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Fridays for Future: Rettet den Klimaschutz vor diesen Beschützern!


Eklat bei Fridays for Future
Rettet den Klimaschutz vor diesen Beschützern!

MeinungEin Kommentar von Christoph Cöln

Aktualisiert am 25.03.2022Lesedauer: 4 Min.
Meinung
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Ronja Maltzahn: Da sie Dreadlocks trägt, darf die weiße Musikerin nach einem Entschluss von Fridays for Future nicht wie zunächst geplant bei einer Demonstration in Hannover auftreten.Vergrößern des Bildes
Ronja Maltzahn: Da sie Dreadlocks trägt, darf die weiße Musikerin nach einem Entschluss von Fridays for Future nicht wie zunächst geplant bei einer Demonstration in Hannover auftreten. (Quelle: Zuzanna Badziong/dpa/dpa-bilder)

Eine Fridays-for-Future-Ortsgruppe lädt eine Künstlerin aus, weil die eine bestimmte Frisur trägt. Damit schaden die Klimaschützer ihrer Sache. Und sie offenbaren ein fragwürdiges Verständnis von Kultur.

Es ist gut, für eine gute Sache zu kämpfen. Den Klimaschutz zum Beispiel. Nicht so gut ist es, wenn dabei die Maßstäbe verloren gehen und der Einsatz für das Gute in ein radikales Tugendregime eskaliert. Insofern wüsste man schon gern, woher die Mitglieder der Fridays for Future-Ortsgruppe Hannover ihr geistiges Rüstzeug beziehen.

Das Demokratieverständnis, das die Aktivisten vom Maschsee an den Tag legten, ist jedenfalls beängstigend engstirnig und lässt eher auf einen grün getünchten Jakobinismus schließen. Anders ist nicht zu erklären, warum sie die Sängerin Ronja Maltzahn von einem Konzert für den Klimaschutz wieder ausluden. Das Problem, das die klimabewegten Ortsgruppler mit Maltzahn haben, sind ihre Haare. Sie trägt Dreadlocks.

Kurz kratzt man sich am lichter werdenden Kopf. Was soll nun daran schlimm sein? Dreadlocks sind seit Jahrzehnten auch in Deutschland fester Bestandteil des Straßenbilds. Und überhaupt, galten lange Haare nicht mal als Zeichen von zivilem Ungehorsam und antibürgerlicher Revolte?

Nicht in Hannover. Maltzahns verfilztes Haar sehe man als ein Symbol der kulturellen Aneignung, ließ die dortige FFF-Ortsgruppe verlauten. Und weil das gar nicht gehe, dürfe die Sängerin nicht beim Konzert für die Weltrettung mitmachen. Ergo, Exkommunikation.

Vielleicht ist dem Rastafari das ja egal?

Der Begriff der kulturellen Aneignung beruht auf einem Konzept (Cultural Appropriation), das vornehmlich an US-amerikanischen Universitäten entstand und das vereinfacht gesagt den Umstand kritisiert, dass weiße Menschen Errungenschaften aus anderen Kulturen oder von sozial benachteiligten Gruppen übernehmen, ohne diesen selbst anzugehören.

Im Fall von Maltzahns Kopfschmuck soll das Problem demnach folgendes sein: Weil sie als privilegierte weiße Frau aus Westeuropa keine Diskriminierungserfahrungen als Angehörige einer Minderheit gesammelt hat, darf sie keine Dreadlocks tragen. Das dürften im Umkehrschluss also nur afroamerikanische Bürgerrechtler, gläubige Hindus, Sufis oder spirituell bewegte Rastafaris.

Der Vorwurf der (unzulässigen) kulturellen Aneignung ist gleich in zweifacher Hinsicht problematisch. Suggeriert er doch, alle Dreadlock-Träger würden diskriminiert bzw. ihre kulturelle Identität bedürfe eines besonderen Schutzes durch andere, in dem Fall durch weiße Klimaschützer aus Hannover. Nun könnte es aber sein – rein hypothetisch –, dass einem jamaikanischen Rastafari Ronja Maltzahns Frisur einigermaßen egal ist. Oder dass er sich sogar über ihre Dreadlocks freut.

