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Armin Laschet in Flutgebiet: "So ein Besuch ist nur Werbung für die Wahl"


Wut über Laschet im Flutgebiet
"Jetzt kommt der Clown und will die Welt retten"

  • Annika Leister
Von Annika Leister

Aktualisiert am 04.08.2021Lesedauer: 4 Min.
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Besuch im Hochwassergebiet: Armin Laschet und Olaf Scholz sagen schnelle Hilfen zu, der Empfang ist nicht überall freundlich. (Quelle: Reuters)

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet tourt durch die Flutgebiete. Doch nicht überall kommt sein Besuch gut an. In Swisttal reagierten die Menschen mit Wut. Viele hier haben keine Lust auf Wahl-PR.

Die Menschen haben Besseres zu tun. Das ist Tenor bei vielen in Swisttal nach dem Besuch von NRW-Ministerpräsident und CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet. Der besuchte die Gemeinde, die zum Teil tief in den Fluten versank, am Montag mit Kameras im Schlepptau. Doch vor den Augen der Welt, live gestreamt ins Netz, brach der Unmut vieler Bewohner los. Gastronomen brachen in Tränen aus, Bürgerinnen schimpften über ausbleibende Hilfe.

Viele im Swisttal fühlen sich im Stich gelassen, die anderen können ihren Unmut bestens verstehen. "Jetzt kommt der Clown auf einmal an und will die Welt retten", sagt ein Bewohner von Swisttal-Heimerzheim im Gespräch mit t-online über Laschets Besuch. "Aber der Zug ist abgefahren."

"So ein Besuch ist nur Werbung für die Wahl"

Zweieinhalb Wochen lang seien die Leute hier alleingelassen worden, noch immer zeichne sich keine Besserung, keine Hilfe vonseiten der Verwaltungen und der Landesregierung ab. "So ein Besuch ist einfach nur Werbung für die Wahl, den Menschen bringt das gar nichts." Lange sprechen kann er nicht, die Arbeit geht weiter. Sie muss weiter gehen, sollen die Menschen hier weiterhin ein Dach über dem Kopf haben, sollen die Geschäfte wieder laufen.

Dominik Bolde hätte sein Zuhause fast verloren. In dem Haus, in dem seine Wohnung lag, stieg das Wasser in der Hochwassernacht bis ins Erdgeschoss. "Um drei, halb vier kam plötzlich das Wasser", sagt er. "Es war wie im Film." Eine Ausnahmesituation, wie Bolde sie noch nie erlebt hat. Mit einem Boot wurden er und Nachbarn schließlich am nächsten Tag aus dem Haus gebracht.

Behörden arbeiteten kopflos – oder gar nicht spürbar

Warnungen von den Behörden habe es für Heimerzheim zunächst nicht gegeben, sagt Bolde, dann folgten widersprüchliche Aussagen, die immer wieder vorm Brechen des nahegelegenen Damms warnten. "Das hat Panik verbreitet, aber eigentlich konnte keiner sagen, was so richtig Sache war." Die Performance der Behörden? "Chaotisch" – und dann "gar nicht mehr vorhanden", so schildert Bolde es.

Das setzte sich auch in den Tagen darauf fort, als das Wasser zurückfloss und die Heimerzheimer langsam wieder zurück in ihren teils völlig zerstörten Ort kamen. "Die Behörden haben uns alleingelassen, von allen Seiten", sagt Bolde. Er bleibt dabei ganz ruhig, spricht mit rheinischem Dialekt. "Wir haben einfach angefangen, aufzuräumen."

Organisation auf WhatsApp und Facebook

Bolde ist Vorsitzender des Junggesellenvereins in Heimerzheim. Schnell wurde eine WhatsApp-Gruppe mit Betroffenen organisiert, 300 Menschen schlossen sich darin zusammen. Auch auf Facebook bildeten sich zahlreiche Hilfsgruppen. Betroffene posten dort noch immer, was sie brauchen – und die Zivilgesellschaft organisiert sich, so gut es eben geht.

Mit dem Heimerzheimer Verein vernetzte Junggesellengruppen aus dem Vorgebirge reisten mit Traktoren und schwerem Gerät an, auch aus Baden-Württemberg und Bayern kamen Helfer. "Ohne die hätten wir im Dorf nicht viel reißen können", sagt Bolde. "Die großen Geräte, die haben wir gebraucht." Von den Behörden – weiter keine Hilfe, keine Organisation. Nicht einmal eine Aussage dazu, wo der ganze Müll und Schutt abgeladen werden sollte. "Wir haben einfach selbst entschieden – sonst wäre nichts passiert."

Noch bevor Bolde die eigene Wohnung leer räumte, packten er und Freunde bei den Geschäftsleuten im Ort an. In Schreibwaren- und Bekleidungsläden waren Lager geflutet worden, Unmengen an zerstörten Produkten mussten rausgeschafft werden. "Wir haben in Eigenregie koordiniert, gefragt, wo Hilfe benötigt wird", sagt er. "Nach drei, vier Tagen waren die Geschäfte einigermaßen leer und sauber."

"Jetzt kommt er und lacht wieder"

Pierre Oster lebt in Swisttal-Odendorf, auch hier schaute Armin Laschet am Montag vorbei. In der Corona-Krise, während der Zeit der Ausgangssperren, hat Oster die Facebook-Gruppe "Bürger helfen Bürger" gegründet, um ältere Bewohner im Alltag zu unterstützen.

Jetzt sind viele Gruppen in den sozialen Medien Hochwasser-Hilfsgruppen, Helfer machen hier Treffpunkte aus, Betroffene posten, was sie benötigen – und machen ihrem Unmut Luft. Zwischen "Dachdecker gesucht" und "Brauchen vier, fünf Helfer" stehen Postings wie "Wo sind die Politiker? Keinen sieht man mit der Schaufel" oder mit Blick auf den Laschet-Besuch: "Jetzt kommt er und lacht wieder." Der frühere Auftritt im Katastrophengebiet, bei dem der CDU-Kanzlerkandidat im Hintergrund fröhlich frotzelte, ist einigen hier noch in Erinnerung.

Auch Pierre Osters Haus wurde von den Fluten getroffen, der Keller lief voll, viele Möbel mussten raus aus dem Haus. Seit Tagen arbeitet er an dem Haus, teilt nebenbei Informationen über die sozialen Medien. Doch er will sich nicht beschweren, viele im Ort habe es noch sehr viel härter getroffen, sagt Oster. Er sei "mit einem blauen Auge davongekommen".

Er kann die Wut der Betroffenen über den Laschet-Auftritt verstehen, er teilt ihre Kritik. "Die Behörden hat man hier gar nicht gespürt, die Hilfe war marginal", sagt er. Froh aber ist er über den Zusammenhalt in der Region, er sieht das Positive: "Alles ist von Bürgern organisiert worden", sagt er stolz. "Die Nachbarschaftshilfe hat wunderbar funktioniert.“

Verwendete Quellen
  • Gespräche mit Dominik Bolde, Pierre Oster und weiteren Swisttalern
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