mittel dazu sind Lohnerhöhungen bei niedrigen Einkommen. Als Beitrag zur Konjunkturbelebung kann man die aktuelle Erhöhung ja nun leider nicht bezeichnen.

Sie waren als Parteivorsitzende mit dem Versprechen angetreten, den Mindestlohn schnell auf zwölf Euro zu erhöhen. Jetzt wird es perspektivisch nicht dazu kommen. Wie problematisch ist das für Sie?

Wir halten an diesem Ziel fest, wir appellieren an die Kommission. Und wenn wir das Mindestlohngesetz im Herbst evaluieren, sehen wir, ob es weiterentwickelt werden muss. Und auch auf europäischer Ebene werden wir im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft, die ja jetzt startet, ein System europäischer Mindestlöhne voranbringen.

Ihr Versprechen können Sie damit aber in näherer Zukunft nicht einlösen.

Warten wir den Herbst ab. Die Corona-Krise hat den Blick der Gesellschaft für die sozialen Ungerechtigkeiten geschärft. Wir haben auf unseren Balkonen und auch im Bundestag für die Corona-Helden applaudiert. Das darf nicht alles gewesen sein. Applaus bezahlt die Miete nicht.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Saskia Esken per Telefon
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