Denn Kultur ist ohne Aneignung gar nicht denkbar. Würden wir Kultur im lateinischen Wortsinn nur als Pflege des jeweils Eigenen verstehen, liefen wir in Deutschland womöglich immer noch mit Kniebundhosen herum, trügen lächerliche Filzhüte und würden bitteren Gerstensaft aus Tonkrügen schlürfen. Das wäre zwar urdeutsch, aber außer Hardcore-AfD-Sympathisanten niemandem zu vermitteln.

Auf der Suche nach der eigenen Identität

Kultur entwickelt sich durch Abgrenzung und Übernahme von Eigenheiten und Errungenschaften anderer Kulturen. Sonst hätten wir keinen Fußball (England), kein Kino (Frankreich), keinen Wein (Georgien) und auch keine Pizza.

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Der erste Pizzabäcker Deutschlands klaute seine Idee übrigens von US-amerikanischen Soldaten, die sie wiederum bei jenen Immigranten abgekupfert hatten, die von Italien nach Chicago ausgewandert waren. Und wenn eben jene GIs nicht auch den Jazz, Blues und Rock 'n' Roll nach Deutschland mitgebracht hätten, die von den Nachfahren nach Amerika verschleppter afrikanischer Sklaven erfunden wurden, dann gäbe es heute keinen deutschen Hip-Hop.

Das erfolgreiche Genre wurde im Wesentlichen von kartoffeligen Mittelstands-Kids geprägt, die von der Unterdrückungs- und Ausgrenzungserfahrung der afroamerikanischen Community in der Bronx keine Ahnung hatten. Mussten sie auch gar nicht. Ihnen ging es genau wie ihren Vorbildern lediglich darum, ihre eigene Stimme zu finden und inmitten des Gefühlschaos und der seelischen Schmerzen, die auch eine weiße Mittelstands-Jugend in Frankfurt oder Stuttgart so bereithalten kann, ihre eigene Identität zu formen.

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Als Dynamische Differenzierung bezeichnet die Sozialwissenschaft diesen Prozess der kulturellen Aneignung und Weiterentwicklung. Das muss nichts Schlechtes sein. Es nennt sich dann Subkultur und ist im Zweifel ein Ausdruck der Wertschätzung für etwas Fremdes. Für den Anderen.

Eine Hintertür, die keine ist

Vollends fragwürdig wird der Bannstrahl, der Maltzahn traf, wenn man sich das Vorgehen anschaut, mit dem die Klimaschützer von Fridays for Future Hannover agierten. Sie hielten der Künstlerin eine Hintertür offen, boten ihr an, doch noch an dem Konzert teilzunehmen. Allerdings unter der Voraussetzung, dass sie sich vorher die Haare abschneiden lässt. Ist das noch Scheinheiligkeit oder schon die heilige römische Inquisition?

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Inzwischen hat sich die Ortsgruppe für dieses Vorgehen entschuldigt. Man habe die sexistischen Implikationen der Haarabschneide-Forderung erkannt (die fatalen historischen Implikationen des erzwungenen Haarescherens aber offenbar nicht, Stichwort Holocaust). Bei der Ausladung blieb es dennoch.

Der Vorfall zeigt, wie ein in vielleicht bester Absicht ersonnenes Konzept zu einem ideologischen Machtinstrument werden kann, wenn es in die falschen Hände gelangt. In die Hände von Leuten, die alles unbedingt richtig machen wollen. Es gerät dann leicht zur autoritären Doktrin und zu einem Vehikel gefährlichen Schwarz-Weiß-Denkens. Ganz zu schweigen davon, dass es die notwendigen Ziele der Klimaschutzbewegung unterminiert. Und das ist das Letzte, was wir gerade brauchen.

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